„Hamburger Krankheit“: Kultfilm sah schon 1979 die Corona-Krise voraus
Filmgeschichte hat der Streifen geschrieben. Trashig, top besetzt, mit dem Soundtrack des noch jungen Jean-Michel Jarre. „Hamburger Krankheit“, ein apokalyptisches Endzeitdrama, angesiedelt zwischen Reeperbahn und Almhütte. 1979 kam der Streifen des Regisseurs Peter Fleischmann in die Kinos – und 41 Jahre danach entpuppt sich der surreal-absurde Stoff als erschreckend real. So, als hätte Fleischmann damals schon gewusst, dass ein mikroskopisch kleiner Erreger in der Lage ist, die Welt aus den Angeln zu heben.
Einer, der bei den Dreharbeiten dabei war, teils als Aufnahmeleiter, teils als Regieassistent, war Fotograf Günter Zint, heute Chef des St. Pauli-Museums. Für die MOPO ist er tief eingetaucht in sein Fotoarchiv, hat dabei jede Menge Aufnahmen von den Dreharbeiten wiedergefunden. Zint kann sich gut erinnern: „Statisten haben wir damals über die MOPO gesucht“, erzählt er. Und dann gibt es noch diese bizarre Anekdote: „Mitten in der Nacht wurde ich von der Polizei aus dem Schlaf gerissen. Ein Passant hatte Anzeige erstattet, weil er in meinem Pkw, den ich nach den Dreharbeiten im Karoviertel abgestellt hatte, einen Toten habe liegen sehen. Dabei war das bloß eine Puppe, die im Film als Leiche diente.“
„Hamburger Krankheit“: Kultfilm sah Corona-Krise voraus
Auch mit dem inzwischen 82-jährigen Regisseur Peter Fleischmann, heute in Babelsberg bei Berlin wohnhaft, hat sich die MOPO unterhalten: vor allem über die prophetische Gabe, über die er verfügt. Oder wie erklärt Fleischmann sich, dass sein Film das Corona-Drama des Jahres 2020 so erschreckend wirklichkeitsnah vorwegnimmt? Er lacht. „Ach wissen Sie, wenn man sich das Unwahrscheinliche ausdenkt, dann hat es gute Chancen, Realität zu werden. Nur das Nächstliegende, das passiert nie.“
In „Hamburger Krankheit“ geht es um eine Seuche, die in Hamburg ausbricht. Die Betroffenen fallen aus heiterem Himmel tot um und nehmen dabei Embryonalhaltung ein. In einer Szene kommt ein Arzt zu Wort, der die Toten obduziert. „Vor drei Tagen waren es 12, vorgestern 57 und jetzt haben wir schon keinen Platz mehr.“
Vieles in dem Film von 1979 kommt uns bekannt vor
Vieles, was der Film zeigt, kommt uns ziemlich vertraut vor: Wer mit den Toten in Kontakt war, muss in Quarantäne. Krisengewinnler fangen an, Schutzkleidung zum Vielfachen des Preises zu verkaufen. Während Politiker an die Bevölkerung appellieren, sich im Kampf gegen die Seuche an die Regeln zu halten, denken einige überhaupt nicht daran und feiern wilde Partys. Und natürlich machen Verschwörungstheorien die Runde: Terroristen hätten das Grundwasser verseucht, heißt es. Die anderen sind davon überzeugt, dass eine fremde Macht das Virus als chemischen Kampfstoff einsetzt.
Im Mittelpunkt des Films steht eine bunt zusammengewürfelte Truppe: ein Arzt (Helmut Griem), eine junge Frau (Carline Seiser), ein Würstchenverkäufer (Ulrich Wildgruber), und ein sexsüchtiger Rollstuhlfahrer (Fernando Arrabal). Gemeinsam fliehen sie aus einem Quarantänelager, wollen raus aus Hamburg – und machen dabei ähnliche Erfahrungen wie wir heute, wenn wir den Versuch unternehmen, die Landesgrenze nach Schleswig-Holstein zu überqueren.
Hamburger wollen im Film nach Schleswig-Holstein flüchten
Allerdings sind die Dinge im Film noch viel brutaler, bizarrer, irrer und verrückter, als wir es heute erleben. Am Ende ist die Seuche zwar besiegt, aber der Staat jagt trotzdem weiter all jene, die sich noch nicht haben impfen lassen.
Peter Fleischmann geht im Gespräch mit der MOPO auf dieses Ende ein und sagt, dass Regierungen immer die Tendenz hätten, das Mehr an Macht, das ihnen in einer Krise zugebilligt wurde, hinterher nicht wieder hergeben zu wollen. In Ungarn beweist gerade Herr Orbán, wie recht der Regisseur hat.
Regisseur hatte Idee zum Film durch Epidemiologen
Wie ist Fleischmann überhaupt darauf gekommen, einen solchen Film zu drehen? In den 70er Jahren, so erzählt er, habe er in Griechenland einen englischen Epidemiologen kennengelernt, der davon überzeugt war, dass der Mensch es nur durch Katastrophen zu seinem heutigen Entwicklungsstand gebracht habe. „Stellen Sie sich vor, es ist Rattenplage und ein Gift kommt zum Einsatz, das alle Ratten tötet – bis auf zwei, weil sie widerstandsfähiger sind. Aus diesen beiden entsteht eine neue Rasse, die im Vergleich mit der alten einen immensen Sprung nach vorne gemacht hat. Ohne Katastrophe hätte dieselbe Entwicklung Jahrhunderte gedauert.“
Die Katastrophe als Chance. Das also ist die Message des Films. Dazu passt eine Stelle, in der ein Protagonist die Epidemie mit einem „Reinigungsprozess“ vergleicht: „Die Natur hilft sich selbst. Die Starken überleben. Wie sagt man dazu? Natürliche Auslese.“ Und ein anderes Mal stößt ein Grabredner voller Inbrunst diesen Satz aus: „Krisenzeiten sind Sternstunden, in denen Posaunen des Jüngsten Gerichts den Menschen zurufen, ihr Schicksal neu zu gestalten.“
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Regisseur Fleischmann über Parallelen zu Corona
Auch heute noch denkt der Filmregisseur, dass Krisen die Menschheit weiterbringen. „Natürlich sind die vielen Opfer, die das Corona-Virus fordert, furchtbar“, so Fleischmann. „Aber vielleicht bewirkt die Ausnahmesituation, dass wir die Dinge neu sortieren, dass wir großherziger werden, dass wir merken, worauf es wirklich ankommt.“
Mitgespielt haben im Kinofilm „Hamburger Krankheit“ übrigens einige bekannte Schauspieler: Tilo Prückner beispielsweise. Und in der Rolle von Fritz, einem Wohnwagen-Überführungsfahrer, ist Rainer Langhans mit von der Partie, der als Mitglied der „Kommune I“ eine gewisse Bekanntheit erlangte.
Wer sich den Film ansehen will – er wurde 2019 neu digitalisiert – findet ihn hier: https://vimeo.com/ondemand/diehamburgerkrankheit