Serien-Killer „blonde Bestie“: Die wahre Geschichte hinter dem TV-Spektakel

    Der TV-Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“ läuft zur besten Sendezeit im Ersten. Netflix startet 2021 eine Serie. Und immer geht es um einen der schlimmsten Serienmörder der deutschen Kriminalgeschichte: Kurt-Werner Wichmann (1949-1993), genannt die „blonde Bestie“.

    Mehr noch aber geht es bei den Sendungen um Wolfgang Sielaff (78). Der pensionierte Hamburger Kripochef, dessen Schwester unter den Opfern war, war der Kopf eines kleinen Teams von Experten, das die Mordserie in Eigenregie aufgeklärt hat.

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    Wolfgang Sielaff (78) ließ der Tod seiner Schwester keine Ruhe, er ermittelte auf eigene Faust.

    Foto:

    Quandt

    Sielaffs Geschichte wird nun im Fernsehen frei nacherzählt – im ARD-Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“, der heute um 20.15 Uhr startet. Matthias Brandt spielt den Hamburger LKA-Chef Thomas Bethge, der an den realen Sielaff aber nur angelehnt ist. Im Sommer verschwindet Bethges Schwester spurlos aus ihrem Haus im fiktiven niedersächsischen Weesenburg, in dessen Nähe kurz zuvor zwei Paare im Wald ermordet werden. Der LKA-Mann beißt bei der örtlichen Polizei auf Granit – und beginnt selbst zu ermitteln.

    Lesen Sie hier die Chronologie dieses einmaligen Falls, den die MOPO am 27. Mai 2016 aufdeckte.

    1949:

    Am 8. Juli wird Kurt-Werner Wichmann in Adendorf bei Lüneburg geboren. Er leidet unter seinen gewalttätigen Eltern. Vor allem der Vater soll den Jungen immer wieder geschlagen haben. Das Kind bekommt psychische Probleme, wird selbst gewalttätig.

    1963:

    Die Behörden ordnen die „vorläufige Fürsorgeerziehung“ an. Wichmann kommt ins Jugendheim „Wichern-Stift“. Von dort flüchtet der 14-Jährige, versteckt sich tagelang im Wald.

    1964:

    Wichmann dringt in das Haus einer Nachbarin ein, würgt die Frau und bedroht sie mit einem Messer. Wenig später attackiert der Jugendliche in Bardowick eine Radfahrerin.

    1967: 

    Als Polizisten Wichmann festnehmen wollen, bedroht er sie mit einem Kleinkalibergewehr. Die Beamten schießen dem 18-Jährigen ins Bein. Der kann dennoch flüchten, wird aber dann gefasst und wegen verschiedener Delikte zu einem Jahr Jugendhaft verurteilt.

    Der Serienmörder Kurt-Werner Wichmann nahm sich 1993 das Leben.

    Der Serienmörder Kurt-Werner Wichmann nahm sich 1993 das Leben.

    Foto:

    Privat/hfr

    1968:

    Die 38-jährige Ilse Gerkens radelt durch einen Wald bei Lüneburg, als sie von vier Kugeln aus einem Kleinkalibergewehr in den Rücken getroffen wird. Die Frau stirbt. Wichmann gerät unter Verdacht, seine Wohnung wird durchsucht, aber weiter unternimmt die örtliche Kripo nichts. Das ist der Beginn einer ganzen Reihe von Ermittlungspannen der Kripo Lüneburg.

    1970:

    Wichmann vergewaltigt am Elbe-Seitenkanal eine 17-Jährige, versucht sie zu erwürgen. Die Frau kann sich wehren und überlebt. Der Täter wird gefasst und zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt.

    1974:

    Wichmann wird wegen guter Führung vorzeitig aus dem Gefängnis Wolfenbüttel entlassen. Der Verbrecher zieht in den Raum Karlsruhe, lebt dort drei Jahre bei einer älteren Frau. In dieser Zeit werden hier mehrere junge Frauen, teilweise waren sie per Anhalter unterwegs, ermordet. Die Fälle werden nie aufgeklärt.

    1980:

    Wichmann erbt das Haus seiner Eltern und dazu 15 000 Quadratmeter Land. Der Mörder hat inzwischen geheiratet. Er arbeitet als Autohändler und Gärtner. Im Elternhaus richtet er ein „verbotenes Zimmer“ ein, das auch seine Ehefrau nicht betreten darf. Die Tür ist schallgedämpft und es gibt eine versteckte Klappe, die direkt in die Garage führt.

    1989:

    Die 41-jährige Birgit Meier aus Brietlingen bei Lüneburg verschwindet spurlos. Sie ist die Schwester des damaligen Hamburger Kripochefs Wolfgang Sielaff. Ihm ist sofort klar, dass hier von einem Verbrechen ausgegangen werden muss. Doch die örtlichen Ermittler nehmen seine Hinweise nicht ernst. Fast zeitgleich werden in der Göhrde in der Nähe von Lüneburg vier Menschen erschossen. Heute ist klar: Es war Kurt-Werner Wichmann, der in dem ausgedehnten Waldgebiet offenbar regelrecht auf Menschenjagd gegangen war.

    Birgit Meier

    Birgit Meier wurde 1989 von Kurt-Werner Wichmann entführt und ermordet.

    Foto:

    hfr

    1993:

    Erst jetzt wird die örtliche Kripo aktiv, durchsucht das Haus Wichmanns. Er hatte auf dem Nachbargrundstück von Birgit Meier gearbeitet. Im „geheimen Zimmer“ werden Verstecke in den Wänden und Geheimfächer in Schränken entdeckt. Dort findet die Kripo zwei Kleinkalibergewehre, Handschellen, Messer, weitere Waffen und starke Medikamente, mit denen Menschen betäubt werden können. Leichenspürhunde schlagen an. Bei einer weiteren Durchsuchung wird im Garten ein vergrabener Ford Probe entdeckt. Wichmann kann nach Süddeutschland flüchten. Seiner Frau hatte er gesagt: „Es ist besser, du weißt nicht, was ich vorhabe.“

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    Bei Heilbronn baut er einen Verkehrsunfall. Polizisten finden in seinem Auto Teile einer Maschinenpistole und Munition. Wichmann kommt in Haft. Dort erhängt er sich am 25. April 1993 in der Zelle. In Abschiedsbriefen deutet er an, dass er auf seinem Grundstück in Adendorf etwas vergraben hat. Die Briefe enden mit: „Bitte denkt nicht nur an meine schlechten Seiten. Gott sei mir gnädig.“ Trotz eindeutiger Hinweise schließt die Lüneburger Kripo die Akte Wichmann, weil man gegen Tote nicht ermitteln kann. Die vielen ungeklärten Mordfälle und das Leid der Angehörigen beachten die Kripoleute nicht.

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    In dieser Grube in Wichmanns Garage wurden die sterblichen Überreste von Birgit Meier entdeckt.

    Foto:

    Hirschbiegel

    1997:

    Wolfgang Sielaff wird als stellvertretender Polizeipräsident in Hamburg pensioniert. Für ihn war der Fall Wichmann natürlich nicht mit dessen Tod erledigt. Er startet eine eigene Ermittlung und schart über die Jahre alte Kollegen und Weggefährten um sich: Ex-LKA-Chef Reinhard Chedor, die Kriminalpsychologin Claudia Brockmann, den bekannten Gerichtsmediziner Dr. Klaus Püschel, einen Ex-Generalstaatsanwalt und den Strafverteidiger Gerhard Strate. Das private Ermittlerteam ist davon überzeugt, dass Wichmann einer der aktivsten Serienmörder Deutschlands war und möglicherweise Dutzende Menschenleben auf dem Gewissen hat.

    2015:

    Nach langem Taktieren und Hinhalten wird endlich auch bei der zuständigen Polizei in Lüneburg reagiert. Eine Ermittlungsgruppe rollt den Fall Birgit Meier neu auf.

    2017:

    Die Lüneburger Beamten durchsuchen im März das inzwischen verkaufte Haus des Serienmörders, finden nichts. Die Kripo erklärt: „Wir können nach allen kriminalistischen Gesichtspunkten ausschließen, dass hier eine Leiche liegt.“ Ein halbes Jahr später findet Wolfgang Sielaff selbst hier die sterblichen Überreste seiner Schwester. Die Besitzer des Hauses hatten ihm erlaubt, mit seinem Team auf eigene Faust zu suchen. Nun werden auch in Lüneburg endlich die Ermittlungen forciert. Nach einem DNA-Abgleich ist klar: Wichmann hat sowohl Birgit Meier als auch 1989 die vier Menschen in der Göhrde ermordet.

    2018:

    Ein Zeuge meldet sich, dem vor Jahren ein Koffer aus dem Besitz Wichmanns zur Verwahrung übergeben wurde. Er übergibt den Koffer der Polizei. Der Inhalt: zwei Schusswaffen und Munition.

    2019:

    Die Lüneburger Polizei fordert alle deutschen Polizeidienststellen auf, ungeklärte Mordfälle aus der Zeit, in der Wichmann aktiv war, zu melden. Bis jetzt sind mehr als 250 Meldungen eingegangen. Da die Fälle aber mindestens 27 Jahre zurückliegen, ist es extrem schwer für die Ermittler, weiterzukommen.

    2020:

    Die Polizei Lüneburg selbst erschwert wieder einmal die Ermittlungen. Obwohl er weitermachen möchte, soll Chef-Ermittler Jürgen Schubbert (61) Anfang 2021 in Pension gehen. Doch Schubbert steckt in dem Fall wie kein anderer. Und hunderte Spuren müssen noch verfolgt werden. Die Polizei kann jederzeit Beamte auf freiwilliger Basis auch über das Pensionsalter von 60 hinaus noch jahrelang weiter beschäftigen. Was steckt hinter der Weigerung? Die Polizeidirektion Lüneburg äußerte sich auf MOPO-Nachfrage nicht. Schubbert gilt als unbequem, außerdem hat er gute Kontakte zur Politik in der Landeshauptstadt Hannover.

    Weiterhin ist Schubbert als stellvertretender Landesvorsitzender im Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) aktiv. Der BDK liegt regelmäßig mit Behördenleitungen im Clinch.

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