„Birthstrike”: „Wir bleiben kinderlos, weil wir das Klima schützen wollen“
Klimafreundlicher Leben – viele Hamburger:innen wollen das, doch die Umsetzung fällt schwer. Für Raphaela R. und Tobias E. gilt das nicht. Sie haben ihr Leben radikal umgekrempelt. Die beiden verzichten auf Konsum, ernähren sich fast nur von geretteten Lebensmitteln. Und Kinder bekommen, das wollen sie dem Klima zuliebe nicht.
Raphaela R. und Tobias E. sind 37 Jahre alt, beruflich erfolgreich. Kinder zu bekommen gehört für viele Paare wie sie schlicht dazu. Doch die beiden wollen nicht. Weil sie selbst keine einfache Kindheit hatten, erzählen sie. Weil sie ihre Freiheit lieben – und weil sie der Erde nicht noch mehr Menschen zumuten wollen.
Birthstrike-Bewegung: Kinder-Verzicht dem Klima zuliebe
Keine Kinder fürs Klima? Die sogenannte Birthstrike-Bewegung (dt.: Gebärstreik) bekommt seit 2019 immer mehr Aufmerksamkeit. Viele der meist jungen Anhänger:innen berufen sich auf eine schwedische Studie von 2017, nach der der Verzicht auf ein Kind bis zu 58,6 Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr spare, der Verzicht auf ein Auto dagegen nur 2,4 Tonnen. Diese Rechnung stößt auch auf Kritik, weil die Studie auch die Kindeskinder, also Enkel und Urenkel, miteinberechnet – beim Auto-Vergleich aber nicht. Auch dass unterschiedliche Lebensführungen oder künftige technische Entwicklungen nicht berücksichtigt werden, wird kritisiert.
Doch dass der Mensch in seinem Leben Treibhausgase verursacht, lässt sich nicht leugnen: Dem Umweltbundesamt zufolge verursacht ein Deutscher im Schnitt 11,2 Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr – klimaverträglich wäre aber nur eine Tonne.
Klimakiller Mensch: Ein Deutscher verursacht 11,2 Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr
Raphaela R. und Tobias E. glauben daran, dass die Erde ohne Menschen besser dran wäre. „Natürlich gibt es Menschen, die auch Gutes bewirken“, sagt Tobias E. „Aber die Welt geht wegen uns Menschen zugrunde, und das wird nicht besser, wenn es noch mehr von uns gibt – jeder Mensch verbraucht Ressourcen.“ Zwar habe sie Respekt davor, wenn jemand ein Kind aufziehen wolle, ergänzt Raphaela R. – doch angesichts des weltweiten Bevölkerungswachstums könne man doch auch adoptieren.
Dabei hat die Ärztin noch nicht immer so klimafreundlich gedacht – auch Konsum und Shopping gehörte früher zu ihrem Leben. „Früher habe ich mir ständig neue Sachen gekauft, auch viel Fast-Fashion“, sagt sie „Es hat mir Spaß gemacht und war mir auch wichtig. Aber eigentlich hatte ich die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen.“ Die Umstellung dauerte Jahre.
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Heute leben die beiden strikt vegan, sie fliegen nicht, haben kein Auto und kaufen Kleidung, Möbel oder Bücher nur noch gebraucht. Den Großteil ihrer Lebensmittel besorgen sie sich über den Verein „Foodsharing“, der Essen rettet, das sonst weggeschmissen werden. Nur etwa 100 Euro im Monat geben die beiden so für Essen aus, für weitere Konsumgüter nur rund 50 Euro. Als Einschränkung empfindet Raphaela R. das nicht: „Ich fühle mich jetzt viel wohler.“
Hamburger: „Verhütung ist keine Frauensache”
In ihrem sozialen Umfeld stößt das aber auch auf Widerstand – besonders der Kinder-Verzicht. „Ich bin schon oft von Müttern in die Mangel genommen worden. Und auf einer Party hat mal ein Mann zu mir gesagt, ich hätte doch eine Gebärmutter und müsse meiner Pflicht als Frau Genüge tun und Kinder bekommen“, erinnert sich die 37-Jährige.
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Am liebsten hätte sich Raphaela R. schon längst sterilisieren lassen, ging deshalb schon mehrfach zu Gynäkologen. „Aber mein Wunsch war immer ein absolutes No-Go. Dieses Recht gibt man nur Frauen, die schon Kinder haben.“ Ärzt:innen sagten ihr, dass sie ihre Meinung noch ändern werde. Andere wollten nicht in einen gesunden Körper eingreifen. Aber Verhütung sei keine Frauensache, findet Tobias E, „sondern ein gemeinsames Ding.“ Deshalb will er sich nun seine Samenleiter durchtrennen lassen.