Oscar-Triumphzug: Darum schrieb „Im Westen nichts Neues“ Geschichte
Vier Goldjungen und ein Platz in der Filmgeschichte: Sonntagnacht feierte „Im Westen nichts Neues“ in Hollywood einen fulminanten Triumphzug – ein großer Moment für den deutschen Film. Aber wie ist der Erfolg zu erklären? Gerade in Deutschland war die Kritik teils verheerend.
Neunmal war die aufwendige 20-Millionen-Euro-Netflix-Produktion für den wichtigsten Filmpreis der Welt nominiert – so in der Königsdisziplin Bester Film, die dann aber das Sci-Fi-Drama „Everything Everywhere All At Once“ für sich entschied. Mit insgesamt sieben Preisen wurde die amerikanische Produktion absoluter Spitzenreiter. In vier Kategorien – Bester Internationaler Film, Beste Kamera, Beste Filmmusik und Bestes Szenenbild – konnte am Ende aber die Crew um Regisseur Edward Berger jubeln und bekam so viele Oscars wie noch kein anderer deutscher Film.
Nach „Die Blechtrommel“ (1980), „Nirgendwo in Afrika“ (2003) und „Das Leben der Anderen“ (2006) hat Deutschland einen neuen Gold-Film. Und der schreibt Geschichte mit Geschichte. 1928 verfasste Erich Maria Remarque den gleichnamigen Welt-Bestseller und schilderte detailgetreu den apokalyptischen Irrsinn des Ersten Weltkriegs durch die Sicht des jungen Soldaten Paul Bäumer.
„Im Westen nichts Neues“ schreibt bei den Oscars Filmgeschichte
Die verklärten Illusionen des Kriegsbegeisterten treffen auf das massenhafte Sterben an der Front. Eine Montage, die ein zeitloses Bild des modernen Krieges schafft – und Menschen schon immer bewegte: Bereits kurz nach Veröffentlichung 1929 wurden 450.000 Exemplare verkauft, damals eine Sensation am Buchmarkt. 1930 gab es zwei Oscars für die US-Verfilmung – in Deutschland war sie zu der Zeit bereits von den Nazis verboten.
Warum 2023 jetzt der Triumph? In Zeiten des Ukraine-Kriegs ist dies wohl in erster Linie mit der eindringlichen Anti-Kriegsbotschaft zu erklären, die der Film transportiert. Ziellose, dumpfe Gewalt und ein junger Soldat, der zum Kanonenfutter wird: Themen mit trauriger Aktualität.
Netflix machte den Film international bekannt – durch die digitale Verbreitung sind Filme heute leichter überall verfügbar. Während der Streifen in Großbritannien und den USA seit Erscheinen vor allem bejubelt wurde, fiel die Kritik in der Heimat teils sehr negativ aus. Hauptkritikpunkte: Bergers Darstellung habe nichts mehr mit Remarques Vorlage zu tun, krasse historische Ungenauigkeiten.
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War das zu hart? Nach dem Oscar-Erfolg gibt es nun Kritik an der deutschen Kritik. Der deutsche Film sei zu selbstkritisch und sowieso gebe es zu viel Scheu vor der Auseinandersetzung mit dem schwer belasteten Kriegsthema. Berger scheute sich nicht und sagte der „Berliner Zeitung“: „Wir sind alle aufgewachsen mit dem Erbe unserer schrecklichen Vergangenheit. Ich persönlich empfinde deshalb auch eine Schuld, Verantwortung, Scham und Trauer.“
Vielleicht ist der Erfolg nun auch Anlass für ein neues Selbstbewusstsein des deutschen Films. So twitterte auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach der Oscar-Nacht: „Es ist ein Riesenerfolg für den deutschen Film, darauf kann man zu Recht stolz sein.“ Bittere Erkenntnis aber: „Im Westen nichts Neues“ wurde ohne Deutsche Filmförderung gedreht – und komplett im Auftrag von Netflix.