Klimaaktivsten blockieren eine Verkehrsader in Hamburg. Der Klimawandel birgt viel gesellschaftlichen Zündstoff – was kommt da noch auf uns zu?
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Klimablockaden: Muss es erst so richtig knallen, damit sich was ändert?

Der Klimawandel sorgt für Zündstoff – und wird zur Zerreißprobe für unserer Gesellschaft. Während die einen unbeirrt über die Autobahnen brettern oder sich als Greta-Hasser outen, kleben sich andere mit Superkleber auf Straßen oder hungern wochenlang vorm Bundestag. Die MOPO hat Soziologin und Klimaforscherin Prof. Anita Engels von der Uni Hamburg gefragt, was der Klimawandel mit unserer Gesellschaft macht – und ob es erst richtig knallen muss, bevor sich etwas ändert.

Frau Engels, sich auf der Autobahnauffahrt festzukleben – bringt das überhaupt was für den Klimaschutz?

Anita Engels: Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass wir ohne den großen öffentlichen Druck im Klimaschutz noch nicht so weit wären, wie wir heute sind – auch wenn es noch nicht ausreicht. Es braucht ihn, um die Politik voranzutreiben. Aber eine Garantie für einen Erfolg sind Proteste nicht: Immer, wenn soziale Bewegungen stark werden, entstehen auch Gegenbewegungen, vor allem, wenn Protestformen radikaler werden. Das kann man in Deutschland sehr gut sehen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Wenn Aktivisten eine Autobahn blockieren, kocht das richtig hoch. Teile der Bevölkerung sind nicht mehr bereit, das mitzutragen, und fühlen sich in ihrer persönlichen Lebensführung auch sehr angegriffen.

Klimaaktivisten der Aktion „Aufstand der letzten Generation“ hatten sich im Februar in Hamburg mit Bauschaum und Sekundenkleber an einer Kreuzung am Zollamt Waltershof zur Köhlbrandbrücke und zur Autobahn A7 festgeklebt. dpa
Klimaaktivisten der Aktion „Aufstand der letzten Generation“ hatten sich im Februar in Hamburg mit Bauschaum und Sekundenkleber an einer Kreuzung am Zollamt Waltershof zur Köhlbrandbrücke und zur Autobahn A7 festgeklebt.
Klimaaktivisten der Aktion „Aufstand der letzten Generation“ hatten sich im Februar in Hamburg mit Bauschaum und Sekundenkleber an einer Kreuzung am Zollamt Waltershof zur Köhlbrandbrücke und zur Autobahn A7 festgeklebt.

Lässt sich das vermeiden?

Kaum. Wir verhandeln, welche Bedürfnisse wir als legitim anerkennen wollen und welche nicht. Überspitzt formuliert: Mit großen SUVs durch Städte zu fahren, Fleisch zu essen und in den Urlaub zu fliegen ist ein Lebensmodell, das gerade massiv unter Druck gerät – weil es die Chancen der nächsten Generation beschneidet, dass der Klimawandel noch abgemildert wird.

Viele wissen ja, dass es besser fürs Klima wäre, aufs Auto oder Fleisch zu verzichten. Warum ist es so schwer, das auch umzusetzen?

Wir haben sehr starke Routinen. Sich umzugewöhnen ist anstrengend und dauert. Und die bestehenden Strukturen machen es uns nicht leicht: Im Bereich Mobilität zum Beispiel will man weg vom Verbrennungsmotor, aber wir sehen mit dem 9-Euro-Ticket, dass die Bahninfrastruktur noch nicht ausreicht, um den Ansturm bewältigen zu können. Und auch das Fliegen ist noch zu günstig. Bei der jetzigen Infrastruktur schneide ich mir ins eigene Fleisch, wenn ich etwas nicht mache. Das muss sich ändern. Und sehr demotivierend für die Einzelnen ist es, wenn man selbst mit Mühe auf etwas verzichtet, aber dann sieht, dass es andere trotzdem machen.

Prof. Dr. Anita Engels ist Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt auf Umwelt und Gesellschaft an der Uni Hamburg und Teil des Excellenzclusters Climate, Climatic Change and Society. Foto: S. Engels, UHH
Prof. Dr. Anita Engels ist Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt auf Umwelt und Gesellschaft an der Uni Hamburg und Teil des Excellenzclusters Climate, Climatic Change and Society.
Prof. Dr. Anita Engels ist Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt auf Umwelt und Gesellschaft an der Uni Hamburg und Teil des Excellenzclusters Climate, Climatic Change and Society.

Aber während sich einige nicht überwinden können, verlieren andere die Geduld. Was kommt da auf uns zu? 

Ich sehe tatsächlich ein sehr großes Konfliktpotenzial, weil sich die Fronten zunehmend verhärten. Auch Studierende von mir, die bei Fridays-for-Future sind, werden immer verzweifelter. Sie haben den Eindruck, dass sie um ihr Leben kämpfen, aber da nicht genug passiert. Das sind Generationen, die noch viele Jahrzehnte in einer deutlich wärmeren Welt vor sich haben – mit all den Folgen. Gleichzeitig sind die gesellschaftlichen Beharrungskräfte so stark, dass es immer schwieriger wird, den Klimawandel einzudämmen. Als Soziologin finde ich es erstaunlich, dass nicht schon viel mehr rebelliert wird.

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Muss es erst knallen, damit sich etwas ändert?

Konflikt ist vor allem dann ein positiver Motor für einen gesellschaftlichen Wandel, wenn man über demokratische Prozesse auch Kompromisse aushandeln kann. In normalen Zeiten reicht es, dafür alle vier Jahre zur Wahl zu gehen. Aber ich denke, für die kommenden Jahre brauchen wir stärkere Mitbestimmungsmöglichkeiten, wie Volksentscheide oder einen Klimabeirat, weil es um massive Entscheidungen über Werte geht, die in der Gesellschaft gerade sehr unterschiedlich eingeschätzt werden. Allerdings habe ich im Moment den Eindruck, dass unsere Regierung eher auf Dringlichkeit setzt und durchregieren will. Das halte ich langfristig für problematisch.

Aktivist Henning Jeschke hatte 2021 vor der Wahl wochenlang vor dem Bundestag gehungert, um die damaligen Kanzlerkandidaten zu einem Gespräch über die Klimapolitik zu zwingen. dpa
Aktivist Henning Jeschke hatte 2021 vor der Wahl wochenlang vor dem Bundestag gehungert, um die damaligen Kanzlerkandidaten zu einem Gespräch über die Klimapolitik zu zwingen.
Aktivist Henning Jeschke hatte 2021 vor der Wahl wochenlang vor dem Bundestag gehungert, um die damaligen Kanzlerkandidaten zu einem Gespräch über die Klimapolitik zu zwingen.

Aber mehr Mitbestimmung bedeutet ja nicht automatisch, dass Entscheidungen im Sinne des Klimaschutzes getroffen werden. Wie können wir wieder zueinanderkommen und den Klimaschutz doch noch stemmen?

Möglichst viele müssen etwas Positives aus Klimaschutz ziehen können, damit sie ihn aktiv mittragen. Dafür muss die Regierung die Weichen stellen. Zum Beispiel durch die Förderung von Experimenten im Bereich Mobilität – das muss dann aber auch ehrlich ausgewertet werden. Oder durch Förderungen von neuen Geschäftsmodellen und Arbeitsplätzen in klimafreundlichen Feldern. Entscheidend ist zudem, sozial benachteiligte Menschen zu entlasten, denn sie leiden besonders unter höheren Kosten. Aber gerade da stehen wir noch ganz am Anfang. Und wir müssen ins Gespräch kommen. Das klingt vielleicht naiv, aber letztlich kocht die Stimmung hoch, weil alle Beteiligten das Gefühl haben, nicht gehört zu werden mit ihren erstmal legitimen Bedürfnissen. Dabei hat der erste „Bürgerrat Klima“ in Deutschland im letzten Jahr gezeigt, dass zufällig ausgewählte Menschen sehr weitgehende Vorschläge für die Klimapolitik machen, wenn sie sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen.

Was passiert mit uns, wenn wir die Klimaziele verfehlen?

Dann wird es volkswirtschaftlich noch viel teurer. Zudem werden die Klimafolgen sozial schwächere Schichten viel massiver treffen als gehobenere Schichten, die besser versichert sind oder in Häusern leben, die sie gut kühlen können. Das hat man schon in den USA und bei einer Hitzewelle in Frankreich gesehen: Die Hitze tötet Arme. Klimaschutz kostet uns zwar jetzt etwas, aber es ist eine Investition in eine besser abgesicherte Zukunft.

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Wie schauen Sie in die Zukunft?

Ich möchte zwar optimistisch sein, aber wenn ich das Thema wissenschaftlich betrachte, bin ich eher pessimistisch. Unseren Forschungsergebnissen nach ist es im Moment nicht plausibel, dass sich rechtzeitig ein gesellschaftlicher Wandel vollzieht, um ausreichend Klimaschutz für das Erreichen der Klimaziele zu ermöglichen. Das macht mir wirklich Sorgen. Und auch eine stärker werdende Radikalisierung, insbesondere im rechten Spektrum, sehe ich mit großer Sorge. Dort formieren sich Gruppen, die gezielt demokratische Institutionen unterwandern, und auch das ist eine sehr schwierige Ausgangslage für Klimaschutz.

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