• SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach spricht im ZDF mit Markus Lanz über die geplanten Lockerungen der Bundesregierung während der Coronakrise.
  • Foto: ZDF-Screenshot

„Wenn das schief geht…”: Politiker warnt bei „Markus Lanz” vor der Corona-Katastrophe

Hamburg –

Es war ein besonders wichtiger Tag in dieser Corona-Krise: Am Mittwoch verkündete die Bundesregierung, wie es jetzt weitergehen soll.

Es gibt weiterhin strikte Kontaktbeschränkungen, allerdings sollen einzelne Corona-Maßnahmen behutsam gelockert werden (hier lesen Sie mehr). Bestimmte Geschäfte dürfen wieder öffnen, ab Mai soll auch der Schulbetrieb wieder langsam aufgenommen werden.

Über diese weiteren Schritte in der Krise wurde auch am Mittwochabend bei „Markus Lanz“ (ZDF) gesprochen.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), Wolfgang Kubicki (FDP) sowie der Epidemiologe Karl Lauterbach (SPD) und die Virologin Prof. Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) waren zu Gast.

Experten bei Markus Lanz: „Aktuelle Maßnahmen erlauben keinen Fehler”

Und schnell wurde klar, dass sich die beiden Gesundheitsexperten in einer Sache einig sind. Die aktuellen Maßnahmen des Bundes erlauben keine Fehler. Gar keine. Sie sind „auf Kante genäht“, wie es Lauterbach formulierte.

Nachdem Bürgermeister Tschentscher die aktuellen Maßnahmen noch einmal verteidigte, fragte Moderator Lanz die Virologin, ob die Lockerungen jetzt vielleicht zu schnell kommen.

„Die Pandemie ist noch nicht vorbei“, erklärt Brinkmann. Die Reproduktionszahl liege derzeit bei eins – eine Person steckt im Durchschnitt eine weitere an. „Je weiter dieser Wert unter eins liegt, desto besser.“

Es sei deshalb wichtig, noch mehr Kontrolle über die Infektionsketten zu bekommen, so die Expertin. „Dann können wir uns eher Fehler erlauben, wenn wir zum Beispiel Maßnahmen wie die Öffnungen der Schulen wieder zurücknehmen müssen.“

Lauterbach über Corona: „Wenn das schief geht, fliegt uns das um die Ohren”

Es sind keinerlei Fehler erlaubt – das bestätigte auch SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach: Die aktuellen Maßnahmen lassen keinen Spielraum.

„Wenn wir schon beim Reproduktionsfaktor eins mit den Lockerungen anfangen und die Maßnahmen laufen nur ein bisschen aus dem Ruder, sind wir sofort wieder da, wo wir vor dem Lockdown waren“, sagt er. Vor Wochen lag der Faktor noch bei weit über 3. „Wenn das schief geht, fliegt uns das um die Ohren.“

Denn die bislang geringen Todeszahlen in Deutschland im globalen Vergleich führt der SPD-Politiker auf die Tatsache zurück, dass hierzulande vor allen Dingen junge Menschen als erstes von Covid-19 betroffen waren.

Sie waren es, die das Virus etwa aus Ischgl mitbrachten oder beim Karneval in Heinsberg verbreiteten. „Wenn wir in die nächste Runde kommen, dann sind auch die Alten bei uns dran“, meint Lauterbach. 

Dann würden die Todesraten erheblich steigen. Derlei Entwicklungen sind schon in den ersten Alten- und Pflegeheimen in Deutschland zu sehen gewesen. Allein in NRW gab es in 68 vollstationären Pflegeheimen insgesamt mindestens 174 Todesfälle von Bewohnern mit einer Corona-Infektion.

Corona-Maßnahmen: Liegt der Fokus nicht ausreichend auf den Altenheimen?

„Es ist ein Wahnsinn, dass wir in den Altenheimen nicht genug Mittel für den Schutz der Bewohner haben“, so Lauterbach weiter. Der Fokus läge nicht ausreichend auf den besonders betroffenen Risikogruppen.

Hier lesen Sie mehr: Was ist erlaubt, was nicht? Alle Corona-Maßnahmen auf einen Blick

FDP-Vize-Chef Kubicki erklärte, er sei nicht bereit, bestimmte Maßnahmen hinzunehmen, „deren Plausibilität sich mir nicht erschließt.“

Sein Einwand: „Wenn wir zwei Meter Sicherheitsabstand einhalten können, warum können wir nicht Gartenlokale öffnen. Oder Strände. Dann kann mir niemand erklären.“

Auch die Maßgabe von 800 Quadratmetern bei den Geschäften, die allmählich wieder öffnen können, trifft bei dem Politiker auf wenig Verständnis.

Kubicki über Corona-Maßnahmen: „Jobs sind nicht nur Broterwerb”

Dabei sei es gerade in der Krise wichtig, solche Dinge ausreichend klar zu machen. „Jobs sind nicht nur Broterwerb, sondern auch Lebensinhalt. Wenn die Leute keine Wegmarken bekommen, werden sie bald das politische System in Frage stellen“, meint Kubicki.

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Wolfgang Kubicki (FDP) kritisiert einige Corona-Maßnahmen.

Foto:

picture alliance/dpa

SPD-Experte Lauterbach widerspricht entschieden. „Wenn wir etwa die Strände öffnen, dann würde sich die derzeitige Situation sofort ändern“, erklärt er. „Denn die knapp bemessene Infektionsrate, die wir jetzt haben, wird ja nicht sinken, wenn wir nun noch weiter lockern.“

Es sei das oberste Ziel, den Reproduktionsfaktor bei 1 zu halten oder zu senken, „bis wir eine Impfung haben.“

Virologin über derzeitige Situation: „Infektion läuft weiter”

Auch Virologin Brinkmann stimmt zu: „Vor dem Lockdown war unser Problem, dass wir nicht genug Daten für den richtigen Weg hatten. Nun haben wir Daten: Der Reproduktionsfaktor liegt bei 1, das heißt, die Infektion läuft weiter. Die Fallzahl muss kontrollierbar sein.“

Je niedriger der Wert sei, desto mehr Handlungsspielraum hätte die Gesellschaft.

„Wir sind nah am Abgrund. Sobald in der Lockerung Fehler passieren, ist das nicht gut. Auch nicht für die Wirtschaft. Denn dann müssen wir wieder alles zumachen, und haben einen neuen Lockdown.“ Das sei auch psychologisch für die Bürger unerträglich.

Suche nach der richtigen Corona-Strategie

Wie würde also eine gute Strategie aussehen, die aus der Krise herausführt?

Das Helmholtz-Institut hat drei Szenarien vorgestellt, in denen es darum geht, wie bestimmte Schritte und Lockerungen sich auf das Risiko auswirken würden.

„Es wäre besser, ein bisschen länger durchzuhalten. Nur ein paar Wochen würden genügen“, so Brinkmann. „Unter der von der Leopoldina vorgestellten Voraussetzungen, dass wir genug Masken haben, massenweise Tests durchführen können und eine App haben, könnten wir fast normal leben.“ Doch alle drei Kriterien sind noch immer nicht erfüllt.

Eine Strategie, die auch Lauterbach teilt: „Meine Ansage an die Bevölkerung wäre: Haltet noch länger durch. Dann können wir das Südkorea Europas werden.“

Strenge Maßnahmen sollten so lange wie möglich gelten. Das sei besser, „als diese kleinen Lockerungen über einen wesentlich längeren Zeitraum.“

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