„freiRaum Ottensen“: Hat das autoarme Projekt noch eine Chance?
Eins wird klar: Das Thema ist emotional besetzt. „freiRaum Ottensen“, das Vorzeigeprojekt im Bezirk Altona, will weniger Platz für Autos, dafür umso mehr für Fußgänger und Radfahrer. Doch so einfach es klingt, so schwierig ist die Umsetzung: Viele Interessen müssen dabei berücksichtigt werden, einige Anwohner fühlen sich ungerecht behandelt, es gibt Angst vor der Entstehung eines neuen Partyviertels, Lieferprobleme plagen Gastronomen, Händler fürchten negative Folgen, und der rechtliche Rahmen macht es den Verkehrsplanern zusätzlich schwer. Beim MOPO-Talk diskutierten Altonas Bezirkschefin Stefanie von Berg (Grüne), Verkehrsforscher Wolfgang Maennig, Projektbeiratsvorsitzender und Gastronom Stephan Fehrenbach und Heiko Weidemann, Mitglied der Initiative „OttenserGestalten“, über die Zukunft des Projekts – und was noch zu tun ist.
Schon vor Beginn der Veranstaltung war das „Gausz“ in Ottensen bis auf den letzten Platz gefüllt, Nachzügler quetschten sich mühsam dazwischen, hier und da wurde noch ein Stuhl dazugestellt. Schon bei der Vorstellungsrunde konnten es einige Zuschauer, darunter viele Anwohner, kaum abwarten, ihre Fragen an die Podiumsgäste loszuwerden.
Während der Diskussion ging dann des öfteren ein Raunen durch die Reihen, mehrmals wurde um Ruhe gebeten. „Wie wollen Sie sicherstellen, dass aus Ottensen kein Partyviertel wird?“, gibt eine Besucherin in der Fragerunde schließlich zu Bedenken. Bezirkschefin von Berg antwortet, dass das Aufgabe der Polizei sei, die bei zu großem nächtlichen Lärm gerufen werden könne. Das reicht den Anwesenden nicht, einige protestieren lautstark, erheben sich sogar teilweise von den Stühlen. „Das war doch keine Antwort“, grummelt einer der Anwesenden laut vor sich hin. Fehlende Beteiligung wird moniert, das Übergehen von Bedenken, manche lehnen es schlicht ab, nicht mehr mit dem Auto vor die Haustür fahren zu können.
Wir haben den Talk-Gästen drei Fragen gestellt, auf die sie hier antworten.
Hat der Traum vom autoarmen Ottensen überhaupt noch eine Chance?
Stefanie von Berg
Wir haben sehr lange an dem Fundament des Projekts gearbeitet. Jetzt sind wir so weit, dass das Verkehrskonzept fertig ist, und wir haben auch die ersten Gelder eingefahren. Deshalb bin ich total zuversichtlich, dass wir – mithilfe einer breiten Beteiligung in Bevölkerung und Politik – das Projekt tatsächlich umsetzen. Das Ergebnis wird gut sein für das Quartier, indem wir hier einen gesünderen und besseren Lebensraum für die Menschen schaffen.
Heiko Weidemann
Ja, auf alle Fälle. Das ist von der Bezirksversammlung beschlossen worden und wird jetzt auch durchlaufen. Es kann hin und wieder kleine Rückschläge geben, wie zum Beispiel mit der Großen Brunnenstraße. Dort gab es ja den Widerspruch gegen die Sperrung für Autos, da muss man jetzt sehen, wie es weitergeht. Aber insgesamt gehe ich davon aus, dass es klappt.
Wolfgang Maennig
Die politischen Mehrheiten sind da, rechtlich wird es auch gehen, das wird man entsprechend geprüft haben. Die Finanzen sind noch nicht ganz sicher, aber sehr wahrscheinlich. Deshalb halte ich es für sehr denkbar, dass es zu dem Projekt kommen wird.
Stephan Fehrenbach
Wenn wir auf die Zukunft schauen, dann werden wir immer mehr auf den Individualverkehr in den Städten verzichten müssen. Was an dem Projekt allerdings wünschenswert wäre: dass nicht alles in Stein gemeißelt wird, sondern dass man den Anwohnenden und Handwerkern Möglichkeiten bietet, das Projekt auch für sie in gute Wege zu bringen.
Was sind noch ungelöste Probleme des Projekts?
Stefanie von Berg
Einige Bürger haben Sorge, dass Ottensen durch die Verkehrsberuhigung zu einer Partymeile wird. Das kann ich aus den Erfahrungen mit der Schanze auch verstehen. Umso wichtiger ist es, solchen Ängsten zu begegnen. Das Gleiche gilt für die Mieten: Ich kann nicht ausschließen, dass diese weiter steigen, das wird aber nicht von der Verkehrsberuhigung abhängen. Das schärfste Schwert, das wir dagegen haben, ist die soziale Erhaltungsverordnung. Damit können zum Beispiel Mietwohnungen nicht mal einfach so in Eigentumswohnungen umgewandelt werden.
Heiko Weidemann
Wir als Initiative empfinden das autoarme Projektgebiet im Inneren des Stadtteils als zu klein und würden das gerne erweitern. Denn wir haben Bedenken, dass nach Umsetzung von „freiRaum Ottensen“ der Elan der Verwaltung nachlässt – und was passiert dann mit dem Rest? Die Klimakrise sitzt uns im Nacken, deshalb reicht das noch nicht.
Wolfgang Maennig
Aus meiner Sicht ist es das Wichtigste, dass diese Umwandlungen nicht endgültig festgeschrieben werden. Nach fünf oder sechs Jahren könnte man zum Beispiel schauen, was richtig oder falsch gelaufen ist und entsprechend reagieren. Dazu müsste diese wissenschaftliche Evaluation jetzt schon starten, damit ein ordentliches Vorher-Nachher-Bild entstehen kann.
Stephan Fehrenbach
Vieles, was bei dem Projekt im Raum steht – zum Beispiel breite Gehwege ohne Gastronomie – verleidet mir auch die Lust am Wirtschaften. Wir sind keine Kioske, bei denen die Menschen unbegrenzt und rund um die Uhr Alkohol kaufen können. Ich bin ein starker Verfechter vom betreuten Trinken: Ich passe auf meine Gäste auf, dass keiner über die Stränge schlägt. Und um 23 Uhr müssen wir sowieso draußen zumachen.
Können alle Menschen für so einen Verkehrsversuch begeistert werden?
Stefanie von Berg
Grundsätzlich hatten wir einen sehr breit ausgelegten Beteiligungsprozess. Wir haben Umfragen gemacht, Stadtspaziergänge und sind immer wieder mit allen Bevölkerungsgruppen ins Gespräch gekommen. Das Fazit ist, dass 83 Prozent der Bürgerinnen und Bürger die Veränderung befürworten. Aber es gibt eben auch Menschen, die die Verkehrswende überhaupt nicht wollen und sich in ihrer Freiheit beschnitten fühlen.
Heiko Weidemann
Wir würden uns natürlich wünschen, dass sich viel mehr Menschen in Initiativen engagieren und so mehr Stimmen gehört werden. Auch diejenigen, die gegen das Projekt sind. So kann man Probleme frühzeitig erkennen und ausräumen.
Wolfgang Maennig
Das Problem an Bürgerbeteiligungen – nicht nur in Hamburg – ist ja, dass sich nicht alle Bevölkerungsgruppen daran beteiligen. Dadurch werden einzelne Gruppierungen bevorteilt, während andere hinten runterfallen. Im Prinzip unterscheidet sich das nicht viel von den alten Römern, wo die alten Herren alle Entscheidungen getroffen haben. Das zu lösen, ist ganz schwierig. Es gibt aber erste Apps, die entwickelt worden sind, eine derartige komplexe Stadtteilentwicklung zugänglicher für alle zu machen.
Stephan Fehrenbach
Das Wichtigste ist, nichts in Stein zu meißeln, sondern einen dynamischen Prozess aufrecht zu erhalten. In unserem Beirat haben wir 16 verschiedene Interessengruppen, das ist ja auch eine Form der Bürgerbeteiligung. Wir bleiben natürlich für alle jederzeit ansprechbar, um mit eventuellen Konflikten umgehen zu können.
Die nächsten Info-Termine zum Projekt:
- Samstag, 18. Februar 2023, 10-13.00 Uhr: Workshop „Ottenser Kreuz“
- Mittwoch, 22. Februar 2023, 15-19.00 Uhr: „Offener Redestand“ in Ottensen