St. Pauli sorgt für Aufsehen! Hier ist der Kiezklub international an der Spitze
Kein Umsturz, keine Spaltung, keine Abstrafung, aber verbaler Gegenwind und heiße Diskussionen. Der FC St. Pauli geht aus der emotionalen Mitgliederversammlung nicht zerrüttet hervor und die Vereinsführung nicht entscheidend geschwächt, aber mit Denkzetteln und Hausaufgaben ins kommende Jahr. Mit einem neugewählten Aufsichtsrat, der nicht nur im deutschen, sondern auch internationalen Profi-Fußball seinesgleichen sucht. Besser gesagt: ihresgleichen.
Der Kiezklub bleibt trotz der Explosion und den Nachbeben durch die Freistellung von Trainer Timo Schultz stabil. Diskussionsfreudig, leidenschaftlich, teilweise turbulent, aber vorwiegend konstruktiv ging es zu. Und: Das Internet ist nicht das reale Vereinsleben. Das sind die Erkenntnisse nach der mit Spannung und Ungewissheit erwarteten und letztlich achtstündigen Marathonsitzung am Samstag im CCH.
1250 Mitglieder kamen zu St.Paulis Jahreshauptversammlung
„Die Mitgliedschaft des FC St. Pauli lebt und das war ein ganz wichtiges Zeichen der Partizipation“, sagte Präsident Oke Göttlich nach der Sitzung vor rund 1250 Mitgliedern in kleiner Runde. Er sei „dankbar“ für die weitestgehend sachlichen Diskussionen und das „kritische Feedback. Davon nehmen wir mit Sicherheit etwas mit, auch in unser tägliches Handeln“, sagte Göttlich, der erleichtert wirkte.
Zwei Themen dominierten die sehr gut besuchte MV und sorgten für lange und hitzige Wortbeiträge. Zum einen besagter Rauswurf von Schultz, zum anderen die noch immer nicht erfolgte Einführung eines Tarifvertrages, obwohl die Vereinsführung per Mitgliedervotum vor einem Jahr beauftragt worden war, sich „zeitnah“ zu kümmern. Das Wort „Skandal“ fiel. Das Präsidium versicherte, das Thema zu forcieren mit dem Ziel, im Sommer 2023 einen Tarifvertrag für die 180 Festangestellten zu haben.
St.Pauli-Präsident Göttlich wird hart kritisiert
Harte Worte musste sich Göttlich bei seiner Rede (Bericht des Präsidums) anhören. Als er gleich zu Beginn auf die Freistellung von Schultz zu sprechen kam, dem Ex-Coach dankte und als „echten St. Paulianer“ bezeichnete, gab es Pfiffe und wütende Zwischenrufe wie „Heuchler“, was zu harschen Widerworten im Saal führte.
Das könnte Sie auch interessieren: Neuer Anlauf oder Abschied? So plant St. Pauli mit Matanovic
Göttlich konterte: „Wir spielen nicht schmutzig. Wir wollen unserer Verantwortung gerecht werden. Wir sind fest davon überzeugt, dass ein Wechsel auf der Trainerposition hilft.“ Vom heftigen Proteststurm und den Umsturz-Fantasien in den sozialen Netzwerken war auf der Versammlung der Mitglieder nur wenig zu spüren. Es war eher ein Stürmchen, was nicht bedeuten soll, dass Kritik nicht angebracht war.
Die schärfste Attacke ritt Aufsichtsratskandidat Joachim Weretka, der Göttlich und Sportchef Bornemann für den Schultz-Rauswurf direkt angriff: „Oke und Andreas, ihr habt die Sache nur noch schlimmer gemacht. Ihr habt Schulle nicht nur rausgeschmissen, ihr habt ihn auch demontiert. Darüber wundert sich ganz Fußball-Deutschland.“ Dafür gab es Applaus, aber es war eine Minderheit im Saal und Weretka verpasste den Sprung in den Aufsichtsrat klar. Ob es das Meinungsbild unter den insgesamt 35.000 Mitgliedern widerspiegelt, ist eine andere Frage.
Diese Kandidat*innen schafften den Sprung in den Rat
Eine Art Revolution war die Aufsichtsratswahl – aus einem anderen Grund. Vier der sieben Posten werden ab sofort von Frauen besetzt, die in der Mehrheit sind. Die Kandidatinnen überzeugten inhaltlich. Ihre Wahl sorgt für ein neues „Innen-Verhältnis“ im Rat. „Das ist ein sensationelles Ergebnis – nicht, weil es Frauen sind, sondern eine starke inhaltliche Aufstellung“, betonte Göttlich.
Die meisten Stimmen erhielt Kathrin Deumelandt (612) vor Inga Schlegl (525), Sandra Schwedler (519), René Born (335), Anna-Maria Hass (322), Philippe Niebuhr (289) und Sönke Goldbeck (280). Neben der amtierenden Vorsitzenden Schwedler wurden auch Niebuhr und Goldbeck wiedergewählt. Kontinuität und frischer Wind.