• Foto: Maximilian Probst

Sechs Corona-Geschichten aus Ottensen: „Es irgendwie ins nächste Jahr schaffen“

Der Fotograf Maximilian Probst (33) lebt und arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Altona. Für das Redaktionsnetzwerk „Read here, right now“ hat er Menschen aus sechs Betrieben in seinem Stadtteil porträtiert. Wie haben sie die bisherige Pandemie erlebt, wie den ersten Lockdown überstanden? Und mit welchen Gefühlen gehen sie durch die jetzige Zeit? Bäcker, Café-Betreiber, Kunsthandwerker – sie alle kämpfen darum, dass ihr beruflicher Lebenstraum Corona übersteht. Herausgekommen sind Gedanken über Mut, Demut und Zuversicht.

„Ich wünsche mir Zuversicht“

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Imke Schilter in ihrem Laden in der Großen Brunnenstraße. Zunächst sah sie in der Krise eine Chance für Veränderungen, doch mittlerweile zittert die Kunsthandwerkerin um ihre berufliche Existenz.

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Maximilian Probst

Imke Schilter (Patuko – Leder- und Textildesign in Ottensen): „Der Lockdown war für mich und meine Ledermanufaktur Patuko, in der ich Kinderkleidung aus Leder, verschiedenartige Taschen und Damenwickelröcke nach eigenen Schnitten herstelle und verkaufe, eine große Zäsur! Normalerweise stelle ich im Frühjahr hochproduktiv meine Produkte für die anstehenden Kunsthandwerkermärkte her. Diese Veranstaltungen wurden jedoch schon frühzeitig abgesagt. Zunächst sah ich darin eine Chance: aus der Routine ausbrechen, Veränderungen Raum geben und neue Vertriebswege finden. Ich fühlte mich herausgefordert und war motiviert, habe beispielsweise ehemalige Kundenkontakte via E-Mail erneuert und nicht wenige sehr persönliche und unterstützende Antworten und auch Bestellungen erhalten. Aus meinem Stoff-Fundus habe ich Masken genäht und bei gutem Wetter vor meiner Werkstatt angeboten. Es fanden Online-Kunsthandwerkermärkte, wie die kulturelle Landpartie, statt, die ich virtuell bestückt habe; Initiativen wie ‚Mein Herz schlägt für Altona‘ entstanden und ich wurde Teil davon. Aufbruchzeiten auch in meiner kleinen Ladenwerkstatt.

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Jetzt nach einem halben Jahr stellt sich meine Situation anders dar. Die Online-Vertriebswege ersetzen nicht die zahlreichen persönlichen Kontakt zwischen mir und meinen Kunden auf den Ausstellungen und meine Souterrain-Ladenwerkstatt in der Großen Brunnenstraße war immer mehr Produktions- als Verkaufsstätte. All das macht sich massiv bemerkbar und Existenzängste, wie sie viele in meiner Branche aktuell haben, stellen sich ein. Der erste Markt, der im November stattfinden sollte, ist jetzt natürlich auch abgesagt worden. Das Gleiche gilt für den ersten und zweiten Adventsmarkt. Ich weiß wirklich nicht mehr weiter und stehe kurz davor, Hartz IV zu beantragen. Für die kommenden Monate wünsche ich mir Zuversicht, dass wir als Gesellschaft diese Krise gut durchstehen und dass Soloselbständige – wie ich – durch diese schwierige Zeit kommen.“

„Die Erde setzt sich zur Wehr“

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Die Gazoline Bar in Ottesen hat sich durch Corona zwangsläufig verändert. Das Foto ist vor dem zweiten Lockdown entstanden.

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Maximilian Probst

Artur Jagodda (Gazoline Bar in Ottensen): „In erster Linie wurde uns während des ersten Lockdowns schmerzhaft bewusst, dass wir nun in Zeiten leben, in den man einfach damit rechnen muss, dass sich unsere Erde immer wieder zu Wehr setzen wird und wir es dementsprechend hinnehmen müssen. Wir als Menschen haben auch lange daran mitgewirkt, dass es soweit kommt.

Allerdings haben wir auch gelernt, dass man auch in solchen Krisensituationen weiter machen muss und will, auch wenn manchmal die Kraft dazu fehlte. Es sind neue Ideen und Konzepte entstanden, wie wir nun unseren Betrieb weiterführen können. Es wurden neue Kreativität und Pioniergeist freigesetzt, die es ermöglicht haben, dass die Gazoline wirtschaftlich einigermaßen gut dasteht und wir nicht schließen müssen. Und mit diesen Gedanken setzen wir unseren Betrieb fort, egal was noch kommt. Einfach weitermachen, aus jeder neuen Situation lernen und das Gelernte dementsprechend umsetzen. Das ist unsere Devise. Und diese Devise wird uns höchstwahrscheinlich noch einige Zeit begleiten und dazu animieren, es in der Zukunft besser zu machen und nach Möglichkeiten dazu beitragen die vorantreibende Zerstörung unseres Planeten, und damit verbundenen Probleme, zu minimieren.“

„Nach dem Schock hatten wir eine recht gute Zeit“

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Lisa und Anton von Pflanz Kafka wollten bei sich im Café eigentlich Kultur-Veranstaltungen durchführen. Corona machte ihnen aber einen Strich durch die Rechnung. Ihre Zuversicht lassen sie sich allerdings nicht nehmen.

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Lisa und Anton (Pflanz Kafka in Ottensen): „Nach dem ersten Schock haben wir draußen ein imaginäres Wohnzimmer mit Zimmerpflanzen und Blumen gebaut. Es gab Kaffee zum Mitnehmen und da wochenlang nur die Sonne schien und die Menschen sich nicht nur zu Ostern und zum Muttertag Blumen und Pflanzen gönnen wollten, hatten wir eine recht gute Zeit. Alle waren froh, nicht im Internet bestellen zu müssen, sondern etwas in der Hand zu halten. Wir konnten die geplanten kulturellen Veranstaltungen nicht verwirklichen. Was wirklich sehr schade war. Es gab viele Ideen von Lesungen bis kleine Konzerte, die wir absagen oder auch nicht richtig planen konnten.

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Wir setzen jetzt im zweiten Lockdown wieder vermehrt auf „to Go“ und auf den Pflanzenverkauf vor unserem Laden. Der erste Shutdown im Frühjahr hat gezeigt, dass viele Menschen, wenn sie vermehrt Zeit zu Hause verbringen, mehr Lust auf Grün in ihrer Wohnung haben. Außerdem wollen wir die Pflanzen-Lieferung innerhalb Hamburg noch verstärkt ausbauen.“

„Wir können uns auf unsere Nachbarschaft verlassen!“

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Das Geschäft bei Zeit für Brot hat sich geändert, die Stammkunden sind geblieben – bisher jedenfalls.

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Florian (Zeit für Brot in Ottensen): „Aus dem ersten Lockdown haben wir mitgenommen, dass die eigenen Mitarbeiter das höchste Gut in einem Unternehmen sind – und bleiben! Und man dadurch viele Krisen einfach meistern kann. Und dass man mit einem guten Produkt, Qualität und Nachhaltigkeit sich auf seine Nachbarschaft (Stammkundschaft) verlassen kann. 

Die Nähe und Transparenz zum Kunden ist allerdings etwas verloren gegangen, da wir durch die Schließung des Innenraumbereichs die Stärken unseres Konzepts nicht mehr gänzlich zum Tragen kommen. Außerdem hat sich das Narrativ etwas geändert. Wir blicken auf viele Themen – abseits von Corona – mit einer entspannten Sichtweise, da sich einfach der Bezug verändert hat.

Wir gehen mit einem positiven Gefühl in die nächsten Wochen. Auch wenn es aktuell wieder Einschränkungen gibt, kennen wir die Situation ja schon aus dem März und wissen, was zu tun ist. Viel mehr kann man auch nicht tun, daher muss man es auch einfach mal so nehmen, wie es kommt. Die Situation hat sich ja niemand gewünscht und ausgedacht. Im Moment merken wir von einem Abnehmen der Kundschaft noch nichts, die Menschen kaufen ja weiterhin Brot. Aber wir stehen noch am Anfang und es kann sein, dass die Umsätze in den nächsten Wochen noch einbrechen werden.“

„Ich glaube nicht, dass wir im Dezember nochmal öffnen werden“

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In dem Café Coffeine glauben die Besitzer nicht mehr an eine Wiedereröffnung in diesem Jahr.

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Maximilian Probst

Marcus Neef (Café Coffeine in Ottensen): „Aus dem ersten Lockdown habe ich gelernt, dass man kreativ sein und neue Wege gehen muss. Man braucht großen Einsatz der Mitarbeiter – und muss sich um die Stammgäste bemühen. Der Umsatz hat sich verschoben. Früher war es mehr Mittagstisch, heute Kaffee und Kuchen, die Verweildauer der Gäste ist kürzer. Aber: Die Leute entwickeln eine engere Bindung zum Laden, weil sie auch vom Sicherheitskonzept überzeugt sind kommen immer wieder. Sind sehr treue Kunden, es scheint eine Vertrauenssache zu sein und daher wichtig das die Leute sich sicher fühlen.

Jetzt mussten wir das Café wieder schließen, die Mitarbeiter mussten nach Hause und ich habe persönlich noch viele Essensreste wegschmeißen müssen. Ich unterstütze die Maßnahmen der Bundesregierung zur Corona-Pandemie voll und ganz, glaube aber nicht, dass wir im Dezember noch einmal öffnen werden. Ich hoffe sehr, dass wir im neuen Jahr wieder voll durchstarten können. Auf unserer Ecke verändert sich viel, es entsteht die neue Bahnstation. Wir wollen durchhalten, die gute Laune behalten und es irgendwie ins nächste Jahr schaffen, um dann da die neue Infrastruktur dann ausnutzen zu können.“

„Hoffentlich dauert der Lockdown nur einen Monat“ 

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Codos in Ottensen ist normalerweise innen brechend voll. Doch die Pandemie hat auch hier einiges verändert.

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Özlem Sögüt (Codos in Ottensen): „Wir haben gelernt aus unserer Komfortzone raus zu kommen, umzudenken, schnell zu handeln und sind mit der Situation gewachsen. In einer Situation, in der du nichts kontrollieren kannst, musst du lernen flexibel zu bleiben und vieles einfach locker zu nehmen – verkrampfen bringt da nicht viel. Wir sind sehr froh darüber, dass wir niemanden entlassen mussten und sind verdammt stolz auf unser Team die bisher super durchgehalten haben.

Jetzt im zweiten Lockdown ändert sich bei uns eigentlich nichts, da wir sowieso schon auf „To Go“ umgestellt haben. Das, was sich ändern könnte, ist die Kundenfrequenz, da alle wahrscheinlich weniger rausgehen. Das werden wir aber dann sehen. Unsere loyalen und verständnisvollen Gäste machen uns unseren Job aber auch sehr angenehm und jeden Corona-Stress wieder gut. Wir halten nach wie vor die Hygienevorschriften ein und hoffen, dass der Lockdown tatsächlich nur einen Monat dauert.“

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