„Fast wie im Bürgerkrieg“: Als Tausende Punker Hannover verwüsteten
Hannover –
Vor 25 Jahren versetzten randalierende Punker Hannover über Tage in einen Ausnahmezustand. Bei Ausschreitungen während der berüchtigten Chaostage wurden 400 Menschen verletzt. Die Bilder gleichen den aktuellen Ausschreitungen von Stuttgart und Frankfurt, aber gibt es Parallelen?
Gruppen randalierender junger Leute, geplünderte Läden und Polizeikräfte, die in die Defensive geraten – die Bilder, die vor 25 Jahren von den Chaostagen in Hannover um die Welt gingen, ähneln denen der jüngsten Krawalle in Stuttgart und Frankfurt. Gemein haben die Gewaltausbrüche aber nur, dass sie Polizisten zur Zielscheibe hatten, die Hintergründe sind laut Experten verschieden.
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Die berüchtigten Chaostage, ein regelmäßiges Punkertreffen, versetzte Hannover vom 3. bis 6. August 1995 in einen Ausnahmezustand. Bei Ausschreitungen wurden über 400 Menschen verletzt, Hannover geriet weltweit in die Negativschlagzeilen.
Die Chaostage begannen bereits 1982. Punker wollten sich damit damals gegen eine „Punker-Datei“ der Polizei zur Wehr setzen. Von da an gab es jährlich Punker-Treffen, teils mit Gewalt. 1995 dann mehrten sich Aufrufe zur Teilnahme mit Parolen wie „Tötet alle Bullen“ oder „Wir legen die Stadt in Schutt und Asche“.
Chaostage in Hannover – „Der Polizeieinsatz damals war ein Desaster“
Anfang August kamen rund 1500 bunthaarige und autonome Menschen aus dem In- und Ausland nach Hannover und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Als Konsequenz trat der damalige Polizeipräsident zurück.
Nachfolger Hans-Dieter Klosa setzte 1996 auf Stärke und bereitete den Chaostagen für immer ein Ende. „Das war fast wie im Bürgerkrieg“, erinnerte sich Klosa später. Punks warfen mit Pflastersteinen, errichteten brennende Barrikaden, plünderten stundenlang einen Supermarkt – und die Polizei sah hilflos zu. „Der Polizeieinsatz damals war ein Desaster“, meinte Klosa, der seinerzeit Chef der Landesbereitschaftspolizei war. „Bilder vom brennenden Hannover gingen um die Welt und haben das Image der Stadt schwer beschädigt.“
Lassen sich Randale in Frankfurt und Stuttgart mit den „Chaostagen“ vergleichen?
„Die Parallele ist das Geschehen, dass Geschäfte entglast werden, wie die Autonomen sagen. Dass es Auseinandersetzungen mit der Polizei gibt, dass möglicherweise etwas angezündet wird“, sagt der Sozialwissenschaftler Bernhard Heinzlmaier vom Wiener Institut für Jugendkulturforschung.
„Der große Unterschied ist aber: Bei diesen Chaostagen hat es politische Forderungen gegeben – in Wirklichkeit war das eine offene politische Manifestation und von Gruppen auch getragen, die gesagt haben: Zur Durchsetzung meiner politischen Ziele nehme ich auch Gewalt in Kauf. Was wir heute haben, würde ich nicht als politische Bewegung sehen, sondern das sind spontane Manifestationen von einer Gruppe junger Menschen, die einfach auf der Suche nach Intensität sind.“
„Corona-Verlierer“ verstärkt an Randalen beteiligt
Der Ausbruch aus den monatelangen Spannungen in der Corona-Krise habe eine Rolle gespielt, es habe sich um eine unpolitische spontane Entladung von Spannungen gehandelt – „irgendwo explodiert das Ganze dann, man will ein Abenteuer als Streetfighter erleben“. Eine Rolle habe auch gespielt, dass die Diskussion über die Polizei vor dem Hintergrund der „Black Lives Matter“-Bewegung eskaliert sei. Das habe eine Eigendynamik entwickelt.
Den Punkt sieht auch der hannoversche Kriminologe Christian Pfeiffer. Der ungerechtfertigte Generalverdacht, die deutsche Polizei sei latent rassistisch, sei insbesondere bei jungen Migranten auf fruchtbaren Boden gefallen, die noch keine lange Erfahrung mit der deutschen Polizei haben.
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Diese Gruppe – „Corona-Verlierer“, wie Pfeiffer sagt – sei verstärkt an den Krawallen in Stuttgart und Frankfurt beteiligt gewesen. In der Krise hätten sie möglicherweise ihre prekäre Beschäftigung und ihr Einkommen eingebüßt, angesichts geschlossener Sportclubs und Diskotheken habe sich dann ein „Totalfrust“ entladen.
Unabhängig davon aber werde es wohl immer Gewaltausbrüche von jungen Männern geben, die nicht wüssten, wohin mit ihren Kräften. Bei den damaligen Chaostagen haben eher Punks und Linksradikale den Ton angegeben.
Neue Einsatzstrategien bei der Polizei
Grundlegend verändert hat sich seit den Chaostagen die Strategie der Einsatzkräfte, wie die Polizeidirektion Hannover erklärte. So seien Bürgernähe und Kommunikation verbessert worden, auch über soziale Medien. Diese stellten eine taktisch wertvolle Unterstützung bei der Bewältigung von Einsatzlagen dar.
Bei der Vorbereitung planbarer Einsätze kämen auch die neuen sogenannten Intel-Officer zum Einsatz – Online-Experten der Polizei, die Echtzeitinformationen aus öffentlich zugänglichen Quellen des Internets und sozialen Netzwerken auswerten. Außerdem seien Weiterbildung und Ausstattung der Beamten verbessert worden, etwa mit kugelsicheren Helmen und Westen sowie mit Körperkameras.
„Die Krawalle nicht mehr zum Thema machen“
Die Stadt Hannover selber erinnert nach 25 Jahren nicht mehr an die unrühmlichen Tage im Sommer 1995. Es seien keine Veranstaltungen geplant, die die Krawalle vor 25 Jahren zum Thema machten, teilte eine Sprecherin mit.