Homosexuelle Fußball-Profis in Deutschland: „Man sitzt in einer Folterkammer“
Marcus Urban ist 49 Jahre alt, studierter Ingenieur, hat eine Management-Ausbildung und ebenso als Koch gearbeitet wie als Möbeldesigner. Und, Marcus Urban ist homosexuell. Eigentlich nicht erwähnenswert. In diesem Fall aber doch.
Denn Urban, geboren 1971 in Weimar und früherer Jugendnationalspieler der DDR, ist der erste ehemalige Profifußballer, der darüber offen sprach. 2007 war das. Heute arbeitet er als Berater für Sportvereine und -verbände, ist Coach und Geschäftsführer des Vereins für Vielfalt in Sport und Gesellschaft, der als Anlaufstelle für Sportlerinnen und Sportler dient und sich gegen Diskriminierungen aller Spielarten einsetzt.
Die MOPO sprach mit Urban über das unsichtbare Gefängnis, in das er sich eingesperrt fühlte und darüber, dass es schon sehr bald das erste Outing in Deutschland geben könnte.
MOPO: Herr Urban, Sie haben mit Bezug auf homosexuelle Fußballer einmal den Satz gesagt: „Der Fußball ist ein idealer Platz, um sich zu verstecken.“ Dabei stehen Fußballer doch in der Öffentlichkeit wie kaum jemand sonst. Was haben Sie mit diesem Satz gemeint?
Marcus Urban: In der Öffentlichkeit kann man Homosexualität leicht vertuschen. Vor allem dort, wo es niemand erwartet, im Fußball. Man kann den harten Kerl rauskehren, das fällt nicht auf. Es gilt die Unschuldsvermutung (lacht). Aber irgendwann bröckeln die Fassaden.
Sie sagten damals auch, dass Sie sich „ständig gefesselt“ fühlten.
Man sitzt in seinem Kerker. Die Stangen werden gesetzt durch Mobbing und Diskriminierung, die automatisch integriert sind im Leben. In der Schule, in der Fußballmannschaft. Beim Training sagt jemand: „Schwuler Pass“, sie fragen: „Was sind das für schwule Schuhe?“ Ich habe mich gefühlt wie im Gefängnis. Und das Schlimme ist, dass es niemand sieht. Man sitzt in einer Folterkammer und keiner kriegt’s mit.
Ihre vielversprechende Karriere haben Sie 1993 beendet, bevor Sie richtig begann. Welche Unterstützung hätten Sie damals gebraucht?
Ich hätte mir gewünscht, dass die Leute mich so akzeptieren, wie ich bin. Fußball ist ein Mannschaftssport. Mannschaftssport im Sinne von Mann. Männer setzen Hierarchien, Hackordnungen. Da wird mit Diskriminierung gearbeitet. Nach meinem Karriereende hab ich das Thema nicht mehr verfolgt und hatte sehr mit mir zu tun, die schwere Zeit zu verarbeiten. Dann habe ich gemerkt: Du kannst schwul sein und Fußballer. Da war es dann aber schon zu spät für eine Fortsetzung der Profikarriere.
Seitdem hat sich einiges getan. Sind Sie zufrieden mit dem, was seit Ihrem Karriereende im Sport im Kampf gegen Homophobie erreicht wurde?
Das Sommermärchen hat 2006 einiges bewirkt. Die Spieler hießen Asamoah, Klose und Odonkor, das war normal. Aber Journalisten fragten plötzlich: Wo ist die andere Vielfalt, die wir sonst kennen? Das brachte die Themen Liebe und sexuelle Orientierung, die es bisher nicht gab, vor ein Millionenpublikum. Und dann kam irgendwann der 8. Januar 2014, Thomas Hitzlsperger outete sich. Die Telefone klingelten heiß, ich war aufgeregt und stolz. Mir war klar: Das ist ein Meilenstein.
Sind Sie also mit diesem Fortschritt zufrieden?
Es ist zufriedenstellend, dass es heute das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt. Jetzt könnte man sich darauf stützen. Es ist zufriedenstellend, dass heute Männer Männer und Frauen Frauen heiraten dürfen. Es ist zufriedenstellend, dass aus einem verschwiegenen Thema eines geworden ist, das nicht mehr wegzudenken ist. Dennoch ist Homophobie im Alltag mal mehr, mal weniger versteckt, aber noch sehr verbreitet.
Ist deswegen noch kein Spieler in die Öffentlichkeit gegangen? Und was fehlt dazu?
Mut. Den wollen die Spieler gern haben. Aber sie haben Angst. Angst, ihre Karriere aufs Spiel zu setzen. Man müsste aber den Spieß umdrehen, eine Kulturveränderung schaffen, in der Offenheit und Transparenz die Credos sind. Es gibt auch Vereine, die sich engagieren, da wird schon einiges gemacht. Aber der sportliche und finanzielle Nutzen ist für die Klubs noch unklar.
Was muss seitens der Vereine und Verbände passieren?
Punktuell gibt es beim DFB und bei den Vereinen Aktionen. Aber im Fußballgeschäft wechseln die Personen schnell und oft. Diversity-Konzepte müssten strukturell, ohne Wenn und Aber, integriert werden. Man müsste Schulungsveranstaltungen für Schiedsrichter, Trainer, Spieler und Verantwortliche organisieren und Fans einbeziehen. Der Verein für Vielfalt in Sport und Gesellschaft leistet da schon Bemerkenswertes. Wenn Sie wichtige Themen verschweigen, machen Sie daraus künstlich etwas Anrüchiges. Zu freiwilligen Seminaren kommt niemand. Wie wäre es, die Themen in die Trainerlizenzausbildung einzubinden, zumindest anzureißen? Manchmal scheinen die Bildungsangebote etwas abgehoben und müssten einfacher sein. Wenn Sie etwas bewegen möchten, müssen Sie die Leute berühren. Wenn Sie die Herzen bewegen, bewegen Sie vielleicht die Köpfe.
Aufmerksamkeit erregt hat der Kanal „gay_Bundesligaspieler“, der auf Twitter schrieb, er sei ein schwuler Spieler aus der 2. Bundesliga, der sich outen wolle.
Ich bin in Kontakt mit den Personen, die dahinter stehen. Es ist schon ein großer Wille da. Ich merke, da steckt ein Ziel dahinter. Es bestehen auch Pläne, dass sich mehrere Spieler zusammenschließen, um sich zu outen. Bei den Spielern geht es mitunter um einen täglichen Überlebenskampf. Trotzdem ist das erste Outing eines aktiven Profis Nullkommanichts entfernt, das kann heute oder morgen passieren. Es wäre ratsam als Verein darauf vorbereitet zu sein. Wenn öffentlich werden würde, wie es wirklich aussieht, würde sich das Bild des Fußballs verändern.
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Aktuell steht der Kampf gegen Rassismus im Fokus. Lenkt das vom Kampf gegen Homophobie eher ab oder wird das Unrechtsbewusstsein hinsichtlich Diskriminierungen aller Art gestärkt?
Der Fokus verschiebt sich immer mal. Homosexualität ist unsichtbar, deswegen wird die Diskriminierung da nicht so konkret. Jetzt wird gerade viel gegen Rassismus getan, aber Diskriminierung ist wie ein siebenköpfiger Drache: Schlägt man den Kopf Rassismus ab, wächst Sexismus nach. Man muss ganzheitlich denken. Es macht keinen Sinn, nur eine Diskriminierungsform zu bekämpfen.