• MOPO-Reporter Buttje Rosenfeld (l.) mit dem früheren St. Pauli-Trainer Sepp Piontek vor dessen Haus im dänischen Odense
  • Foto: privat/hfr

Ex-St. Pauli-Trainer: „Die halbe Mannschaft glaubte an Geister“

Ein Ostfriese als St. Pauli-Trainer. Timo Schultz (43) hat da durchaus einen bekannten Vorgänger. Auch Sepp Piontek (80) wuchs in Ostfriesland auf. Nicht die einzige Gemeinsamkeit. Wie Schultz spielte auch Piontek für Werder Bremen, wurde mit den Grün-Weißen 1965 sogar Deutscher Meister. Die MOPO besuchte den Ex-Coach der Kiezkicker in seiner Wahlheimat Odense in Dänemark.

Dort ist er nach wie vor ein Volksheld. Nachdem er 1978/79 St. Pauli erfolgreich gecoacht hatte, trainierte er die wohl beste dänische Nationalmannschaft aller Zeiten, kreierte den international bestaunten Offensivfußball Marke „Danish Dynamite“.

St. Paulis Ex-Coach Piontek erfand „Danish Dynamite”

Piontek hatte mit Preben Elkjaer-Larsen, Alan Simonsen, Michael Laudrup, Morten Olsen, Frank Arnesen, Sören Lerby und Co. zwar grandiose Fußballer zur Verfügung, doch die hatten sich bis dato stets zu schnell mit zu wenig zufriedengegeben.

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Der sechsmalige deutsche Nationalspieler erzählt: „Sie glaubten, dass man es schon irgendwie schaffen wird. Doch ich sagte ihnen: ‚Von allein geht es nicht, ihr müsst was dafür tun.‘  Ich setzte bei den Jungs auf ihre individuellen Stärken, ließ ihnen Freiheiten, verlangte aber auch Disziplin und Teamgeist.“

Unter Piontek erreichten die Dänen 1984 das EM-Halbfinale und 1986 das WM-Achtelfinale. Das ganze Land schien von den Erfolgen zu profitieren. Bis vor wenigen Jahren hielt der frühere Verteidiger Vorträge, musste immer wieder aus den 1980er Jahren erzählen.

Piontek denkt gern an St. Pauli zurück

Aber auch an seine Zeit bei St. Pauli denkt der Erfolgscoach gern zurück. 1978/79 trainierte er die Kiezkicker. „Die Zeit möchte ich nicht missen. Die Truppe musste nach dem Abstieg aus der 1. Liga stabilisiert werden – und das haben wir mit dem sechsten Platz trotz des dauernden Chaos geschafft.“

Sepp Piontek war in der Saison 1978/79 Trainer des FC St. Pauli.

Sepp Piontek war in der Saison 1978/79 Trainer der Kiezkicker.

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WITTERS

St. Pauli hatte damals nicht einmal einen eigenen Trainingsplatz. Zu den Einheiten ging es entweder zum Leidwesen des Rasens ins eigene Stadion oder auf die Parkplatzwiese hinter dem alten Volksparkstadion. Dort kämpfte Piontek auch gegen Maulwurfshügel. „Kommt raus, ihr Feiglinge! Von euch lasse ich mir meinen Platz nicht kaputt machen“, rief er den Tierchen damals entgegen.

St. Pauli: Klimpergeld in Papiertüten

Als Problem erwies sich auch der extreme Winter. Viele Partien konnten nicht stattfinden, die Einnahmen blieben aus, die Spieler erhielten Abschlagszahlungen inklusive Klimpergeld in Höhe von 30 Prozent in braunbeigen Lohntüten. Piontek schaffte es dennoch, seine Profis bei Laune zu halten, sagt heute rückblickend: „Seitdem ich als kleiner Junge die Bücher von Karl May gelesen hatte, stehe ich auf große Abenteuer.“

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Die hatte er bereits als Nationaltrainer von Haiti (1976 bis 1978) erlebt: „Ich hatte es dort mit einem Voodoo-Priester zu tun, der unsere Spieler mit Weihwasser zum Sieg bringen wollte. Die halbe Mannschaft glaubte an Geister.“ Lachend fügt er hinzu: „Nach diesen Erlebnissen hatte ich mit dem Chaos bei St. Pauli natürlich keine Probleme.“

Auf Grönland wurde Piontek mit Fisch bezahlt

Piontek, der Anfang der 2000er Jahre Grönland betreute und statt Geld Fisch als „Gehalt“ kassierte („Ich bekam Leckereien, die sonst nur die dänische Königin erhielt“), interessiert sich immer noch sehr für St. Pauli. Er freut sich, dass es dem Verein seit vielen Jahren wirtschaftlich gut geht, das Stadion vor der Corona-Krise stets ausverkauft war.

Zu seiner Zeit waren Geld und Zuschauer am Millerntor Mangelware. Am Ende „seiner“ Saison 1978/79 war der Verein zwar Sechster, aber wegen Schulden in Millionenhöhe wurde er vom DFB zum Zwangsabstieg in die Oberliga Nord verurteilt.

Piontek: Chance für Timo Schultz richtig

Dass die Bosse mit Timo Schultz einem Eigengewächs ohne Erfahrung im Profi-Bereich eine Chance gegeben haben, findet er gut: „Irgendwann muss es ja losgehen mit der Trainer-Karriere.“

Seit 40 Jahren wohnt Piontek mit seiner dänischen Ehefrau Gitte (76) in Odense. Er hat es immer genossen, dass er von Nachbarn und der Öffentlichkeit nie belästigt wurde. Piontek: „In meinen Elf Jahren als Nationaltrainer stand ich hier ganz normal im Telefonbuch. Ich habe nur zwei Anrufe in all dieser Zeit erhalten – jeweils in der Nacht. Einmal rief mich ein Journalist an und wollte was zu einem Doping-Fall eines dänischen Radfahrers bei der Tour de France wissen.”

Beim zweite Mal meldete sich laut Piontek ein angetrunkener Fußball-Fan: „Er sagte: ‚Ich sitze grad mit meinen Freunden in der Kneipe. Es geht um eine Wette. Wie viele Tore hat Preben Elkjaer-Larsen beim 6:1 gegen Uruguay bei der WM 1986 in Mexiko geschossen?‘ Ich entgegnete: ‚Drei Treffer! Aber wissen Sie, wie spät es ist? Es ist zwei Uhr in der Nacht.‘ Der Fan lallte: ‚Ich weiß, bitte seien Sie nicht böse. Aber es geht um 1000 Kronen.‘ Das sind 135 Euro. Ich musste lachen und wünschte ihm eine gute Nacht.“

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