Medikamente Mangel Antibiotika
  • Derzeit fehlen Medikamente an allen Ecken. (Symbolbild)
  • Foto: dpa

Vor allem bei Kindern wird’s eng: Medikamenten-Krise spitzt sich zu

In Deutschlands Apotheken herrscht schon länger Arzneien-Ebbe – nun spitzt sich die Lage jedoch immer weiter zu. Vor allem die Gesundheit der Kinder ist bedroht. Für die Lütten mangelt es gerade an nahezu allem, vor allem an wichtigen Antibiotika sowie Fieber- und Schmerzmitteln. Nach einem Brandbrief wütender Kinderärzt:innen wird die Politik nun langsam aktiv, das Problem in den Griff zu kriegen.

„Wir haben hier Kunden aus Geesthacht, Zarrentin, Henstedt-Ulzburg und Pinneberg, die eben wirklich weite Wege fahren und teilweise die sechste, siebte Apotheke abklappern, um das Antibiotikum für ihr Kind zu ergattern, das ist keine Seltenheit“, berichtet die Hamburger Apothekerin Sabine Gnekow im „Hamburg Journal“. Auch Rosario Adamo erzählt, dass er für seinen Sohn die letzten drei Flaschen Antibiotikasaft bekommen hat, er das Mittel aber noch bis Mitte Mai benötigt – und eine Flasche reicht lediglich zwei Tage.

Medikamenten-Mangel: Vor allem Antibiotika für Kinder sind knapp

Diese alarmierende Situation bestätigen auch Kinder- und Jugendärzt:innen aus ganz Europa – und hatten sich am Wochenende mit einem Brandbrief an die Gesundheitsminister:innen gewandt, um sie dringend zum Handeln aufzufordern. „Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich“, heißt es in dem Schreiben.

Nach Angaben des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sind Antibiotika-Präparate derzeit bundesweit so knapp, dass für schwer erkrankte Kinder nicht ausreichend zur Verfügung stehen. So fehlen bei Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen, Scharlach oder ähnlichem die wirksamen Arzneien der ersten Wahl, daher würde auch zu anderen Medikamenten gegriffen werden müssen. Diese wirkten jedoch schlechter und erhöhten das Risiko von Antibiotikaresistenzen.

Die Stiftung Patientenschutz verwies zudem darauf, dass nicht nur Kinder betroffen seien. „Überall leiden chronisch kranke Menschen an der schleppenden Versorgung mit Basis-Medikamenten, Blutfettsenker, Blutdruckmittel“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Säfte, Pillen und Co. sind sind seit vergangenem Jahr knapp – während der letzten Krankheitswelle im Herbst und Winter standen viele Menschen in leergefegten Apotheken.

Bayern will nicht zugelassene Antibiotika-Säfte erlauben

Nun aber scheint sich langsam etwas in der Politik zu bewegen, um der Medikamenten-Krise Herr zu werden: So stellte der Bund am Dienstag hochoffiziell einen „Versorgungsmangel“ bei antibiotischen Säften für Kinder fest. Bayern reagierte als erstes Bundesland mit einer konkreten Maßnahme: Vorübergehend soll die Einfuhr von in Deutschland nicht zugelassener Antibiotika-Säfte für Kinder erlaubt werden.

So erklärte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), dass es den Landesbehörden dann möglich sei, im Einzelfall vorübergehend von Vorgaben des Arzneimittelgesetzes abzuweichen. Die bayerischen Bezirksregierungen sollen dementsprechend nun in einer neuen Allgemeinverfügung befristet den Import antibiotischer Säfte erlauben, die in Deutschland nicht zugelassen oder registriert sind. „So können die Pharmagroßhändler, Pharmafirmen und Apotheken unbürokratisch handeln“, sagte Holetschek.

Ex-Weltärztechef Montgomery fordert EU-weite Medikamentenreserve

Der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery hatte zudem eine EU-weite Medikamentenreserve gefordert. Seit mehr als zehn Jahren nähmen die Engpässe zu, so der Experte. „Der Grund sind falsch gesetzte wirtschaftliche Anreize bei der Pharmaindustrie“, sagte er den Zeitungen der Funke-Gruppe. „Bei Massenprodukten außerhalb des Patentschutzes werden die Margen als gering eingeschätzt, ,Big Pharma‘ hat kein Interesse mehr an diesen Medikamenten und schiebt die Produktion in Billiglohnländer wie China oder Indien ab. Brennt dort eine Fabrik ab, fehlt eine Grundsubstanz oder gibt es Qualitätsmängel – plötzlich fehlt ein Arzneimittel auf der ganzen Welt.“

Eine EU-Reserve als „Verpflichtung für die Pharmaindustrie, überwacht und gemanagt von Staat und Ärzteschaft“, lasse sich sofort schaffen, erklärte Montgomery. Auch müsse die Politik mit passenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Produktionsstandorte zurück nach Europa holen. Lieferketten sollten mit mehreren Quellen für Medikamente gesetzlich abgesichert werden.

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Und der Gesundheitsminister? Karl Lauterbach begrüßte das Vorgehen Bayerns und nannte die Warnungen der Kinderärzt:innen „berechtigt“. Zugleich verwies der SPD-Politiker auf einen derzeit im Bundestag beratenen Gesetzentwurf, wodurch Hersteller künftig höhere Preise für Kindermedikamente verlangen dürfen, damit Lieferungen nach Deutschland wieder attraktiver werden.

Wie von den Kinderärzt:innen in ihrem Brandbrief gefordert, sollen für einzelne Medikamente auch Lagerpflichten eingeführt werden. Zudem will die Koalition Hersteller, die in Europa produzieren, stärker berücksichtigen. Es wird sich zeigen, ob all das ausreicht, die Medikamenten-Krise, in der Deutschland steckt, in den Griff zu bekommen.

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