Geschichten vom Meer: Mitten auf dem Ostsee Sturm
Die „Finnstar“ läuft südlich des schwedischen Karlskrona, als der Sturm zum ersten Mal deutlich an Bord zu spüren ist. Knapp 220 Meter ist die Fähre lang, mit eisverstärktem Bug für die kalten Winter des Nordens, und sie verfügt über Stabilisatoren. Doch nun beginnt die Finnlandfähre in der achterlichen See zu rollen.
„Der da vorne hat Spaß“, sagt Kapitän Niclas Seligson (50). Er meint einen kleinen Frachter, der auf entgegengesetztem Kurs gegen die Wellen ankämpft. Die Nachrichten, die in diesen Stunden von den Küsten der Ostsee eintreffen, verheißen nichts Gutes: Land unter in Flensburg, auch in Lübeck, die dänische Polizei evakuiert den südlichen Abschnitt des Landes wegen einer Sturmflutwarnung. In Großbritannien, über das ein anderer Orkan zieht, meldet man die ersten Toten. Stürmische Zeiten.
„Finnstar“: Südlich von Schweden zum ersten Mal im Sturm
Ich habe darum gebeten, ihn auf der Brücke besuchen zu dürfen, weil ich mit dem Kapitän über Verantwortung reden möchte. Wird es heute Abend möglich sein, im Hafen von Travemünde anzulegen? Bei Sturmflut und Wind mit zehn Beaufort?
Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
„Ja, aber man braucht gute Nerven“, sagt Seligson.
Gute Nerven: Nicht nur er, sondern viele andere Seeleute, die in diesem Wetter arbeiten, sind gefragt. Lotsen, Lotsenversetzer, Seenotretter, die Männer in den Windparks. Ihre Arbeit in der lebensfeindlichen Umgebung Meer wird noch schwieriger, seit sich das Klima verändert.
Sechs Meter Wellen vor Travemünde erwartet
Seit 30 Jahren fährt Seligson, Finne mit einer Sean-Connery-esken Augenpartie, zur See. Die Stürme werden heftiger, hat er beobachtet. Härter. Und sie kommen schneller. Noch nie gab es in einem Oktober so viel Wind wie in diesem Jahr.
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Sechs Meter Welle werden für die Abendstunden vor Travemünde erwartet. Seligson meint, er habe dies in diesem Seegebiet noch nicht erlebt. Im Norden der Ostsee, im Herbst passiert das, klar, aber nicht so weit im Süden. Die Crew eines Schleppers wird ihn heute Abend beim Anlegemanöver unterstützen, ein zweiter müsste aus Rostock kommen. Die Abfahrt der Fähre „Finnstar“ zurück nach Helsinki wird ziemlich sicher Verspätung haben. Gegen die hohe See anzustampfen? Das mache keinen Sinn. Die Passagiere werde es ihm danken.
Umgang mit Druck: „Es ist eine Frage der Einstellung“
Kapitän Seligson sieht zu, wie der kleine Frachter langsam am Horizont verschwindet. Nicht jeder könne mit dem Druck umgehen, sagt er über seinen Beruf. Ein Erster Offizier, junger Kerl, habe es vor Kurzem abgelehnt, befördert zu werden. Vier Streifen können auch eine Bürde sein. „Es ist eine Frage der Einstellung“, meint Seemann Seligson. Widerstandsfähigkeit sei so wichtig.
Was sich in diesen Zeiten nicht nur auf den Sturm auf See übertragen lässt.