• Blick in den Deutschen Bundestag, auch hier gilt die Abstandsregel in der Corona-Krise. Das Bild wurde am 25. März 2020 aufgenommen.
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Zunehmend abstoßend: Lockdown in Deutschland zeigt ein gravierendes Problem

Köln –

Seit einem Monat gelten in Deutschland wegen der Corona-Pandemie weitreichende Kontaktbeschränkungen. Anfangs wurden diese von allen Beteiligten gutgeheißen. Jetzt bietet sich ein zunehmend chaotisches und teilweise auch abstoßendes Bild. Ein Kommentar.

Mit der Maskenpflicht verhält es sich gerade wie vor einem Monat mit den Schulschließungen: Ein Land beginnt mit der Einführung, andere folgen. Man nennt das bekanntlich den Dominoeffekt. Gut so.

Vermutlich wäre eine allgemeine Maskenpflicht allen berechtigten Zweifeln zum Trotz allein aus sozial-psychologischen Gründen sinnvoller gewesen. Sie würde den, der sie trägt, und jenen, der sie erblickt, stets an den Ernst der Lage erinnern.

Im Übrigen präsentiert sich der Kampf gegen das Coronavirus einen Monat nach Beginn des Lockdown allerdings ähnlich chaotisch wie der Föderalismus.

Corona-Krise: Die Einsicht kam spät, aber nicht zu spät

Vor vier Wochen hatte noch ein Verantwortlicher nach dem anderen ein Einsehen in den Umstand, dass an der totalen Stilllegung des öffentlichen Lebens kein Weg mehr vorbei führt. Die Einsicht kam spät, aber nicht zu spät. Und sie bewegte sich im Takt des Schreckens, der aus Italien und Spanien allabendlich in unsere Wohnzimmer flimmerte.

Doch diese galoppierende Vernunft scheint wieder eine Ewigkeit zurückzuliegen. Mittlerweile macht es nicht nur erhebliche Mühe, nachzuverfolgen, in welchem der 16 Bundesländer welche Restriktionen gelten. Neben der ebenso notwendigen wie legitimen Debatte über Kompromisse zwischen dem medizinisch Notwendigen und dem ökonomisch sowie sozial Vertretbaren treten zunehmend problematische Motive in den Vordergrund.

Gewiss ist die Rückkehr des alten Parteienwettbewerbs Indiz für jene Normalisierung, nach der sich alle so sehr sehnen. Dieser Wettbewerb sollte aber dort seine Grenze finden, wo es um Menschenleben geht. Es ist im Übrigen ja nicht wahr, dass keine Debatte über Lockerungen stattfände. Im Gegenteil: Diese Debatte ist seit Wochen im Gange.

Streit um richtigen Corona-Weg zunehmend abstoßend

Zunehmend abstoßend ist, dass und wie in der Auseinandersetzung um den richtigen Weg aus der Krise mehr und mehr persönliche Ambitionen mitschwingen – allen voran beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und seinem nordrhein-westfälischen Amtskollegen Armin Laschet (CDU).

Dem einen konnte es anfangs gar nicht hart genug zugehen. Der andere schwingt sich auf zum Vorreiter einer „verantwortungsvollen Normalität“. Beide zusammen plädieren wiederum dafür, die Saison der Fußball-Bundesliga zu Ende zu spielen – was sich medizinisch kaum begründen lässt und noch dazu jede Menge Gerechtigkeitsfragen aufwirft. Wenn die Debatte so weiterginge, dann würde es nicht wundern, wenn die Saison noch vor vollen Rängen zu Ende gespielt würde.

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Dieser Kampf unter Männern legt jedenfalls den Schluss nahe, dass nach dem Ende der Krise keineswegs alles anders sein wird als vorher. Er legt vielmehr den Schluss nahe, dass vieles wieder genauso wird, wie es immer war.

Corona-Marathon: Wir sind erst bei Kilometer 2

Die Wirklichkeit entwickelt sich abgesehen davon unabhängig von dem, was Regierungen und Parlamente wollen. Zum einen sagen die Kanzlerin, die Familien- und die Justizministerin unisono, dass sie nicht möchten, was Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer vorschlug: die Separierung der Alten und chronisch Kranken.

Wer auf den Straßen unterwegs ist und mit Leuten spricht, der gewinnt aber den Eindruck, dass genau diese Separierung stattfindet. Während Teens und Twens auf Straßen und Plätzen den Frühling genießen, trauen sich Rentner und Behinderte nicht mehr aus dem Haus. Das ist bitter.

So oder so gilt: Der Kampf gegen die Corona-Krise ist dem besagten Marathonlauf nicht unähnlich. Wir sind eher bei Kilometer zwei als bei Kilometer fünf. Wie es uns im Ziel geht, weiß kein Mensch.

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