Giftmüll und Waffen in Nord- und Ostsee: Wer holt den Unrat aus dem Meer?
Den Müll rauszubringen, das ist eine Aufgabe, die keiner gerne übernimmt. Niemand käme auf die Idee, den Müll einfach stehen zu lassen, im Vertrauen darauf, dass sich jemand eines Tages des Eimers schon annimmt.
Wenn es aber um die Meere geht, dann bleibt der Müll gerne liegen. Sieht doch niemand, tief unter der Oberfläche, selbst dann nicht, wenn giftiger Müll direkt vor Ferienorten wie Grömitz, Haffkrug und Pelzerhaken auf dem Grund liegt.
1,6 Millionen Tonnen Munition gammeln vor sich hin
Dieses Zeug aus dem Meer zu holen und zu beseitigen, das verursacht gewaltige Kosten. Man sieht aber keinen Unterschied. Als Politiker kann man sich hinterher nicht auf eine, sagen wir: neue Seebrücke stellen und fotografieren lassen.
Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Anders ist es nicht zu erklären, warum ein Wrack voller Weltkriegsmunition als Zeitbombe in der Themse vor London liegt (darüber schrieb ich vergangene Woche) oder dass 1,6 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition in der Nordsee und Ostsee vor sich hin modern.
Richtig gelesen: einskommasechs Millionen Tonnen!
Rostmüll: Toxisch, krebserregend, schädlich fürs Erbgut
Die Alliierten sammelten damals Torpedos, Granaten, Gefechtsköpfe, Marschflugkörper, im Prinzip alles, was sie finden konnten und nicht wieder benutzt werden sollte, packten es in Holzkisten und versenkten es einfach im Meer. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass in der Ostsee noch 5000 Tonnen chemische Munition auf Grund liegen und im „Helgoländer Loch“ vor Deutschlands einziger Hochseeinsel knapp 90 Tonnen.
Jahrzehnte später sind die Metallhülsen dermaßen verrostet, dass der giftige Inhalt in die See gelangt: Toxisch, krebserregend, schädlich fürs Erbgut. Fische und Muscheln nehmen das Gift auf – und damit auch der Mensch.
Nordsee durch Ebbe und Flut leidlich geschützt
Während Ebbe und Flut der Nordsee zumindest für eine Art natürlichen Schutz aus Sand und Schlick sorgen, liegen die Altlasten offen auf dem Grund der Ostsee. Gefährlich für Fischer und jene, die zum Beispiel Windparks bauen. Und eine zusätzliche Belastung für ein Meer, dessen Ökosystem durch die Klimakrise ohnehin stark angegriffen ist.
Die Ampelkoalition versprach, das Problem mit dem Müll, das andere jahrzehntelang erfolgreich ignorierten, anzugehen. So steht es im Koalitionsvertrag. 100 Millionen Euro umfasst ein Sofortprogramm des Bundesumweltministeriums.
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Spezialfirmen haben in der Lübecker Bucht die Arbeit aufgenommen: 50 Tonnen wollen sie bergen. 50 von den 300.000 Tonnen, die nur vor der deutschen Ostseeküste vermutet werden. Was das Ausmaß einer Aufgabe klar macht: Sisyphus ist heute Müllentsorger vor Grömitz.
Forscher probieren Technologien, klären technische Fragen, setzen Drohnen ein und KI und müssen auch klären, wie und wo der gewaltige Berg Sondermüll überhaupt entsorgt werden kann. Milliarden Euro wird es kosten und Jahrzehnte dauern.
Aber einer muss anfangen, den Müll rauszubringen. Bevor es zu spät ist.