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AfD sorgt für Wahl-Beben in Thüringen: Linke-Chefin reagiert mit eindeutiger Geste

Erfurt –

Es ist ein politisches Beben, dessen Schockwellen weit über Thüringen hinaus zu spüren sein dürften. Gut dreieinhalb Monate nach der Landtagswahl ist völlig überraschend und mit Stimmen der AfD der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden.

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Er setzte sich bei der Abstimmung am Mittwoch im Landtag in Erfurt im entscheidenden dritten Wahlgang auch mit Stimmen von CDU und der AfD von Parteichef Björn Höcke gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durch. Der von der AfD aufgestellte parteilose Kandidat Christoph Kindervater erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme.

Wahl in Thüringen: Entscheidung fiel knapp aus

Die Entscheidung zwischen Kemmerich und Ramelow fiel denkbar knapp aus. Auf den bisherigen Regierungschef entfielen 44 Stimmen, Kemmerich erhielt 45 Stimmen. Es gab eine Enthaltung.

Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sagte am Mittwoch im MDR: „Das ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt wurde.”

Kemmerich ist erst der zweite Ministerpräsident der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik. Der liberale Politiker Reinhold Maier war von 1945 bis 1952 Ministerpräsident von Württemberg-Baden und dann von April 1952 bis September 1953 Regierungschef des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg.

Landtagswahl-Thueringen-Ergebnis

Das Ergebnis der letzten Landtagswahl in Thüringen.

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Die Thüringer FDP hatten den Einzug ins Parlament bei der Wahl im vergangenen Herbst nur denkbar knapp geschafft und die Fünf-Prozent-Hürde um nur 73 Stimmen übersprungen. Ramelows angepeiltes Bündnis von Linke, SPD und Grünen verfügte nach dem Urnengang nur noch über 42 von 90 Mandaten im Landtag.

Allerdings hatten Christdemokraten und Liberale kategorisch ausgeschlossen, mit der von Fraktionschef Björn Höcke geführten AfD zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kommen die drei Fraktionen auf 48 Sitze.

Wahl-Beben in Thüringen: So geht es mit der Regierung weiter

Ramelow hatte eigentlich eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen unter seiner Führung angepeilt. Wegen der fehlenden Mehrheit hatte auch die AfD mit dem parteilosen Kindervater einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt. Nachdem Ramelow in den beiden ersten Wahlgängen erwartungsgemäß die absolute Mehrheit verfehlt hatte, warf Kemmerich im dritten Wahlgang ebenfalls seinen Hut in den Ring.

Thüringens neuer Ministerpräsident will mit CDU, SPD und Grünen eine neue Regierung bilden. Er wolle eine Regierung der Mitte, sagte er am Mittwoch im Erfurter Landtag. SPD und Grüne haben einer Zusammenarbeit mit einer Regierung unter Kemmerich jedoch bereits eine Absage erteilt. 

Zudem hat sich Kemmerich – begleitet von Zwischenrufen – von den Linken und der AfD abgegrenzt: „Die Brandmauern gegenüber der AfD bleiben bestehen.“ Es werde weder eine Koalition noch ein Angebot für eine Zusammenarbeit geben. „Ich bin Anti-AfD, ich bin Anti-Höcke“, sagte Kemmerich. Die Brandmauer gebe es auch gegenüber der Linken.

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Mit einer symbolträchtigen Geste bringt Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow ihren Frust zum Ausdruck: Sie warf dem neuen Ministerpräsidenten Kemmerich (FDP) den Blumenstrauß vor die Füße.

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Im Parlament war seine erste Rede von Zwischenrufen – vor allem aus den Reihen der Linken – begleitet worden. Abgeordnete riefen ihm „Scheinheilig!“ oder „Scharlatan!“ zu.

Linken-Chefin wirft Thüringens Ministerpräsident Blumen vor die Füße

Aus Protest gegen die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum neuen Ministerpräsidenten von Thüringen hat Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow ihm einen Blumenstrauß vor die Füße geworfen. Was heute im Landtag passiert sei, sei „von langer Hand geplant“ gewesen, sagte sie im Erfurter Landtag.

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Juso-Chef Kevin Kühnert schrieb auf Twitter in Richtung CDU und FDP: Der AfD „zu echter Macht verholfen zu haben“, werde für immer mit diesen Parteien verbunden sein.

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Mit einem Trick und Zockerei stelle die FDP nun den Regierungschef. Nun sei „ein Fünf-Prozent-Mensch“ Ministerpräsident, der sich mit den Stimmen einer extrem rechten Partei ins Amt habe wählen lassen. Sie schäme sich für Kemmerich.

Thomas Kemmerich neuer Ministerpräsident: Erste Politiker fordern Neuwahlen in Thüringen

Kaum war die Wahl vorbei wurden erste Rufe nach Neuwahlen laut. Zunächst brachte die FDP-Chef Christian Lindner ins Spiel, für den Fall, dass es im Erfurter Landtag eine politische Blockade gebe und die anderen Parteien nicht mit der FDP-Regierung kooperieren würden. „Dann wären baldige Neuwahlen zu erwarten und aus meiner Sicht auch nötig“, sagte Lindner.

Auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemak sprach sich für Neuwahlen aus. Die Wahl des Ministerpräsidenten von der FDP in Erfurt, mit den Stimmen der AfD sei keine Grundlage für „bürgerliche Politik“, sagte Ziemak. Und weiter: „Die FDP hat mit dem Feuer gespielt und hat heute Thüringen politisch und unser ganzes Land in Brand gesetzt.“

Die Thüringer CDU-Fraktion möchte Neuwahlen jedoch vermeiden, wie ein Sprecher am Mittwochabend erklärte.

Das Präsidium der Bundes-CDU hat dagegen einstimmig Neuwahlen in Thüringen empfohlen. Dies sagte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwochabend. Zuvor hatte sie ihren Parteikollegen in Thüringen bereits vorgeworfen, bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten gegen die Beschlusslage der Partei verstoßen zu haben.

Bernd Riexinger (Linke) zu Wahl von Thomas Kemmerich (FDP): „Tabubruch”

Viele Politiker zeigten sich nach Kemmerichs Wahl zum Ministerpräsidenten Thüringens entsetzt: Der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, hat die Wahl des FDP-Politikers als „Tabubruch” bezeichnet. „Wie weit sind wir gekommen, dass die FDP einen Ministerpräsidenten Kemmerich wählen lässt mit den Stimmen des Faschisten Höcke und der AfD? Das ist ein Tabubruch, der weitreichende Folgen haben wird”

SPD-Chef Walter-Borjans spricht von „unverzeihlichem Dammbruch”

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat CDU und FDP vorgeworfen, in Thüringen einen „unverzeihlichen Dammbruch” ausgelöst zu haben. „Dass die Liberalen den Strohmann für den Griff der Rechtsextremisten zur Macht geben, ist ein Skandal erster Güte” schrieb Walter-Borjans am Mittwoch auf Twitter. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach von einem „Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte.”

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat schnelle Antworten von der CDU verlangt. „Was in Erfurt passiert ist, war kein Zufall, sondern eine abgekartete Sache”, schrieb der Finanzminister auf Twitter. Eine Zusammenarbeit mit der AfD von Landesparteichef Björn Höcke sei für die SPD „absolut unakzeptabel”.

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Bodo Ramelow (Die Linke), ehemaliger Ministerpräsident von Thüringen, und Susanne Hennig-Wellsow, Fraktionsvorsitzende Die Linke

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Juso-Chef Kevin Kühnert hat CDU und FDP ebenfalls vorgeworfen, bei der überraschenden Ministerpräsidentenwahl in Thüringen einen Tabubruch begangen zu haben. Der AfD „zu echter Macht verholfen zu haben“, werde für immer mit diesen Parteien verbunden sein, schrieb der SPD-Vize am Mittwoch auf Twitter. „Die Masken sind gefallen.“ Nun sei Wachsamkeit das Gebot der Stunde. 

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Bodo Ramelow gestürzt, er war seit 2014 Regierungschef in Thüringen

Auch aus der FDP selbst gab es kritische Stimmen: „Ich schätze Thomas Kemmerich persönlich. Ich verstehe seinen Wunsch, Ministerpräsident zu werden. Sich aber von jemandem wie Höcke wählen zu lassen, ist unter Demokraten inakzeptabel & unerträglich. Es ist daher ein schlechter Tag für mich als Liberale“, schrieb die Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf Twitter.

Der Berliner CDU-Fraktionschef Burkard Dregger stellte dagegen klar: „Das ist eine demokratische Entscheidung, die nicht zu kritisieren ist. Einen Grund für Neuwahlen sehe ich nicht. Der Wähler hat entschieden, die Parteien müssen damit umgehen und haben das am Mittwoch im Landtag getan.“

Ramelow war seit 2014 Regierungschef des Freistaats und der erste Ministerpräsident der Linken in Deutschland. Doch obwohl seine Partei mit 31 Prozent die Wahl im Herbst 2019 klar gewonnen hatte, ging die Mehrheit der bisherigen Regierung von Linke, SPD und Grünen verloren. Dennoch hatten die bisherigen Koalitionspartner am Dienstag einen neuen Regierungsvertrag unterschrieben. (dpa/mg)

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