VW-Streit um China: „Erst das Fressen, dann die Moral“
„Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ – ein berühmtes Zitat aus Brechts „Dreigroschenoper“, das man zumindest auf Teile der deutschen Wirtschaft so abwandeln kann: „Erst der Profit, und dann kann man vielleicht auch mal über Moral nachdenken.“
Hat doch vor Jahren der deutsche Vorzeigekonzern Volkswagen ausgerechnet in Urumtschi im äußersten Westen Chinas eine Produktionsstätte gebaut – zu den vielen anderen, die es im fernöstlichen Riesenreich schon gab. Die Kritik am größten europäischen Autobauer reißt seitdem nicht ab, denn Urumtschi liegt in der Region Xinjiang. Dort unterdrückt der chinesische Staat die ethnische Gruppe der Uiguren und andere Minderheiten mit äußerster Brutalität. Es ist noch nicht lange her, da wurden erschütternde Fotos und Videos aus Lagern in Xinjiang geschmuggelt. Sie zeigen, wie Uiguren von uniformierten Chinesen geschlagen und gefoltert werden, wie ihre ethnische Identität aus ihnen rausgeprügelt werden soll.
Mehr als jedes dritte Auto von Volkswagen geht nach China
Und neben der VW-Fabrik in Urumtschi steht Presseberichten zufolge eine Kaserne der bewaffneten Volkspolizei. Diese Volkspolizei wiederum soll bei der willkürlichen Verhaftung von Uiguren mitmachen. Und VW habe ihr sogar Autos geschenkt.
Zugegeben, China ist für Volkswagen ein eminent wichtiges Produktions- und Absatzland: Dort gibt es 30 VW-Produktionsstätten mit insgesamt 90.000 Beschäftigten. Mehr als jedes dritte Auto, genau 38 Prozent, verkauft VW in der Volksrepublik. Der Verdacht kam und kommt immer wieder auf, mit der relativ kleinen Fabrik in Urumtschi wolle Volkswagen einen Anschein von Normalität in der Region vermitteln, der Pekinger Zentralregierung einen Gefallen tun und seinen Geschäftserfolg verstetigen; ein Verdacht, den die Wolfsburger weit von sich weisen.
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Jetzt aber begehrt der Betriebsrat des Autobauers auf, nachdem er sich in dieser Frage lange nicht gerührt hatte. Auf Anfrage des „Spiegel“ heißt es: „Wir verlangen von den chinesischen Behörden einen sofortigen Stopp der offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang.“ Und an das VW-Management gerichtet fordert die VW-Arbeitnehmervertretung, es müsse klar werden, „welche Rolle dem Werk in Urumtschi zukommt und inwieweit es hilft, dort unsere Werte über den Werkszaun hinaus ausstrahlen zu lassen.“
VW: „Keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen“
Schon früher hatte IG-Metall-Chef Jörg Hofman, Vize-Vorsitzender des VW-Aufsichtsrates, das Werk im chinesischen Westen insgesamt infrage gestellt: Man müsse prüfen, „ob nicht eine Beendigung der Aktivität dort richtig wäre“.
Doch dagegen wehrt sich VW vehement. Der chinesische Markt ist einfach zu lukrativ. Konzernchef Oliver Blume gab sich optimistisch. Er sei überzeugt, dass sich die Präsenz von Volkswagen in Xinjiang „positiv für die Menschen“ auswirke. Als sei die Floskel vom „Wandel durch Handel“ nicht längst widerlegt. So hat sich Deutschlands Handel mit der Volksrepublik seit 2005 vervierfacht; unter Diktator Xi Jinping rutschte das Riesenreich aber trotzdem immer tiefer in den Staatsdirigismus.
Wolfsburgs Statthalter in China, Vorstandsmitglied Ralf Brandstätter, hatte vor kurzem das umstrittene VW-Werk in Urumtschi besucht. Zwei Tage war er dort und hatte hinterher nur Nettes zu berichten. Die Beschäftigten hätten ihm erzählt, dass sie froh seien, für VW zu arbeiten. Brandstätter wörtlich: „Wir haben keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in diesem Werk. Ich habe keinen Grund, an den Informationen und meinen Eindrücken zu zweifeln.“
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Das erinnert denn doch sehr an Franz Beckenbauer. Der hatte die Vergabe der vorigen Fußball WM an Katar gegen massive Kritik von Menschenrechtlern verteidigt: „Ich habe noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen.“