Timo Schultz
  • Timo Schultz bekommt keine weitere Chance, mit St. Pauli die Wende zu schaffen.
  • Foto: WITTERS

Kommentar: Schultz als Schuldiger – das ist zu einfach

Tag 877 war für Timo Schultz der bitterste als Cheftrainer des FC St. Pauli. Doch nicht nur für ihn. Die allermeisten Fans des Kiezklubs verlieren mit „Schulle“ mehr als einen Trainer.

Der gebürtige Ostfriese hat St. Pauli gelebt. Schon als Spieler war der inzwischen 45-Jährige ein Typ, den die Massen liebten. Schultz war ehrlich. Neben und auf dem Platz, wo er fehlendes Talent mit großem Kampfgeist kompensierte.

Timo Schultz war ein legitimer Erbe der Trainer-Ikonen Stanislawski und Lienen

Dass so einer, ein echter St. Paulianer, im Juli 2020 das Mandat bekam, als Trainer der Profis zu arbeiten, war wie ein Geschenk für den Anhang, der in den neun Jahren nach der Ära von Holger Stanislawski acht Trainer hatte kommen und gehen sehen, wobei nur Ewald Lienen es schaffte, in ihre Herzen vorzudringen. Schultz war ein legitimer Erbe dieser beiden charismatischen Granden. Und er bekam das, was es brauchte, um nicht schnell zu straucheln: Rückhalt.

Oke Göttlich und Andreas Bornemann WITTERS
Oke Göttlich und Andreas Bornemann
Oke Göttlich und Andreas Bornemann

Präsident Oke Göttlich und Sportchef Andreas Bornemann vertrauten Schultz, der nur eines seiner ersten 16 Pflichtspiele gewann und lagen damit vor zwei Jahren goldrichtig. 67 Punkte holte Schultz aus der Rückrunde und der folgenden Hinrunde.

Schultz ließ im Jahr 2021 einen für St. Pauli-Verhältnisse atemberaubenden Fußball spielen

Die Fans sahen auf dem Kiez einen Fußball, der sie fast zu verstören schien. Vielleicht spielte St. Pauli in seiner Geschichte nie schöner. Das war nicht nur, aber auch Schultz’ Verdienst.

Daniel-Kofi Kyereh und Guido Burgstaller WITTERS
Kyereh, Burgstaller, St. Pauli
Daniel-Kofi Kyereh und Guido Burgstaller

Aus den beiden folgenden Halbserien holte der Trainer aber nur 38 Punkte. St. Pauli verspielte nicht nur den Aufstieg, sondern kämpft nun wieder gegen den Abstieg. Und das ist auch Schultz’ Schuld. Aber auch in diesem Fall gilt: nicht nur Schultz’ Schuld.

Andreas Bornemann hat Abgänge von Kyereh und Burgstaller nicht adäquat ersetzen können

Der Abwärtstrend war auch eine Folge kommunikativer Versäumnisse innerhalb des Klubs, das Ergebnis der Hinrunde dieser Saison hängt auch damit zusammen, dass es Bornemann nicht gelang, die Abgänge wichtiger Leistungsträger (Kyereh, Burgstaller) adäquat zu ersetzen. Schultz hat darüber – obwohl sein bis dato sehr gutes Verhältnis zum Sportchef abkühlte – nie öffentlich gejammert, was ihm hoch anzurechnen ist.


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Seine empathische Art aber mag auch ein Problem gewesen sein. Schultz haute möglicherweise zu wenig dazwischen, als Tendenzen zu erkennen waren, die in die falsche Richtung deuteten. An dem Vorwurf, dass er Klarheit und Konsequenz im Umgang hat vermissen lassen, dürfte einiges dran sein.

Die Trennung von Schultz ist nachvollziehbar und traurig zugleich

Und so ist die Trennung ob der nackten Zahlen und der vielleicht auch fehlenden taktischen Weiterentwicklung sportlich nachvollziehbar. Ob es aber nötig gewesen ist, die Versäumnisse des Trainers per Pressemitteilung haarklein aufzulisten, während Schultz selbst in der Erklärung stumm bleibt (was beim ungeliebten Vorgänger Luhukay nicht der Fall war), darüber darf gestritten werden. Das Unverständnis, die Wut und Traurigkeit der Fans über die Entlassung werden die Bosse damit eher befeuert haben.

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Viele hatten die Hoffnung, dass der Kiezklub endlich einen ähnlichen Weg einschlagen könnte wie der SC Freiburg. Dort ging man mit Christian Streich gemeinsam durch tiefe Täler, um durchzustarten. Bei St. Pauli ist dieser Versuch gescheitert. Wieder einmal. Und deshalb war es ein trauriger Tag. Für die Fans. Für den Klub.

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