Als Götter und Menschen noch zusammen Orgien feierten
Das Theater-Event dieses Herbstes hat begonnen: Am Schauspielhaus an der Kirchenallee (St. Georg) eröffnet Karin Beier ihr großes, fünfteiliges Projekt „Anthropolis. Ungeheuer. Stadt. Theben“ mit „Prolog/Dionysos“. Ein verheißungsvoller Auftakt mit Rindenmulch, einem Pferd und einem antiken Partylöwen.
Der Einstieg ist leise und episch. Michael Wittenborn steht am Bühnenrand und sagt: „Stellen Sie sich vor … vor Ihrem geistigen Auge erscheint das das Meer …“ So führt er uns zurück und hin in eine Sagenwelt vor unserer Zeit, wo die Götter und Menschen nebeneinander existierten. „Anthropolis“ aber erzählt nun vom Wendepunkt, dem Dammbruch. Die Menschen machen ihr eigenes Ding, sie gründen eine Stadt – mit verheerenden Folgen.
Fünf nackte Männer gründen Theben
Der Rindenmulch auf der Bühne wird im „Prolog“ beregnet, das sorgt im Parkett für einen feuchten, erdigen Geruch. In dieser Wildnis errichten „fünf nackte Männer“ die spätere Stadt Theben, die mit den Bodenschätzen „reich und mächtig“ sein wird, so die Vorhersage. Sie entdecken Schrift und Musik, also die Kultur, und draußen vor den Toren wachsen „Wellblechsiedlungen“, drohen „Krankheit, Enge, Tod“. Die Slums sind nicht der erste Hinweis darauf, dass uns die Inszenierungen der griechischen Tragödien auch etwas über unsere heutige Zivilisation mitteilen möchten, Denkanstöße geben. Etwa: Was bedeuten unsere Lebensentscheidungen als Gesellschaft für andere, die nicht dazugehören?
Zum Schluss des Prologs wird Dionysos (Carol Ljubek) geboren, der vermeintliche Sohn des Zeus, Gott in Menschengestalt und antiker Partylöwe. Er verführt alle Frauen der Stadt dazu, ihm in den Wald zu folgen, um dort ungeheuerliche Orgien zu zelebrieren. Theben-Herrscher Pentheus (Kristof Van Boven) möchte gegen ihn in den Kampf ziehen, hat aber gegen die göttliche Kraft keine Chance. Die Frauen – und allen voran seine eigene Mutter (Lina Beckmann) – zerfetzen ihn.
Der deutsche Text stammt von Roland Schimmelpfennig – modern, eindringlich, spannend –, und die Bilder, die Regisseurin Karin Beier entwickelt, tragen das Stück mit einer guten Balance aus Schwere und Leichtigkeit über die knapp drei Stunden. Es gibt subtile und weniger subtile humoristische Momente (eine Comedy-Weinprobe mit Lina Beckmann), und extrem starke Bilder. Ein tiefenentspanntes Pferd (Sam) hat zwei längere Auftritte, eine Gruppe von Taiko-Trommler:innen schlagen effektvoll zum Kampf, aus dem Ensemble ragen Van Boven sowie Beckmann in ihrer Schlussszene heraus. Ein verheißungsvoller Auftakt. Fortsetzung folgt!
24.9., 21.10., 8.11., Schauspielhaus, Karten 6 bis 51 Euro, Tel. 24 87 13