• Foto: Matthias Hoenig/dpa

„Rocker-Affäre” in Kiel: Die knifflige Suche nach der Wahrheit

Kiel –

Einige Antworten, viele Fragen und Zweifel – Politiker und Medien quälen sich mit dem Untersuchungsausschuss zur Rocker-Affäre von Polizei und Justiz. Ein Ende ist nicht in Sicht. Erste Konsequenzen hat die Aufarbeitung des hochkomplexen Themas jedoch bereits. 

Gab es im Kampf gegen kriminelle Rocker in Schleswig-Holstein vor Jahren gravierende Missstände oder machten Ermittler nur handwerkliche Fehler? In bislang gut 70 Sitzungen geht ein Untersuchungsausschuss seit mehr als zweieinhalb Jahren dieser Frage nach. Manches scheint bereits klar, anderes gar nicht. Ein Ende ist nicht in Sicht. Mediale Kämpfe um die Deutungshoheit begleiten die Arbeit. 

Rocker-Affäre in Schleswig-Holstein: Darum geht es 

Die Abgeordneten gehen Vorwürfen der Aktenmanipulation und der Unterdrückung von Beweismittel sowie Mobbings nach. Diese wurden 2017 bekannt. Ausgangspunkt waren Ermittlungen zu einer Messerstecherei 2010 in einem Schnellrestaurant in Neumünster. Zwei ehemalige Ermittler hatten sich an die Polizeibeauftragte Samiah El Samadoni gewandt. Nach Darstellung der Ermittler sollen Vorgesetzte sie daran gehindert haben, den entlastenden Hinweis eines Informanten aus der Szene zugunsten von zwei Beschuldigten vollständig in die Verfahrensakte aufzunehmen. Sie seien unter Druck gesetzt und gegen ihren Willen versetzt worden. 

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Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) löste im November 2017 den Landespolizeidirektor und den Leiter der Polizeiabteilung im Ministerium ab. Er widersprach der Behauptung, es gehe um eine vorweggenommene Konsequenz aus Ermittlungen im Rahmen der Affäre. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) stand nach eigener Darstellung hinter dem Wechsel an der Polizeispitze. 

Ex-Innenminister kritisiert Fehler im Führungsverhalten

Besonders der Auftritt des ehemaligen Landespolizeidirektors verspricht Spannung. Die Abgeordneten wollen auch den von Grote als Sonderbeauftragten eingesetzten Ex-Innenminister Klaus Buß hören. Er hatte in seinem Bericht die ehemalige Polizeiführung kritisiert. Zwar habe es bei den Ermittlungen keinen Skandal, keine Affären, keine Unterdrückung von entlastendem Beweismaterial zum Nachteil von Beschuldigten gegeben: Aber es gab Missstände und Fehler im Führungsverhalten. Viele andere Zeugen kamen bereits zu Wort, darunter außer den beiden Ermittlern diverse Polizeiführer, Beamte aus Polizei und Innenministerium und sogar der Chefredakteur der Kieler Nachrichten. 

Im Fokus sollten der problematische Einsatz von V-Leuten, der Grund für den Wechsel an der Polizeispitze und die Führungs- und Fehlerkultur in der Polizei stehen. Thema sind neben Mobbing auch Verdachtsfälle von Sexismus und Rassismus an der Polizeischule Eutin. 

Pannen und Verstöße: Das hat sich bestätigt  

Für SPD-Obmann Kai Dolgner steht fest, dass es Pannen gab. Der Ausschuss habe Mängel in Fehler- und Führungskultur, Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze wie Aktenwahrheit und -klarheit festgestellt. Auch überzogene Personalmaßnahmen, unklare rechtliche Grundlagen, fehlende Kontrolle und mangelndes gegenseitiges Vertrauen seien erwiesen. 

Ebenso steht nach unserer Auffassung aber auch fest, dass keinem der Beteiligten vorzuwerfen ist, dass sie kriminellen Rockern irgendeinen Gefallen tun wollten. Für FDP-Obmann Jan Marcus Rossa haben die beiden Ermittler durch ihr eigenmächtiges und auch disziplinloses Verhalten nicht nur Ermittlungen gefährdet, sondern die Auseinandersetzungen innerhalb der Landespolizei erst ausgelöst. 

Rocker-Affäre in Kiel: Wechsel der Polizeispitze wirft Fragen auf

Medial war nach Bekanntwerden der Affäre von einem Netzwerk der Polizeiführer die Rede. Für SSW-Obmann Lars Harms ist klar: Ein Ergebnis ist, dass sich eine Bildung eines ,Netzwerkes‘ im Bereich der Führung der Landespolizei nicht nachweisen lässt. 

Der Wechsel an der Polizeispitze wirft Fragen auf. Die Umstände der Ablösung der damaligen Polizeiführung durch den ehemaligen Innenminister Grote und Staatssekretär Torsten Geerdts (CDU) sind ungeklärt, sagt Dolgner. Für Grünen-Obmann Burkhard Peters sind die Ablösung und die Aufarbeitung der Vorwürfe gegen diese Führungsebene durch die Landesregierung zentrale Punkte. Auch das Mobbing-Thema ist offen. 

Die Rolle der Staatsanwaltschaft: Affäre durch Fehlentscheidung

Glaubt man FDP-Obmann Rossa, geht die ganze Affäre auf eine Fehlentscheidung der Staatsanwaltschaft zurück. Ein Oberstaatsanwalt hatte 2010 entschieden, entlastende Hinweise aus dem Bereich der verdeckten Ermittlung zunächst nicht in die Akten zu nehmen, weil diese für das Verfahren nicht erheblich gewesen seien. Das ist der Auslöser gewesen der ganzen Affäre, sagt Rossa. Mit der offenbar gewordenen Unterdrückung entlastender Hinweise in einem Strafverfahren hätte man anders umgehen müssen. Alle Beteiligte hätten sich dem Vorwurf ausgesetzt, das Thema nicht sachorientiert und nüchtern behandelt zu haben. 

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Der Jurist ließ über seinen Anwalt erklären, es habe Streit im LKA zum Umgang mit Infos eines informellen Zeugen gegeben. Er sei von Beamten als Streitschlichter eingeschaltet worden. Es handle sich um einen Versuch, Vorfälle im LKA „der Staatsanwaltschaft Kiel in die Schuhe zu schieben. Die letztlich in die Akte genommenem Vermerke der Ermittler und des V-Mann-Führers seien vage gewesen und hätten in dem Prozess vor dem Landgericht keine Rolle gespielt. Der Ausschuss will den Oberstaatsanwalt noch einmal befragen. 

Interne Ermittlungen können im Bedarfsfall nun im Innenministerium statt im LKA geführt werden. Dort wurde eine Beschwerdestelle eingerichtet  angesiedelt beim Büro von Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). 

Strengere Regeln im Umgang mit kriminellen Informanten 

Die Jamaika-Koalition will strengere Regeln für den Umgang der Polizei mit Informanten aus kriminellen Kreisen. Die Zusammenarbeit mit Vertrauenspersonen und der Einsatz verdeckter Ermittler soll künftig unter Richtervorbehalt stehen. Im konkreten Fall von 2010 war der Informant zum Zeitpunkt seines Hinweises einfacher Zeuge. Seine Aussage dem Gericht vorzuenthalten war schlicht rechtswidrig”, sagt Dolgner.

Der V-Mann-Führer habe im Ausschuss eingeräumt, dass der Hinweisgeber zum V-Mann gemacht wurde, damit er nicht offen vor Gericht aussagen muss. Das sei ein klarer Verstoß gegen die Richtlinien zum Einsatz verdeckter Ermittler in Strafverfahren gewesen. 

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