Entertainer im Interview: Riccardo Simonetti: „Anders sein, das ist nichts Schlimmes!“
Berlin –
Lange Locken, buntes Make-up, schrille Klamotten: Riccardo Simonetti fällt auf – nicht nur optisch: Der 27-Jährige steht selbstbewusst zu seiner Homosexualität und setzt sich für mehr Akzeptanz ein. Die MOPO sprach mit ihm über sein Outing, Schwulenhass – und Selbstliebe.
MOPO: Wann hast du gemerkt, dass du auf Männer stehst?
Riccardo Simonetti: Ich war schon immer anders und wurde früh mit dem Begriff „schwul“ konfrontiert – schon im Kindergarten. Ich selbst habe mich da noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt, aber meine Umgebung hat mich irgendwie gleich in diese Richtung geschoben. Ich habe es aber erst so richtig gemerkt, als ich aus der Kleinstadt weggezogen bin.
Wie verlief dein Coming-out?
Ich hatte mein offizielles Coming-out vor ein paar Jahren in der „Bunten“. Ich wollte Sichtbarkeit schaffen, denn die Situation wird nicht leichter, wenn man nicht darüber spricht. Ich habe mich tatsächlich in der Öffentlichkeit geäußert, bevor ich es in der Familie thematisiert hatte. Meine Mama wusste es aber schon vorher.
Du hast mal erzählt: „Ich habe jeden Abend gebetet, dass ich nicht schwul bin.“
Als Junge mit Faible für Pailletten war es auf dem Land nicht immer leicht. Ich hatte zwar Freunde, die gut fanden, wie ich bin – aber noch mehr Gegner. In meiner Welt war Schwulsein einfach nicht möglich, keiner hat „schwul“ mit etwas Positivem verbunden. Ich hatte Angst, dass ich keine Zukunft habe, wenn es zutrifft, dass ich schwul bin. Daher nutze ich jetzt auch jede Plattform, die sich bietet, um über dieses Thema zu reden. Es ist wichtig, dass man Identifikationsfiguren hat. Das Thema muss mehr in den Mittelpunkt gerückt werden, damit Menschen eine Chance auf Identifikation und Repräsentation bekommen.
Du hast auch mal erzählt, dass man dich „angezündet“ hat. Das klingt dramatisch.
Ich wurde mal im Schulbus angezündet, ja, aber ich spreche nicht gern darüber. Das soll nicht im Vordergrund stehen, nicht die Headline meiner Geschichte sein. Aber ja: Ich habe physische und psychische Gewalt erlebt, wurde jeden Tag beschimpft, verurteilt, auch wenn ich nur die Straße entlanggelaufen bin. Ich habe die Bus-Geschichte erzählt, damit man nachempfinden kann, warum ich mich so engagiere.
Wie verarbeitet man so was?
Ich habe mich einfach in eine Welt hineinprojiziert, von der ich dachte, man akzeptiert mich da so, wie ich bin. Ich habe auch lange Theater gespielt, da hat es keinen interessiert, wenn ein Mann Schminke im Gesicht hat.
Was würdest du anderen raten, die mit sich und ihrer Umwelt kämpfen?
Wichtig ist, sich treu zu bleiben, auch das zu schätzen, wofür andere einen kritisieren. Oft sagt man sich: Ich oute mich, wenn ich das und das hinter mir habe… Aber nein: Man sollte zeigen, wer man ist, so kann man auch sein Umfeld erziehen. Auch in der Familie: Eltern wollen ja eigentlich immer das Beste für ihr Kind. Es lohnt sich, sie an die Hand zu nehmen und zu erklären, was für Bedürfnisse man hat.
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Wo stehen wir beim Thema Akzeptanz?
Ich persönlich habe ein tolles Umfeld, in meiner direkten Welt ist keiner homophob. Ich glaube aber, dass die Gesellschaft in Deutschland noch einiges dazulernen muss. Noch gilt Homosexualität nicht als normal. Man muss nur mal mit seinem Freund Hand in Hand die Straße entlanggehen, um das zu erleben. Oft höre ich Leute sagen: „Ich habe nichts gegen Schwule, aber …“ Ich glaube, dass es mehr Identifikationsfiguren braucht.
Ist das der Grund für dein Engagement?
Mir geht es darum, dass Menschen lernen, dass anders sein nichts Schlimmes, sondern etwas Tolles sein kann – nicht nur bei LGBTQI-Themen, sondern generell bei Sexualität, Religion, Körperform, Behinderung. Man kann in so vielen Hinsichten anders sein – und das sollte endlich als etwas Tolles betrachtet werden. Alle haben am Ende etwas davon, wenn jeder so sein darf, wie er ist.
Du hast auch ein Kinderbuch zu dem Thema geschrieben …
Ja, um genau das zu vermitteln: Den Kindern auf spielerische Art beibringen, dass Anderssein nichts Schlechtes ist. Oft bekomme ich zu hören, dass das Thema Sex nichts für Kinder ist, aber es geht nicht um Sex, sondern ganz einfach um Liebe und Zusammensein. Damit werden Kinder in der heteronormativen Welt doch auch von klein auf konfrontiert. Ich denke, man kann nicht zu jung sein, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wenn man es schafft, den Kindern das zu vermitteln, kann man den Grundstein für eine tolerante Gesellschaft legen.
Was würdest du dem jungen Riccardo rückblickend mitgeben?
Ich würde mir selber raten, mich nicht von meinem Umfeld verunsichern zu lassen. Und ich hätte mir gewünscht, dass ich schneller eine positive Assoziation zum Thema Schwulsein gefunden hätte. Das Leben nach dem Coming-out ist immer schöner als das Leben davor. Vielleicht wenden sich Menschen von dir ab, aber du findest auch neue Bezugspersonen. Und die bleiben dann meist für immer.