Sie sind die unsichtbaren Helden des Meeres
Es ist unheimlich, wenn sich Geschichte zu wiederholen droht. Am 12. Dezember 1999 geriet die „Erika“, ein Tanker des französischen Ölkonzerns „Total“, vor der Küste der Bretagne in Seenot. Der Kapitän entdeckte Risse im Rumpf, steuerte aber weiter auf die Küste zu.
Als der Tanker im Sturm auseinanderbrach, strömten 37.000 Tonnen Schweröl in den Atlantik und verseuchten vierhundert Kilometer Küstenlinie. Mehr als 150.000 Seevögel starben und der wirtschaftliche Schaden betrug, auf die heutige Zeit umgerechnet, mehr als eine halbe Milliarde Euro.
Fast genau 25 Jahre später meldet der Kapitän des Chemikalientankers „Larus“ technische Probleme vor der Bretagne. Er steuert eine Bucht nahe Brest an, lässt den Anker fallen und wartet auf einen Schlepper, der sein Schiff in einen Hafen ziehen soll.
Mut und Können sorgen dafür, dass sich Geschichte nicht wiederholt
Doch ein schwerer Sturm zieht auf – die gerufene Unterstützung kann nicht kommen. Ein Notschlepper befindet sich hundert Seemeilen weiter westlich, und eilig gerufene Hilfe aus Saint Malo muss umdrehen, weil die Wellen zu hoch sind. Als der Anker nicht mehr hält, treibt die „Larus“ hilflos auf die Küste zu. An Bord befinden sich 13 Seeleute. Sie sind nun in größter Gefahr.
An dieser Stelle sorgen Mut und Können dafür, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Denn als der Rettungsschlepper „Abeille Bourbon“ doch noch eintrifft, die Crew aber keine Schleppverbindung herstellen kann, reagiert die zuständige Seepräfektur sofort: Man schickt ein Spezialteam in einem Helikopter der französischen Marine los.
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Die Männer lassen sich an Seilwinden im schweren Sturm auf das stark rollende Schiff ab. Was dies bedeutet, können Landbewohner kaum verstehen: Im Brüllen des Orkans, in der Dunkelheit, auf ein glitschiges Deck abgesetzt zu werden, das von Wellen überspült wird? Das ist eine unglaubliche Leistung von Nautikern, die Talente von Stuntmen mitbringen müssen. Es gelingt ihnen, in buchstäblich letzter Stunde eine Leinenverbindung herzustellen. Wenig später ist der Tanker in Sicherheit – und eine mögliche Katastrophe abgewendet.
Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Auch bei uns im Norden gibt es „Towing Assistance Teams“ (TAT) des Havariekommandos Cuxhaven. Spezialisten, die ständig für diese Einsätze unter höchster Gefahr trainieren. Im Winter 2022 verhinderten sie, dass der große Frachter „Vienna“ im Sturm strandete und bekamen den aufgelaufenen Großcontainerfrachter „Mumbai Maersk“ vor Wangerooge wieder frei.
Sie sind im Krisenfall eine Art Lebensversicherung für die Inseln und die Küste. Doch man liest so gut wie nie von ihnen.
Sie sind die unsichtbaren Helden des Meeres.