Schlachthof-Skandal: Laschet sorgt mit Aussage über „Rumänen und Bulgaren“ für Empörung
Rheda-Wiedenbrück –
Neuer Skandal in der Fleischindustrie: Mit mindestens 657 Infizierten gibt es einen weiteren folgenreichen Corona-Ausbruch in einer deutschen Fabrik. Die Produktion dort wurde vorübergehend eingestellt – doch die Auswirkungen reichen weit über die Grenzen des Unternehmens. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet versuchte den Ausbruch gestern zu erklären – seine Aussage sorgte für Empörung.
Für Armin Laschet (CDU) ist klar, dass der Corona-Ausbruch bei Tönnies nichts mit den von ihm vorangetriebenen Lockerungen zu tun habe: „Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt“, so Laschet am Mittwoch auf die Frage einer Journalistin, was der Corona-Ausbruch über die bisherigen Lockerungen aussage.
Anschließend bekräftigte der Ministerpräsident nochmal: „Das hat nichts mit Lockerungen zu tun, sondern mit der Unterbringung von Menschen in Unterkünften und Arbeitsbedingungen in Betrieben.“
Laschet macht Osteuropäer für Corona-Ausbruch verantwortlich – Expertin zweifelt
Das Beispiel zeige, „wie schnell“ sich ein Virus verbreite, „wenn Abstände nicht eingehalten werden, wenn Unterkünfte nicht in Ordnung sind, und es warnt uns, immer nochmal ein zweites Mal hinzuschauen,“ ergänzte Laschet.
Laschets Aussagen fanden wohl auch vor dem Hintergrund einer Erklärung von Gereon Schulze Althoff, Leiter des Pandemiestabs bei Tönnies statt. Der hatte die Kälte in den Produktionshallen sowie die Heimreisen der Beschäftigten nach Osteuropa an den langen Wochenenden an Pfingsten und Fronleichnam als mögliche Faktoren für die Ausbreitung des Coronavirus genannt.
Doch Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität Genf, zweifelt an dieser Darstellung. Ihr zufolge ist es „extrem unwahrscheinlich“, dass die Hunderten Corona-Fälle auf Familienbesuche am Wochenende zuvor zurückgehen. „Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf Tage, sodass ein Wochenendbesuch kaum so eine große Anzahl an Personen erklären kann“, so Eckerle.
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Die hohe Anzahl betroffener Mitarbeitern des Unternehmens Tönnies weise eher auf ein unbemerktes, schon länger vor sich gehendes Superspreading-Event in dem Betrieb hin, meint die Expertin. „Bei engem Kontakt und unter ungünstigen Arbeits- sowie Wohnbedingungen können ein Einzelner oder nur sehr wenig initial Infizierte zu einer sehr hohen Anzahl an Sekundärinfektionen führen.“
Harsche Kritik an Laschets Äußerungen
Laschets Kommentar über die angebliche Herkunft des Virus sorgte derweil für Empörung und massive Kritik.
So schrieb etwa ein Twitter-User: „Wir reden über Rassismus, was wir verbessern können und müssen, und Armin Laschet macht Politik, indem er den Rumänen und Bulgaren die Schuld am erneuten Corona-Ausbruch gibt. Weil die gerne, wie in der Sklaverei menschlich und finanziell für unseren Wohlstand ausgebeutet werden.“
Göring-Eckardt zieht Verbindung von Laschet zu Trump
Auch Politiker kommentierten die unglückliche Aussage Laschets. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, ging mit ihm hart ins Gericht und zog eine Verbindung zu Trump: „Für die einen ist es das chinesische Virus, für die anderen das bulgarisch und rumänische Virus. Statt Ressentiments zu schüren, erwarte ich von MP Laschet Verantwortung zu übernehmen und Menschen zu schützen!“, twitterte sie.
US-Präsident Donald Trump sprach immer wieder vom „chinesischen Virus“ und wollte es bereits in „Wuhan-Virus“ umbenennen. Er macht China für die Pandemie verantwortlich.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) legte nach dem Ende der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin am Mittwochabend einen anderen Schwerpunkt als Laschet. Er forderte, man müsse „endlich über die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen reden“.
Das sagt Laschet selbst zu den Vorwürfen
Am Donnerstag bezog Laschet dann noch einmal Stellung zu seiner Aussage: „Es gibt eine Vielzahl von Risiken für die Verbreitung von Viren, dazu gehören auch die Bedingungen und die Form des Reiseverkehrs innerhalb Europas“, sagte Laschet der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. „Wir wollen ja aber gerade offene Grenzen und einen europäischen Arbeitsmarkt.“
Laschet betonte, er habe immer darauf hingewiesen, dass das Virus nicht an Grenzen haltmache. „Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben, verbietet sich“, sagte Laschet. Ihm sei wichtig klarzumachen, dass das für ihn wie für die gesamte Landesregierung selbstverständlich sei.
Tönnies: Produktionsstopp von zehn bis vierzehn Tagen
Der neue Ausbruch im Schlachtbetrieb trifft mit Tönnies einen Branchenriesen. Deutschlands Marktführer bei der Schlachtung von Schweinen muss seinen Hauptproduktionsbetrieb in Rheda-Wiedenbrück herunterfahren. Der zuständige Landrat Sven-Georg Adenauer geht davon aus, dass der Produktionsstopp zwischen zehn und 14 Tagen dauern wird.
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Für den gesamten Kreis will Adenauer einen allgemeinen Lockdown verhindern, obwohl die wichtige Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen deutlich überschritten sei.
NRW: Tönnies-Sprecher entschuldigt sich
Doch auch für die Region wird das sich rasant entwickelnde Infektionsgeschehen Auswirkungen haben: Der Kreis Gütersloh kündigte an, alle Schulen und Kitas bis zu den Sommerferien wieder zu schließen – die Ferien starten in Nordrhein-Westfalen am 29. Juni. Durch diesen Schritt solle eine Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung vermieden werden.
Tönnies-Sprecher André Vielstädte wandte sich im Namen der Eigentümer an die Öffentlichkeit: „Wir möchten uns bei der Bevölkerung des Kreises im Namen der Familie Tönnies entschuldigen. Wir werden alles dafür tun, das Virus aus dem Betrieb zu bekommen, um wieder arbeitsfähig zu werden.“
Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen machten in den vergangenen Monaten immer wieder Schlagzeilen und lösten eine Debatte über die Missstände bei Arbeits- und Unterbringungsbedingungen der häufig aus Osteuropa stammenden Beschäftigen aus.