Der Herausforderer: Das müssen Sie über Joe Biden wissen
Washington –
DIe US-Wahlnacht ist da. Anders als von vielen erwartet, blieb es um Herausforderer Joe Biden (77) im Vorfeld doch nicht so ruhig wie zunächst angenommen. Der nette Senior ist deutlich aufgetaut. Das musste er auch, schließlich ist Biden zum polternden Donald Trump in den Ring gestiegen. Den Umfragen zufolge hat der Demokrat gute Chancen, den Dauerlügner aus dem Oval Office zu vertreiben. Wer ist der Mann, der in Zukunft der mächtigste Politiker der Welt sein könnte?
Joe Biden gilt als seriös und gutherzig. Er steht für Klimaschutz, Solidarität und öffentliche Investitionen. Als Vize von Ex-Präsident Barack Obama hat er außerdem jahrelang politische Erfahrung in allerhöchsten Kreisen gesammelt.
Doch das Wichtigste dürfte für viele amerikanische Wähler sein: Er ist nicht Donald Trump.
Joe Biden musste viele Schicksalsschläge verkraften
Dabei ist Trump für Biden gewiss nicht die größte Herausforderung seines Lebens. So verlor der siebenfache Großvater 1972 seine Highschool-Liebe und erste Ehefrau Neilia Hunter, sowie deren gemeinsame Tochter Naomi bei einem Verkehrsunfall. Seine beiden Söhne Joseph Robinette („Beau“ genannt) und Robert Hunter überlebten. An deren Krankenbett legte Biden den Eid für den US-Senat ab. Doch auch Beau lebte viel zu kurz: 2015 starb er an einem Hirntumor. Joe Biden heiratete 1977 erneut. Mit seiner neuen Frau Jill Tracy Jacobs bekam er Tochter Ashley.
Wenn er eins in seinem Privatleben gelernt hat, dann ist es wohl: Aufstehen und weitermachen – trotz aller Rückschläge. Eine Fähigkeit, die ihm sicher auch im Wahlkampf geholfen hat.
USA: Joe Biden will Donald Trump aus dem Oval Office jagen
Denn selten war ein Kampf ums Weiße Haus so wichtig – und so rau: Während der amtierende Präsident seit Wahlkampf-Beginn gewohnt unflätig über seinen Gegner herzog und ihn “Schlafmütze“ und einen „schmierigen, schmuddeligen, korrupten Politiker“ nannte, hielt sich Biden zunächst noch zurück.
Doch irgendwann war es auch mit seiner Geduld vorbei. Der bisher schärfste Angriff entfuhr ihm im ersten TV-Duell: Trump solle seinen Mund halten, fauchte Biden so gar nicht nett und seniorenhaft-gesetzt.
Das unterscheidet Trump und Biden
Während Trump seinen Wahlkampf primär auf Attacken gegen seinen Gegner ausgerichtet hatte und sonst anscheinend bei seinem Wahlprogramm von 2016 blieb, wirkten die Ideen von Joe Biden für Amerika geradezu revolutionär. Eine Illustration auf Bidens Kampagnen-Webseite zeigt, wie er sich sein derzeit tief gespaltenes Land künftig vorstellt: Nebeneinander stehen Frauen und Männer verschiedenster Hautfarbe, mit Behinderung und ohne, mit Kopftuch oder auch mit der Regenbogenflagge in der Hand.
Sie halten Schilder, welche die Anti-Rassismus- und Klima-Proteste thematisieren, es geht um gleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Bidens Botschaft: Inklusion. Er will der Präsident aller Amerikaner sein. Trump hingegen macht keinen Hehl daraus, dass er es auf vorwiegend weiße, konservative und durchaus auch rechtsgerichtete Amerikaner abgesehen hat.
Joe Biden setzt auf Klimaschutz – und das in den USA
Wo Trump nur auf Sicht fährt, denkt Biden auch an künftige Generationen: Der amtierende Präsident genehmigte neue Öl-Pipelines und setzt auf Fracking – Biden jedoch möchte „Klima-Präsident“ sein. Er will die USA, das Land der dicken Pick-Ups, der Klimaanlagen und riesigen Plastikmüllberge, zu einer Öko-Nation machen mit 100 Prozent sauberer Energiewirtschaft. Spätestens 2050 soll das letzte Kohlendioxid in den amerikanischen Himmel steigen – zur gleichen Zeit will auch die EU „klimaneutral“ sein.
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Biden will dafür den innovationsfreudigen US-Kapitalismus mit allerlei Anreizen auf Öko umkrempeln – besonders in den Gemeinden, die am direktesten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Zusätzlich will der Trump-Herausforderer die USA wieder in das Pariser-Klimaabkommen führen und das Thema Klimawandel fest in die Außenpolitik und die nationalen Sicherheitsstrategien integrieren.
Kamala Harris soll Joe Biden neue Wählerschichten erschließen
Gleichzeitig möchte er mehr in die Infrastruktur des Landes investieren: in Straßen, Brücken, Gebäude, das Stromnetz und die Wasserinfrastruktur. Alle Städte über 100.000 Einwohner sollen innerhalb von zehn Jahren mit einem Verkehrssystem von Bussen, Bahnen und Radwegen ausgestattet werden – in den USA, wo man außerhalb der großen Städte an der Ostküste immer und überall mit dem Auto fährt, kommt das einer Verkehrsrevolution gleich.
Anders als Trump hat Biden außerdem ein feines Gespür für Zeitgeist und gesellschaftspolitische Änderungen – das zeigt sich auch bei seiner Entscheidung für Kamala Harris (55) als „running mate“. Denn die Senatorin aus Kalifornien, Tochter einer Inderin und eines Jamaikaners, hat Power und steht für Themen, die vor allem jungen Amerikanern wichtig sind: „female empowerment“, Gleichberechtigung, politischer Kulturwandel.
Sei es auf Twitter, Instagram oder im TV-Duell gegen Mike Pence – Harris weiß, wie sie eine gute Figur macht und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Sie gilt als leidenschaftlich, aber nicht überdreht – die perfekte Ergänzung zu Biden, der sich trotz langer Politik-Karriere manchmal verbale Patzer leistet und dem der „Spiegel“ unlängst attestierte, er habe „die Langeweile zum Prinzip“ erklärt.
Auch mit Blick auf die diverse Wählerschaft, die Biden erreichen will, war Harris eine kluge Wahl: Als erste schwarze und vergleichsweise junge Vizepräsidentin kann er durch sie Wähler gewinnen, die er sonst nie erreichen würde. Und noch wichtiger: Biden hat durch Harris bei seinen Plänen zur Gleichstellung von Weißen und Schwarzen und bei der Interessenvertretung der schwarzen Amerikaner die Möglichkeit, nicht nur über diese zu reden, sondern mit ihnen.
Joe Biden: Es ist eine „Schlacht um die Seele unserer Nation“
Seine Karriere startete Biden als einer der Jüngsten in der Politik – das erste politische Mandat übernahm er bereits 1970, als er in den Rat des New Castle County gewählt wurde. Als Biden dann 1972 bei der Wahl für den US-Senat siegte, war er erst 29 Jahre alt.
37 Jahre später dann der vorläufige Höhepunkt, als er unter Obama Vizepräsident wurde. Nun schickt sich der „nette Senior“ an, als ältester Bewerber überhaupt das Weiße Haus zu übernehmen.
Er kämpft, wie er immer wieder betonte, die „Schlacht um die Seele der Nation“ Ein Großteil der Welt dürfte ihm die Daumen drücken. Doch auch wenn Biden es ins höchste Amt der USA schaffen sollte – der Kampf ist damit noch längst nicht gewonnen. Trump wird nicht einfach gehen, die deutlichen Gräben durch die Gesellschaft werden sich nicht einfach schließen. Doch Bidens Sieg wäre zumindest ein Hoffnungsschimmer.