Im Nord-Ostsee-Kanal: Er hat einen ungewöhnlichen Job: „Schiffe stopfen“
Kiel –
Als Kind spielt er an der Kanalböschung, als Erwachsener schleust er dicke Pötte durch den Nord-Ostsee-Kanal. Wenn die Warteliste lang ist, muss Schleusenmeister Kroymann-Meyer „Schiffe stopfen“. Und manchmal hat er auch ungewöhnliche Gäste.
Eine große Möwe gleitet durch die laue Sommernacht über die Schleuse und setzt dann rasch zur Landung an. Ihr Landeplatz auf dem Balkon des Schleusenmeister-Hauses bietet einen tollen Blick auf Nord- und Südkammer des Nord-Ostsee-Kanals in Kiel. „Die kommen sogar rein und setzen sich bei uns auf den Teppich“, sagt Heiko Kroymann-Meyer. Der 53-Jährige ist seit zwölf Jahren Schleusenmeister in Kiel-Holtenau. Er hat drinnen vor einer Wand aus fünf Monitoren die Nachtschicht.
Aufgewachsen am Kanal
Im Leben des Schleswig-Holsteiners spielte die künstliche Wasserstraße die meiste Zeit seines Lebens eine Rolle. Seine Kindheit verbrachte er in Breiholz, ziemlich genau an der Mitte des Kanals. „Da war mein Spielplatz an der Kanalböschung.“ Das Wasser und die Schiffe hatten ihn bereits als Kind begeistert. Seit 27 Jahren hat er hier seinen Arbeitsplatz. Die ersten 15 Jahre brachte er mit einer Kanalfähre Autos, Fahrradfahrer und Fußgänger von einer auf die andere Seite.
Seit Generationen: Schon der Großvater war Kapitän
Davor fuhr er selbst elf Jahre lang als Kapitän auf kleiner Fahrt auf Nord- und Ostsee. „Wir sind viel durch den Kanal gefahren.“ Das knapp 80 Meter lange Schiff gehörte seinem Vater. Auch der Großvater fuhr zur See. „Erst waren es Holzpakete aus Skandinavien, die wir immer geholt haben, dann ging es über in Containerschifffahrt.“ Ob es noch in den Fingern juckt, wenn die dicken Pötte vor ihm in die Schleusenkammer fahren. „Gar nicht“, antwortet er blitzschnell.
Auch die Schifffahrt ist von der Corona-Pandemie betroffen
Spiegelglatt ist das Wasser an diesem Abend. Und das liegt nicht nur an der Windstille. Die Folgen der Corona-Pandemie schlagen auf die Schifffahrt durch. „Im Moment ist es sehr mau“, sagt der Schleusenmeister. Für die Nacht stehen nur wenige größere Schiffe auf der Liste, die den Kanal verlassen oder von der Ostsee kommend die knapp 100 Kilometer lange Passage von Kiel nach Brunsbüttel angehen. Ein wesentlicher Grund sind die niedrigen Spritpreise. „So dass die meisten sagen: Dann fahren wir oben rum“, sagt Kroymann-Meyer.
Nichts los auf dem Kanal
Das beobachtet auch Jens Knudsen. „Seit Anfang April herrscht im Kanal Flaute“, sagt der Vorsitzende der Initiative Kiel-Canal – wie die Wasserstraße international heißt. „Seit Ausbruch von Corona meiden Reeder den Kanal aus zwei Gründen: Erstens wegen der extrem niedrigen Treibstoffpreise und zweitens aus Angst, die Crew könne sich während der Passage mit dem neuartigen Coronavirus infizieren.“ Viele Reeder schickten ihre Schiffe deshalb auf den Umweg über Skagen. „Es gab Momente, wo es für ein Feederschiff mit 1400 Standardcontainern (TEU) 1000 Euro günstiger gewesen ist, oben herumzufahren.“ Der Bund hat reagiert. Er will den Kanal durch Aussetzen der Befahrungsabgaben bis Jahresende stützen.
Hilfe vom Bund: Bis Jahresende keine Befahrungsabgaben
Um Mitternacht herrscht aber doch Betrieb in der Schleuse. Mindestens sieben Stunden brauchen Schiffe von Brunsbüttel nach Kiel. Auf dem Weg nach Kokkola (Finnland) macht das knapp 135 Meter lange Containerschiff „Aurora“ fest. An Land kümmern sich zwei Festmacher um die dicken Taue. Wenige Minuten später folgt die knapp 158 Meter lange „Tunadel“ auf dem Weg nach Polen. „Das sind beides Stammgäste“, sagt Kroymann-Meyer. Nur einen Fingertipp auf dem Monitor braucht der Schleusenmeister, um hinter beiden Schiffen das schwere Schleusentor zufahren zu lassen. In der Regel dauere eine Schleusung etwa 45 Minuten. Ist die Warteliste lang, bestehe die Herausforderung im „Schiffe stopfen“, um möglichst viele gleichzeitig zu schleusen.
Schiffe stopfen: Möglichst viele gleichzeitig schleusen
Aber nicht immer läuft alles glatt. Mehrfach krachten Schiffe in die Schleusentore. Viele Pötte seien schnell unterwegs, sagt Kroymann-Meyer. „Die Kapitäne kennen ihre Schiffe. Die reißen einmal den Hebel runter und dann stehen die.“ Oder es kracht wie vor wenigen Monaten in einer Nachtschicht von Kroymann-Meyer. Zwar laufe deshalb noch immer Wasser durchs Tor, sagt er.
Folgenreicher aber war die Havarie der „Akacia“ im Februar 2018. Das Containerschiff rammte das Tor der Südkammer so heftig, dass der Bug die Stahlkonstruktion teilweise durchbrach. Sieben Wochen fiel die Kammer wegen Reparaturen aus, der Schaden lag im zweistelligen Millionenbereich. „Da war ich nicht hier“, sagt Kroymann-Meyer mit einem Lächeln. Als Ursache wurde bei der „Akacia“ seinerzeit ein Defekt an der Maschinenanlage vermutet.
Wasserschutzpolizei stoppt Schiff mit betrunkenen Kapitän
Manchmal stoppt aber auch die Wasserschutzpolizei die Schiffe. Kroymann-Meyer erinnert sich an einen arg betrunkenen Kapitän. Da habe er nach dem Hinweis eines Lotsen die Polizei informiert. Nur mit Mühe sei der Seemann in der Schleuse von Bord gebracht worden. Dort habe er sich auf einen Poller gesetzt, weil er nicht mehr laufen konnte. „Dann haben sie ihn irgendwann auf die Ladefläche eines Elektrofahrzeugs gezogen und sind mit ihm ab. Das war ein Bild für die Götter.“ Diese schwarzen Schafe gebe es leider immer wieder.
Besonderer Gast: Auch ein Delfin sagte schon Hallo
Nicht nur große Schiffe, Jachten und Segelboote nutzen die Schleusenanlage in Holtenau. 2016 sorgte ein Delfin für Aufregung. „Der ist regelmäßig in den Kanal und wieder raus. Er wurde regelmäßig durchgeschleust“, sagt der Norddeutsche. Aus Sorge, das Tier könne durch die Geräusche der Schiffe und die Verwirbelungen des Wassers Schaden nehmen, wurden keine Schiffe gemeinsam mit ihm in die Schleuse gelassen. „Wir wollten dem ja nix tun“, sagt Kroymann-Meyer. Die Sorge sei letztlich unbegründet gewesen: „Der hat hier Sprünge gemacht.“
Der Kieler Schleusenmeister macht seinen Job gern. Der werde ihm nicht langweilig. „Und ich habe noch den Kontakt zur Seefahrt. Auch wenn ich nicht mehr zur See fahren will.“