Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ führten Polizisten im Dezember Heinrich XIII Prinz Reuß ab (Archivbild).
  • Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ führten Polizisten im Dezember Heinrich XIII Prinz Reuß ab (Archivbild).
  • Foto: picture alliance/dpa/Boris Roessler

Nach bundesweiter Razzia: So groß ist Hamburgs Reichsbürger-Szene

Acht Bundesländer, fünf Beschuldigte, ein angeschossener SEK-Beamter: Am Mittwoch gingen Ermittler gegen mutmaßliche Anhänger der sogenannten Reichsbürger-Szene vor. Sie werden verdächtigt, eine terroristische Vereinigung des Milieus unterstützt zu haben, die den Umsturz des politischen Systems in Deutschland plant. Auch in Hamburg sind die Reichsbürger aktiv – bekommen immer mehr Zulauf und haben mittlerweile eine neue Taktik, vor der der Verfassungsschutz warnt.

Seit der Coronapandemie steigt die Zahl der Reichsbürger: Zählte der Hamburger Verfassungsschutz Ende 2020 noch 175 Personen zu der Szene, waren es bis Ende 2021 schon 290. Ende Oktober 2022 lag sie bei 340 Personen.

Sechs von ihnen haben die Erlaubnis eine Waffe zu tragen, teilte die Innenbehörde im vergangenen Dezember mit. Zudem seien den Behörden 14 als rechtsextremistisch eingestufte Personen mit Waffen-Erlaubnis bekannt sowie eine Person, die dem neuen Extremismusbereich „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zugerechnet werde.

Hamburg: Reichsbürger-Szene extrem heterogen

Die Szene in Hamburg ist sehr heterogen – sowohl mit Blick auf die Personen als auch ihrer Organisation und Ideologie. Was sie verbindet ist die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland sowie des Rechtssystems. Stattdessen berufen Reichsbürger sich wahlweise auf das deutsche Kaiserreich oder ein selbstdefiniertes Naturrecht und verbreiten Verschwörungsmythen.

Kommentar: Der Staat und die „Reichsbürger“: Auf dem rechten Auge blöd!

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht, der Anfang Juli vergangenen Jahres vorgestellt wurde, gibt einen kleinen Einblick in die Szene. Er zeigt, dass unter dem Label „Reichsbürger“ Verschwörungstheoretiker verschiedener Couleur zusammentreffen. Zehn Prozent seien der rechtsextremen Szene zuzuordnen, weitere zehn Prozent hätten einen erkennbaren Migrationshintergrund – wie etwa der bekannte Berliner Vegan-Koch und Holocaust-Leugner Attila Hildmann. Doch auch Menschen, die finanziell unter Druck geraten sind, folgen der Ideologie.

Laut Verfassungsschutz waren Reichsbürger auch schon 2018 unter den Demonstranten der Montags-Proteste. picture alliance / Christian Charisius/dpa | Christian Charisius
Montags-Demonstrationen
Laut Verfassungsschutz waren Reichsbürger schon 2018 unter den Demonstranten der Montagsproteste.

Zu Beginn der Coronapandemie kaperte die Szene aktiv aktuelle gesellschaftliche Themen, wobei sich die Reichsbürger immer wieder neue Bühnen schafften. Derzeit nutzen sie primär Demonstrationen gegen die Energiekrise als Folge des Ukraine-Krieges. Hier treffen dann Extremisten aus verschiedenen Bereichen (Rechts- oder Linksextremismus, Reichsbürger) aufeinander, deren Interessen sich teilweise auch überschneiden. Laut Verfassungsschutzbericht gilt für Hamburg der Einfluss von Rechtsextremen auf die Proteste als sehr schwach, während Personen aus dem Bereich der Reichsbürger-Szene und zunehmend auch aus der linksextremen Ideologie größeren Einfluss entfalten.

Ein Beispiel ist der Verein „UMEHR e.V.“ (United Movement For Equal Human Rights). Anders als der Name vermuten lässt, ist die Gruppierung verfassungsfeindlich und lehnt die Demokratie und den Staat ab. Ihre Argumentation folgt der der Reichsbürger, während sie gleichzeitig Positionen eines radikal linken Antikapitalismus und Antiimperialismus vertritt. Immer wieder fallen sie auch durch ihre pro-russische Haltung auf. Seit dem 24. Februar 2022 wird der Verein UMEHR daher vom Verfassungsschutz beobachtet.

Reichsbürger: „Bismarcks Erben“ wollen Kaiserreich zurück

Ein weiteres Beispiel sind „Bismarcks Erben“, eine klassische Reichsbürger-Gruppe. Sie wollen das deutsche Kaiserreich zurück und den angeblich seit 1914 andauernden Kriegs- und Belagerungszustand beenden. In ihren Augen ist das Oberhaupt des Hauses Hohenzollern, Georg Friedrich Prinz von Preußen, der rechtmäßige Herrscher, dem sie die Übernahme der Regierung ermöglichen wollen.

Dazu hat die Gruppierung den „Vaterländischen Hilfsdienst“ (VHD) gegründet, für den fleißig mobilisiert wird. Dieser „Hilfsdienst“ ist in 24 „Armeekorpsbezirke“ gegliedert, wobei der IX. Ak-Bezirk („Altona“) das Gebiet Hamburgs, Schleswig-Holsteins sowie Teile Mecklenburg-Vorpommerns umfasst. Bislang fielen die Mitglieder der Gruppe jedoch vor allem durch Treffen auf – wie das am 31. Oktober 2021 am Fuße des Bismarck-Denkmals in St. Pauli, wo sie dem „Vater unserer gültigen Verfassung“ Ehre erweisen wollten.

Razzia: SEK-Beamter in Reutlingen angeschossen

Doch was sich hier eher harmlos anhört, kann extrem gefährlich sein. Die Razzia am Mittwoch in mehreren deutschen Bundesländern zeigt, dass mutmaßliche Anhänger der Reichsbürger-Szene keine Scheu haben, von den Waffen, die sie besitzen, Gebrauch zu machen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt nun unter anderem wegen des Verdachts des mehrfachen versuchten Mordes.

Der Zugriff am Mittwoch steht in Zusammenhang mit der Großrazzia Anfang Dezember in elf Bundesländern. Damals waren 3000 Polizeikräfte im Einsatz, es gab 25 Festnahmen. Darunter waren auch ehemalige Mitglieder der Sicherheitsbehörden, wie Michael F., bei dem es sich um einen ehemaligen Polizisten aus Hannover handeln soll.

Er sei Mitglied der terroristischen Vereinigung aus dem Reichsbürger-Milieu, der die Razzia galt, und die den Umsturz in Deutschland geplant habe. Bereits im August 2020 soll er auf einer „Querdenken“-Demo in Dortmund aufgefallen und kurz darauf vom Polizeidienst freigestellt worden sein. Laut dem Generalbundesanwalt war er Teil des militärischen Arms der Gruppe.

Einige andere Mitglieder des militärischen Arms hätten in der Vergangenheit aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet. Generell soll die Gruppe aktiv auf die Rekrutierung von Kräften der Bundeswehr und Polizei fokussiert gewesen sein, heißt es. Im November 2022 versuchten die Beschuldigten, zu denen auch Michael F. gehört, in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung zu gewinnen.

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In Hamburg habe es im Jahr 2021 kaum Aktivitäten von Gruppen innerhalb der Reichsbürger-Szene gegeben, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Stattdessen sei die Anzahl der Einzelaktionen gestiegen. Darunter waren insbesondere auch krude Schreiben an Behörden und Politiker mit ideologischem Inhalt oder Drohungen. Und nun eben die Demos: In Hamburg warnt der Verfassungsschutz derzeit vor allem vor Demonstrationen, die von Reichsbürgern und Staatsfeinden organisiert werden. Zuletzt Ende November vor der Demo mit dem Motto: „Freunde der Demokratie sagen „Nein Danke!“: Frieren, Pleiten, Impfpflicht“.

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