Laienrichter in Hamburg: „Risikofaktor“ – aber wichtig für die Demokratie
Schöffen entscheiden wie Berufsrichter über Schuld und Strafe bei Gerichten. Dabei haben sie kein Fachwissen und kennen die Prozessakten nicht. Tausende Laienrichter werden in diesem Jahr in Hamburg neu gewählt. Sind sie mit ihrer Aufgabe überfordert?
Die Hamburger Strafgerichte suchen wieder ehrenamtliche Richter. 4200 Schöffen für die Strafkammern am Land- und den acht Amtsgerichten sollen in diesem Jahr gewählt werden. Dafür werden nach Angaben eines Gerichtssprechers 9800 Kandidaten gebraucht. Die Bewerbungsfrist läuft bis Ende März, die Amtszeit geht vom 2024 bis 2028. Zuständig für die Wahl sind die Schöffenwahlausschüsse an den Amtsgerichten.
Schöffen sind wichtiges Element für Demokratie
Die Beteiligung ehrenamtlicher Richter ist nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung ein wichtiges Element der Demokratie. Alle Staatsgewalt geht laut Grundgesetz vom Volke aus, auch in der Rechtsprechung. Die Laienrichter gelten als die Vertreter des Volkes bei den Gerichten. Sie sollen dafür sorgen, dass die Justiz lebensnah handelt und Gerichtsverfahren auch für Nicht-Juristen verständlich sind. Außerdem soll das Vertrauen der Bürger in die Justiz gestärkt werden.
Sie seien aber auch ein „Risikofaktor“ und „Einfallstor für Komplikationen“, sagt der ehemalige Vorsitzende Richter am Landgericht Hamburg, Joachim Bülter. Als Beispiel nennt er einen Schöffen, der einfach nicht zur Urteilsberatung kam, weil er tablettensüchtig war. Dabei ist die Verantwortung der Schöffen groß. Verfahren können platzen, wenn Termine nicht eingehalten werden. Bei Entscheidungen über Schuld und Strafe gilt in den Kammern die Zweidrittelmehrheit. In einer Großen Strafkammer mit drei Berufs- und zwei Laienrichtern kommt eine Verurteilung nur mit einer 5:0- oder 4:1-Entscheidung zustande. Bei 3:2 wird der Angeklagte freigesprochen.
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Mit ihren Aufgaben seien die Schöffen gerade in Großen Strafkammern am Landgericht oft völlig überfordert, auch wenn sie gut gebildet seien, meint Bülter. Die Verfahren dauerten manchmal länger als ein Jahr, könnten 30 Anklagepunkte umfassen und seien hochkomplex. Zu Beginn seiner Amtszeit am Landgericht hätten oft vier Bände an Akten genügt. Heute kämen die Akten in Kartons. Die Schöffen dürften allerdings gar keine Einsicht nehmen. Sie sind bei ihren Entscheidungen allein auf das angewiesen, was sie im mündlichen Verfahren gehört haben. „Das Schöffensystem kommt aus dem 19. Jahrhundert. Die Gerichtswirklichkeit hat sich massiv verändert“, sagt Bülter. Man könne nur versuchen, die Schöffen im Rahmen des gesetzlich Erlaubten „upzudaten“.
Der ehemalige Kammervorsitzende verweist darauf, dass in den Senaten am Oberlandesgericht nur Berufsrichter sitzen, weil die verhandelten Anklagen – etwa Staatsschutzdelikte wie Terrorismus – als zu komplex gelten. Ein Prozess wegen Kapital- oder Drogendelikten am Landgericht sei aber meist nicht weniger kompliziert. Über die Sinnhaftigkeit der Schöffenbeteiligung in Großen Strafkammern könne man diskutieren. An Amtsgerichten seien die Mitwirkungsmöglichkeiten für Laienrichter größer.
Laienrichter nur begrenzt mit Einfluss auf die Rechtssprechung
Bülter hat es allerdings nichts ausgemacht, mit unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten. „Man muss sie ein bisschen an die Hand nehmen“, betont er. „Mir war immer wichtig, dass die Schöffen zumindest in die Lage versetzt werden, sich ein Urteil zu bilden.“ Die idealtypische Vorstellung, dass Laienrichter Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen, werde nur begrenzt erfüllt. Als Vorsitzender einer Wirtschaftsstrafkammer hat Bülter allerdings auch mal erlebt, dass eine Bilanzbuchhalterin eines Kreditinstituts eine große Hilfe als Schöffin war. „Die war Gold wert.“
Sehr gerne nimmt auch Jessica Kollhorst ihr Schöffenamt wahr. Sie sei durch Zufall als Kandidatin ausgewählt worden, sagt die Hamburger Sozialversicherungsangestellte. Gleich in ihrem ersten Verfahren sei es um den Schmuggel von einer Tonne Kokain gegangen. „Das war wirklich spannend.“ Ihr sei es wichtig, die menschlichen Aspekte einzubringen. „Auf Richterebene mitspielen zu wollen, wäre vermessen“, meint Kollhorst. Als Nicht-Juristin wisse sie gar nicht, welches Strafmaß das Gesetz jeweils vorschreibe.
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Die Urteile würden im Namen des Volkes gesprochen. „Allein für diesen Satz ist die Beteiligung von Schöffen notwendig“, ist Kollhorst überzeugt. In den Urteilsberatungen habe sie schon heiße Diskussionen über drei, vier oder fünf Stunden erlebt. „Bisher kamen wir Gott sei dank immer einig raus.“ Weil sie sich bei ihren Entscheidungen allein auf das Gehörte verlassen muss, schreibt Kollhorst in den Verhandlungen fleißig mit. Einmal konnte sie damit auch einer Berufsrichterin helfen, der etwas unklar geblieben war. Über ihre Tätigkeit sagt die 45-Jährige: „Das ist eine sehr ehrenvolle Aufgabe, die tatsächlich auch Spaß macht.“