Nach Razzien: UN fordert Schutz von Aktivisten der „Letzten Generation“
„Völlig bekloppt“ findet der Kanzler die Verkehrsblockaden der„ Letzten Generation“. Die Justiz geht mit einer Razzia gegen die Klimaschutzgruppe vor und prüft eine Einstufung als kriminelle Vereinigung. Beobachtet wird das auch bei den Vereinten Nationen.
Nach der Razzia gegen die Protestgruppe „Letzte Generation“ haben die Vereinten Nationen die Bedeutung von Klimaschützern und deren Aktionen hervorgehoben. Zugleich sagte der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, Regierungen hätten trotz des herrschenden Grundrechts auf friedliche Demonstrationen natürlich die Verantwortung, Gesetze durchzusetzen und die Sicherheit zu gewährleisten.
Razzia gegen Klimaschützer: Was geschehen war
Polizei und Staatsanwaltschaft waren am Mittwoch mit einer Razzia gegen die „Letzte Generation“ vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt sagten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Die Aktivisten bestreiten vehement, kriminell zu sein, obwohl mehrere bereits wegen Straftaten verurteilt wurden, mitunter auch zu Haftstrafen.
Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Ihre Mitglieder kleben sich dabei häufig an Straßen oder Kunstwerken fest – behindern damit aber auch Einsatzfahrzeuge. Auch Attacken auf Einrichtungen der Ölindustrie werden ihnen vorgeworfen. Mit ihrem Protest will die Letzte Generation klimapolitische Defizite anprangern – etwa mit Blick auf die immensen klimaschädlichen Emissionen des Autoverkehrs. Die Aktivisten verlangen einen sogenannten Gesellschaftsrat, der das Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe in Deutschland bis 2030 planen soll. Außerdem fordern sie Tempo 100 auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket.
Razzia bei Letzter Generation: Was die UN sagen
„Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiter verfolgt. Sie müssen geschützt werden, und wir brauchen sie jetzt mehr denn je“, sagte Guterres‘ Sprecher Stephane Dujarric in New York. Protestierende hätten in „entscheidenden Momenten maßgeblich dazu beigetragen, Regierungen und Wirtschaftsführer dazu zu bewegen, viel mehr zu tun“. Ohne sie wären die weltweiten Klimaziele bereits außer Reichweite, sagte Dujarric.
Was Unionspolitiker vom Verfassungsschutz wollen
Mehrere Unionspolitiker stellen die Entscheidung des Verfassungsschutzes in Frage, die „Letzte Generation“ nicht zu beobachten. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries (CDU) sagte der „Welt“: „Eine Organisation, die systematisch Straftaten plant und begeht und dabei auch nicht vor Gewaltdelikten, Bedrohungen und Nötigungen unserer Verfassungsorgane zurückschreckt, ist ein Fall für den Verfassungsschutz.“ Er halte „eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln für geboten“.
Der CSU-Abgeordnete Alexander Hoffmann erklärte, innerhalb der Gruppe würden „Ideen wie eine Notstandsgesetzgebung, das völlige Ausschalten politischer Instanzen und deren Entscheidungen sowie die Umverteilung von Eigentum“ diskutiert. „Dies zielt eindeutig auf die Beseitigung der verfassungsgemäßen Ordnung ab.“
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte „eine grundlegende Neubewertung der ,Letzten Generation‘ durch die Sicherheitsbehörden“, falls sich der Verdacht bestätige, dass aus dieser Bewegung heraus ein Anschlag auf eine Öl-Pipeline geplant worden sei.
Letzte Generation: Was der Verfassungsschutz sagt
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang (CDU), hatte zuletzt gesagt, seine Behörde habe keine hinreichenden Anhaltspunkte, die Gruppe als extremistisch einzuschätzen. Da die Grundhaltung der Aktivisten sei, auf aktive Gewalt zu verzichten, liege kein Extremismus vor. In dieser Einschätzung sei er sich mit allen 16 Landesämtern für Verfassungsschutz einig. Der Verfassungsschutz verfolge aber täglich, wie sich die Situation entwickle.
Was andere Klimaschützer meinen
Die „Fridays for future“-Aktivistin Luisa Neubauer erhob nach der Razzia Vorwürfe gegen die deutsche Politik und Justiz. „Während die FDP ungestört die Klimaziele malträtiert, arbeiten sich diverse Staatsorgane bemerkenswert unprofessionell daran ab, die Klimabewegung und vor allem die ,Letzte Generation‘ auf ihre Demokratietreue hin zu überprüfen.“ Dabei poche die Klimabewegung auf die Einhaltung geltenden Rechtes, nämlich des Klimaschutzgesetzes. Sie kritisiere zwar die Protestform der Gruppe „Letzte Generation“, aber es brauche jetzt „Bewegung auf den Straßen“, und zwar „völlig egal, unter welchem Logo man läuft“.
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Viele Experten bezweifeln, dass sich der von den Aktivisten zurückgewiesene Vorwurf, sie gehörten einer kriminellen Vereinigung an, stichhaltig begründen lässt. Denn nur, wenn man die erklärten klimapolitischen Motive der Gruppe als vorgeschoben abtue, könne man ihre illegalen Handlungen – wie etwa Nötigung – zum eigentlichen Hauptzweck der Gruppierung umdeuten. Straßenblockaden seien wohl für manche lästig, aber keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Und aus den recht moderaten Forderungen der Gruppe lasse sich schwerlich ein ein radikales oder gar extremistisches Gedankengut ableiten.
Was die Bevölkerung über die „Klimakleber“ denkt
Eine sehr große Mehrheit der Deutschen hält die Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für richtig, die Aktionen der „Letzten Generation“ seien „völlig bekloppt“. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für das digitale Medienhaus Table.Media. Von den Befragten äußerten sich 82 Prozent entsprechend. 15 Prozent fanden Scholz Aussage falsch, vor allem Jüngere zwischen 18 und 39 Jahren (24 Prozent). (dpa/mp)