• Schiedsrichter Tobias Stieler (r.) rückte beim Top-Spiel zwischen RB Leipzig und Borussia Mönchengladbach in den Mittelpunkt.
  • Foto: AFP

Experten über Plea-Wirbel & Wagner-Rot: Collinas Erben: „Wundert euch nicht, wenn…“

Köln –

Gleich mehrere Schiedsrichter-Entscheidungen haben zuletzt für mächtig Wirbel gesorgt. Ob in der Bundesliga oder im Pokal: Unter Spielern, Trainern und Fans gab es teils hitzige Diskussionen – und jede Menge Kritik. EXPRESS hat mit Schiedsrichter-Experte Alex Feuerherdt (50) über die Aufreger der vergangenen Tage gesprochen.

Der Kölner ist seit 35 Jahren Schiedsrichter aus Leidenschaft. Zusammen mit seinem Kompagnon Klaas Reese (39) kommentiert er seit 2012 unter dem Namen „Collinas Erben“ kuriose und strittige Entscheidungen auf Twitter und in einem Podcast.

„Collinas Erben“ erklären knifflige Schiedsrichter-Entscheidungen

Collinas_Erben

Klaas Reese (l.) und Alex Feuerherdt sind „Collinas Erben“.

Foto:

Instagram/Collinas Erben

Wir sprachen mit Schiedsrichter-Experte Feuerherdt über…

…die Gelb-Rote Karte gegen Gladbachs Alassane Plea (26) beim Spiel in Leipzig: „Das war sicherlich die Entscheidung, die zuletzt am heißesten diskutiert wurde. Es gab einen riesigen Aufschrei. Emotionen müssen doch wohl erlaubt sein, so lautete die Kritik. Das Problem: Wir reden hier nicht über Emotionen, sondern über Unsportlichkeiten. Ich finde es gut, wie Tobias Stieler entschieden hat – und gehe bei der Gelb-Roten Karte voll mit. Übrigens: Beim Spiel Hertha gegen Bayern wurde Dedryck Boyata verwarnt, weil er gegenüber dem Linienrichter abgewinkt hatte. Es war das gleiche Vergehen – aber es führte nicht zum Platzverweis. Deswegen war der Aufschrei auch nicht da.“

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Tobias Stieler zeigte Gladbachs Alassane Plea (M.) binnen Sekunden erst Gelb und dann Gelb-Rot.

Foto:

imago images/Kirchner-Media

…die Gelbe Karte gegen Bremens Niklas Moisander (34), der BVB-Gegenspieler Giovanni Reyna (17) nach dessen Schwalbe am Kragen gepackt hatte: „Für mich persönlich wäre Rot die bessere Entscheidung gewesen. Das, was Moisander da gemacht hat, war nicht brutal, aber zumindest grob unsportlich. Und es ist auch eine Art Demütigung des Gegners: Der 34-jährige Kapitän packt den 17-Jährigen am Kragen, schüttelt ihn und drückt ihn zu Boden. Dass Reyna zuvor recht freiwillig gefallen ist und es keinen Strafstoß, sondern Gelb für die Schwalbe und die Provokation gab, da gehe ich mit. Aber das schließt Rot gegen Moisander ja nicht aus.“

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Bremens Kapitän Niklas Moisander (l.) nahm sich im Pokalspiel gegen den BVB den Dortmunder Giovanni Reyna zur Brust.

Foto:

imago images/Jan Huebner

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…die Gelb-Rote Karte gegen Hertha-Profi Jordan Torunarigha (22) im Spiel gegen Schalke (der Berliner war zuvor von den Rängen rassistisch beleidigt worden): „Die Regeln sind klar: Wenn Gegenstände geworfen werden, wenn jemand draußen aus Wut gegen einen Koffer tritt, dann sind das Handlungen, die grundsätzlich verwarnungswürdig sind. Die Gelbe Karte an sich war also berechtigt. Aber es gab ja noch die rassistische Beleidigung. Obendrein ist der Spieler kurz zuvor auf dem Feld auch noch körperlich angegangen worden. Natürlich war der Spieler deswegen schon geladen. Und dann sind im offensichtlich die Sicherungen durchgebrannt. Grundsätzlich ist die Frage erlaubt, ob der Schiedsrichter da nicht noch den Ermessensspielraum hat, den Spieler – in dem Wissen, was zuvor passiert ist – auf dem Platz zu lassen.“

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Kuriose Szene: Für diese Aktion gegen Herthas Jordan Torunarigha erhielt Schalke-Trainer David Wagner die Rote Karte.

Foto:

Bongarts/Getty Images

…Rot gegen Schalke-Trainer David Wagner (48), der Torunarigha gehalten hatte: „Ich hatte den Eindruck, dass Wagner Torunarigha eher helfen wollte, auf mich hat er nicht aggressiv gewirkt. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er verhindern will, dass das Spiel schnell fortgesetzt wird. Dafür hatte er ja die Rote Karte gesehen. Nun wurde die Sperre vom DFB ja  aber wieder aufgehoben. Richtig so!“

…die DFB-Anweisung, Respektlosigkeiten konsequenter zu ahnden: „Ich denke, dass wir uns ein bisschen zu sehr daran gewöhnt hatten, dass man den Unparteiischen mit allerlei Formen des Protests ungestraft gegenübertreten kann. Formen des Protests, die in anderen Sportarten verpönt sind und konsequent geahndet werden, darunter auch in solch körperbetonten Sportarten wie Rugby oder Eishockey. Das Problem ist, dass es ein Verhalten betrifft, das sich über Jahrzehnte eingeschliffen hat. Das zu ändern, ist ein Prozess, der jetzt begonnen hat. Die Verschärfung ist vom DFB auch vorgenommen worden, weil wir ein ernsthaftes Problem im Amateurfußball haben, wo es zuletzt vermehrt zu Angriffen auf Schiedsrichter gekommen ist. Der DFB sagt: Es ist unsere Aufgabe, als Vorbild zu wirken und Signale zu senden. Und das teile ich voll und ganz. Ich bin jedes Wochenende auf den Amateur-Plätzen unterwegs. Und was die Profis in der Bundesliga machen, wird dort kopiert. Torjubel, Tricks, aber eben auch Unsportlichkeiten, Schwalben, Rudelbildungen.

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Der Gedanke ist nun: Mit einer konsequenteren Auslegung dämmen wir die Respektlosigkeiten und Unsportlichkeiten im Profi-Bereich ein. Und wir senden an die Schiedsrichter im Amateurfußball damit das Signal: Macht das ruhig auch, wir wollen und werden dafür Akzeptanz schaffen. Ich kann den Amateur-Schiris nur empfehlen, die neue Anweisung den Spielern, Trainern und Kapitänen gegenüber vor dem Spiel deutlich zu kommunizieren. Die Message muss sein: Stellt euch um! Ansonsten wundert euch nicht, wenn die eine oder andere Gelbe Karte mehr kommt.“

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Beim Zweitliga-Spiel zwischen Dynamo Dresden und dem SV Wehen Wiesbaden erkannte Martin Petersen einen Treffer der Gäste nicht an – das sorgte für Wirbel.

Foto:

imago images/Hentschel

…die kuriosesten Entscheidungen der laufenden Saison: „Dauerthemen sind natürlich der Video-Assistent und Handspiel. Vor allem in der Zweiten Liga gab es in der Hinrunde eine Reihe sehr kurioser Fälle. Beim Spiel Kiel gegen Bochum gab es einen Strafstoß nach Video-Intervention, weil ein Auswechselspieler, der sich hinter dem Tor warmgemacht hat, den Ball, der ja am Tor vorbeigegangen wäre, kurz vor Überschreitung der Linie aufgehalten hat. Das war natürlich nicht im Sinne des Fußballs, denn der Spieler hatte ja keine unsportliche Absicht. Beim Spiel Hannover gegen Darmstadt hatte wiederum Marc Stendera ein Tor erzielt, nachdem der Ball vom Rücken des Schiedsrichters abgeprallt war. Der Treffer wurde nicht gegeben, weil der Schiedsrichter seit dieser Saison ja nicht mehr immer Luft ist. Das war korrekt, aber ärgerlich für Hannover. Ebenfalls sehr kurios: Im Spiel Dresden gegen Wiesbaden hatte der SV Wehen ein Tor erzielt, der Ball war aber zuvor auf der anderen Spielfeldseite im Aus gewesen. Der Video-Assistent griff ein. Regeltechnisch war das auch alles korrekt – aber natürlich nicht unbedingt im Sinne des Spiels.

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Viele Schiedsrichter haben in den Amateur-Ligen häufig einen schweren Stand.

Foto:

imago images/Claus Bergmann (Symbolbild)

…„Namensstifter“ Pierluigi Collina (59): „Er ist im beste Sinne des Wortes ein Unikat als Schiedsrichter gewesen. Mir fällt niemand ein, der so auftritt. Es gibt aber trotzdem viele gute Typen und herausragende Schiedsrichter. Björn Kuipers aus den Niederlanden muss genannt werden, wenn es um hochklassige internationale Schiedsrichter geht. Oder Néstor Pitana aus Argentinien, einer, der kein Schiedsrichter von der Stange ist. Er sieht sehr speziell aus, mit seiner Bodybuilder-Figur und seiner strengen Frisur. Er hat eine bemerkenswerte Mischung aus Empathie und Autorität.

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Der Italiener Pierluigi Collina galt zu seiner aktiven Zeit als einer der weltbesten Schiedsrichter.

Foto:

imago/Thomas Zimmermann

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In Deutschland muss sicher Manuel Gräfe genannt werden, der jedes Jahr in den Umfragen unter den Spielern ganz vorn landet. Er hat eine unglaublich hohe Akzeptanz, und er ist seit Jahren der Schiedsrichter mit den wenigsten Freistößen pro Spiel. Auch Deniz Aytekin muss genannt werden. Er hat lange Zeit stark polarisiert, viele mochten ihn nicht. Das hat sich aber total geändert. Auch viele junge Schiedsrichter kommen nach und machen schon einen richtig guten Job. Sascha Stegemann aus Niederkassel, beispielsweise. Auch Patrick Ittrich muss da erwähnt werden.

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