Historischer Fehler: Dem ersten Beweis für das Coronavirus glaubte niemand
London –
Millionen Infizierte, Zehntausende Todesfälle: Die Welt wird die Coronavirus-Pandemie nicht wieder vergessen. So viel ist klar. Unser Leben und unsere Gesellschaft haben sich durch die landesweiten Shutdowns, Kontaktverbote und neuen Verhaltensnormen grundlegend verändert – und es ist noch offen, für wie lange und wie weitreichend diese Veränderungen sein werden.
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Dabei war die Entdeckung des ersten Coronavirus geradezu unspektakulär. Der erste Versuch, die neuen Erkenntnisse im Jahr 1964 zu veröffentlichen, scheiterte sogar. Die Gutachter kamen zu der Überzeugung, die Fotos der Viren, die damals erstmals gelangen, seien fehlerhaft. Einfach nur schlechte Bilder ganz normaler Grippeviren. Freilich ein Trugschluss, wie sich später herausstellen sollte.
Dass es zu dieser Fehleinschätzung kam, lag vermutlich an zwei Faktoren, die damals zusammenkamen. Erstens: Es handelte sich um eine völlig neue Technologie. Zweitens: Die Fotos wurden von einer Frau aufgenommen.
June Almeida mit Pionierleistung zum Coronavirus
June Almeida gehört heute zu den Pionieren der Virologie. Ihre Methoden der Laborarbeit sind noch heute Grundlagen im Kampf gegen die Pandemie. Dank ihrer Technik gelang es chinesischen Wissenschaftlern, das neue Coronavirus SARS-Cov-2 überhaupt erst zu identifizieren.
Der Weg zu dieser Pionierleistung war allerdings alles andere als gradlinig. Schon als Frau musste Almeida feste Klassengrenzen überwinden, hineingeboren in die Kriegsjahre 1930. Damals war es alles andere als selbstverständliche, dass Frauen Karriere machten, schon gar nicht in der Welt der Wissenschaften.
Zudem wurde sie in einem einfachen Mietshaus in Glasgow, als Tochter eines Busfahrers.
Und auch ihre Leistungen in der Schule deuteten nicht auf eine Laufbahn in der Forschung hin. Bereits mit 16 Jahren verließ sie die Lehranstalt. Mit 24 heiratete sie den Künstler Enriques Almeida (ihren Mädchennamen Hart legte sie bei der Heirat ab).
Professor Hugh Pennington, heute Professor für Bakteriologie an der Universität Aberdeen, der als junger Mann mit ihr zusammengearbeitet hat, sagt über Almeida: Ihr Geist sei „unkonventionell, aber genial“ gewesen.
Ihr wahres Talent zeigte sich in der Laborarbeit. Keine Ärztin, eine Tüftlerin oder Technikerin. „Was sie gut konnte –die Technologie zu beherrschen –, das ist es, was auch heute noch angewendet wird“, erklärte Pennington dem „Herald“. „Ganz speziell darin war sie eine Pionierin.“
Umgang mit Elektronenmikroskop Voraussetzung für Coronavirus-Beweis
Bereits vor ihrer Hochzeit und ihrem Umzug nach London, arbeitete sie als Laborantin an der Glasgow Royal Infirmary, wo sie krankhafte Gewebeveränderungen untersuchte. Ihre Genialität kam jedoch erst mit ihrem originellen Umgang mit einer damals völlig neuen und bahnbrechenden Technologie zur Geltung. Dem Elektronenmikroskop.
In der Theorie ist das Elektronenmikroskop ein sehr viel leistungsfähigeres Instrument als ein zu dieser Zeit herkömmliches optisches Mikroskop. Tatsächlich musste man in den 1960er Jahren aber noch Tricks und Methoden finden, damit dieses leistungsfähige Instrument auch brauchbare Ergebnisse lieferte. Und genau das war das Verdienst von June Almeida.
Der Ruf um Almeidas originären Umgang mit dem Elektronenmikroskop eilte ihr voraus. 1964 wurde sie von der renommierten St Thomas’s Hospital Medical School angeworben, und das, obwohl sie über keinerlei universitäre Ausbildung verfügte.
Fotos des ersten Coronavirus: Experten glaubten an einen Fehler
Dort stieß sie auch wenig später auf das erste Coronavirus. Ein Dr. David Tyrrell war bei der Forschung von Erkältungen auf Viren gestoßen, die er nicht zuordnen konnte. Tyrrell schickte die Probe zu June Almeida, der es dank ihrer visionären Technik mit dem Elektronenmikroskop gelang, detaillierte Fotos zur Identifizierung des Virus zu machen.
Unter einem optischen Mikroskop waren die Viren der Probe kaum von herkömmlichen Grippeviren zu unterscheiden. Unter dem Elektronenmikroskop machte Almeida jedoch eine wesentliche Unterscheidung sichtbar: Eine zackenähnliche um den Kern herum, die an eine Krone oder einen Heiligenschein erinnern. Daher stammt auch der Name „Corona“.
Erst 1967, also drei Jahre später, wurden die Fotos, und damit der erste Beweis zur Identifikation des Coronavirus, im „Journal of General Virologie“ veröffentlicht.
„Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Umgang mit dem aktuellen Ausbruch des Coronavirus langsamer“, erklärt Pennington. „Ihre Arbeit hat unser Verständnis des Virus beschleunigt. Sie war eine Pionierin.“