„Ist doch nur ’ne Grippe“: Die Argumente der Corona-Skeptiker – und was dran ist
Die Corona-Pandemie hält die ganze Welt in Atem: Mittlerweile gibt es offiziell rund 2,6 Millionen Infizierte und knapp 180.000 Tote (Stand 22. April). Forscher, Politiker, Nachbarn – alle diskutieren über das Virus und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft. Von berechtigter Kritik bis zu kruden Verschwörungstheorien ist alles dabei – die MOPO erklärt, was hinter den einzelnen Thesen steckt.
„Schweden schafft es auch ohne Ausgangssperren“
Schweden geht in der Corona-Krise einen absoluten Sonderweg. Schulen, Kitas sowie der Einzelhandel und auch das Gastrogewerbe sind geöffnet, niemand muss zu Hause bleiben. Kritiker der Ausgangsbeschränkungen hierzulande behaupten daher, dass die Ausbreitung der Corona-Pandemie auch ohne Restriktionen verhindert werden könne.
Doch der schwedische Weg ist auch in Schweden hoch umstritten. Fakt ist: Bislang wurden in dem Land weitaus mehr Corona-Infizierte gezählt als in anderen nordischen Ländern (aber weniger als etwa in Italien oder Spanien). Über 1700 Menschen starben den Gesundheitsbehörden zufolge in Schweden bereits an Covid-19. Das klingt zunächst im Vergleich zu Deutschland (mehr als 5300 Todesfälle) nach einer geringen Anzahl, doch Schweden hat auch deutlich weniger Einwohner. Auf die Bevölkerung bezogen verzeichnet Schweden drei mal so viele Tote wie Deutschland.
Und die Region Stockholm, in etwa so groß wie Hamburg, verzeichnet sogar mehr als zehn mal so viele Todesfälle. Zuletzt haben daher zahlreiche Experten die schwedische Regierung in einem offenen Brief zum Umdenken aufgefordert. Und immer mehr Bürger halten sich auch ohne strikte Vorgaben an das „social distancing“. Der Anteil an Home-Office-Arbeitern etwa ist in Stockholm etwa so stark gestiegen wie in Hamburg.
„Masken schützen nicht vor Corona“
Zuerst sagten die Experten, dass einfache Masken nicht vor dem Coronavirus schützen würden. Dann änderten einige ihre Meinung wieder, am Montag gilt in Hamburg für öffentliche Verkehrsmittel, Wochenmärkte und Geschäfte Maskenpflicht. Dieses Wirrwarr um die Masken hat viele Menschen verunsichert. Einige behaupten nun, dass Masken eh nichts bringen würden. Die Schutzfunktion für den Träger der Maske hat sich tatsächlich nicht verändert. Inzwischen ist aber bekannt, dass Corona bei manchen Menschen auch mit sehr milden Symptomen verläuft und man ebenfalls ganz ohne Symptome ansteckend sein kann.
Beim Tragen einer einfachen Stoffmaske in der Öffentlichkeit geht es vor allem darum, das Ansteckungsrisiko in der Gesellschaft insgesamt zu verkleinern. Sehr wichtig ist es jedoch, sich weiterhin an die gängigen Hygienemaßnahmen zu halten, das empfiehlt auch das Robert-Koch-Institut: „Das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung kann ein zusätzlicher Baustein sein, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren – allerdings nur, wenn weiterhin Abstand (mindestens 1,5 Meter) von anderen Personen, Husten- und Niesregeln und eine gute Händehygiene eingehalten werden.“
„Der R-Wert war schon Ende März niedrig, die neuen Maßnahmen bringen nichts“
Der R-Wert bezeichnet die Reproduktionsrate, sie sagt aus, wie viele Menschen ein infizierter im Durchschnitt ansteckt. Liegt der R-Wert also über 1, steckt ein Infizierter im Schnitt mehr als einen Menschen an – die Zahl der Neuinfektionen erhöht sich täglich. Liegt der Wert unter 1, steckt ein Mensch im Schnitt weniger als einen anderen Menschen an. Schon vor dem 23. März fiel der Wert nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) von anfangs mehr als 3 auf etwa 1. Kritiker meinen deshalb, die Kontaktbeschränkungen am 23. März seien unnötig gewesen.
Aber so einfach ist es nicht: Schon Mitte März waren Maßnahmen zur Eindämmung des Virus eingeleitet worden, wie die Absage von Großveranstaltungen. Hierauf führt auch das RKI die gesunkene Reproduktionszahl zurück. Beim RKI geht man davon aus, dass das Kontaktverbot nun helfe, den Wert auf unter 1 zu stabilisieren. Zudem sei der R-Wert nicht die einzige Zahl, die für die Pandemie ausschlaggebend wäre. Die absolute Zahl der täglichen Neuinfektionen müsse ebenso betrachtet werden.
„Bill Gates ist Schuld an allem“
Bill Gates (64), milliardenschwerer Gründer von Microsoft, ist für viele Verschwörungstheoretiker das neue Feindbild. Seit Jahren setzt sich Gates für die Forschung und den Ausbau der globalen Gesundheitssysteme ein, er spendet mit seiner Stiftung zum Beispiel Gelder für die Suche nach Impfstoffen. Dieser Einsatz wird ihm nun zum Verhängnis, denn einige rechte Kritiker und Verschwörungstheoretiker behaupten, dass er selbst hinter der Pandemie steckt. Das Virus sei sein Plan, um wahlweise Impfstoffe zur verkaufen, die Weltbevölkerung zu dezimieren oder die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Die Corona-Krise wirft viele Fragen auf. Im „Tagesspiegel“ erklärt Wissenschaftlerin Pia Lamberty, dass Verschwörungstheorien vor allem dann aufkommen, wenn die Menschen das Gefühl eines Kontrollverlusts haben. Sie würden dann nach einfach Mustern suchen, selbst wenn keine da sind. Ein machtgieriger Milliardär, der die Welt beherrschen will, scheint für einige Menschen also die einfachste Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ zu sein. Zitate von Gates werden bewusst falsch aufgefasst und aus dem Zusammenhang gerissen. Bei solchen Verschwörungstheorien empfiehlt es sich daher immer, genau nach der Quelle der Behauptung zu schauen.
„Ist doch nur ‘ne Grippe“
Das Coronavirus wird gern damit runtergespielt, dass einfach die Anzahl der Corona-Toten und die Anzahl der Influenza-Toten gegenübergestellt werden: In der Grippesaison 2017/18 gab es demnach etwa 25.000 Influenza-Tote in Deutschland, bisher wurden hierzulande jedoch bislang rund 5000 Corona-Tote gezählt. Es soll zeigen, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie übertrieben seien – dabei wird geleugnet, dass diese Maßnahmen auch dazu beitragen dürften, dass wir eben so wenige Corona-Tote in Deutschland haben.
Ein Vergleich mit der Influenza ist ohnehin schwierig, da die Daten völlig unterschiedlich erhoben werden: Die Zahlen von Influenza-Toten sind statistische Schätzwerte, während das Robert-Koch-Institut alle zählt, die mit und wegen einer Corona-Erkrankung verstorben sind.
„So viele sterben nicht an Corona“
Im Zusammenhang mit dem Argument, das Coronavirus sei „nur“ eine Grippe, fällt auch oft der Satz, dass die allgemeine Sterberate durch Corona nicht wesentlich steigt.
In einer Statistik der „New York Times“ wird deutlich, wie stark das Coronavirus die Sterberaten einzelner Länder bereits jetzt beeinflusst hat. Die Zeitung hatte als Beispiel die Sterblichkeitsraten von elf Ländern überprüft. Allein in den europäischen Ländern läge die Sterblichkeit seit der Ausbreitung von Corona 20-30 Prozent über dem jährlichen, historischen Durchschnitt. Ganz oben auf der Liste: Spanien mit einer Übersterblichkeit von 66 Prozent im Monat März im Vergleich zu den historischen Daten. Dabei kam die „New York Times“ zu dem Schluss, dass wahrscheinlich fast 30.000 Menschen mehr an Covid-19 gestorben sind als die offiziellen Zahlen angeben, da in vielen Ländern nur die Menschen gezählt werden, die im Krankenhaus sterben.
Andere Experten sehen die Lage ähnlich. Virologe Christian Drosten etwa erklärte zu den Zahlen in Großbritannien: „Für alle, die noch immer nicht daran glauben: Übersterblichkeit durch #COVID19 in England. Uns wurde dies vor allem durch frühe und breit eingesetzte Diagnostik erspart. Verspielen wir diesen Vorsprung nicht.“
„Die Kliniken sind doch leer“
Ein Argument, das zwar stimmt – aber dennoch zu kurz greift. Laut dem DIVI Intensivregister, das Daten zur aktuellen Belegsituation in Deutschlands Krankenhäusern erhebt, sind momentan nur 19.251 von insgesamt 33.546 Intensivbetten belegt, wovon 2.801 von Covid-19-Patienten belegt sind. Der Eindruck, die Kliniken seien leer, entsteht unter anderem dadurch, dass es derzeit weit weniger ambulante Fälle gibt, weil viele Menschen z.B. trotz Symptomen etwa von Herzinfarkt nicht in eine Klinik gehen. Zudem wurden viele operative Eingriffe verschoben. Dafür haben Kliniken jetzt Kapazitäten, ihr Personal in anderen Bereichen einzusetzen und sich für einen Anstieg von Covid-19-Patienten zu wappnen.
Das grundsätzliche Problem aber ist: Es dauert etwa zwei Wochen, bis bei einer Änderung etwa von Sperrungen die Auswirkungen in den Kliniken zu sehen sind. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will ab Mai schrittweise in eine „neue Normalität im Klinikbetrieb“ kommen. Dabei gehe es um eine „schwierige Balance“ zwischen der regulären Versorgung bei Notfällen und wichtigen OPs sowie notwendigen freien Kapazitäten für Corona-Patienten. Für diese sollten in der Startphase nun zunächst 25 bis 30 Prozent der Intensivbetten reserviert werden.
„Es sterben nur die, die eh todkrank sind“
Tatsächlich sterben in Deutschland derzeit vor allem diejenigen, die bereits eine schwere Vorerkrankung und ein gewisses Alter erreicht haben. Das Robert-Koch-Institut macht dennoch deutlich, dass schwere Verläufe auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung auftreten können und auch bei jüngeren Patienten beobachtet werden.
Schaut man sich andere Länder wie Italien, Spanien oder inzwischen auch Großbritannien an, sieht die Situation anders aus: Die Gesundheitssysteme sind so überlastet, dass hier nicht nur eine wesentlich höhere Sterblichkeitsrate vorliegt, sondern auch teilweise junge Menschen ohne Vorerkrankung am Coronavirus sterben, weil sie schlicht nicht ausreichend behandelt werden können.
„In den Kliniken wird sogar Kurzarbeit eingeführt“
Auch dieses Argument stimmt teilweise: In zahlreichen Kliniken werden Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt – in erster Linie zwar nicht-medizinisches Personal, aber auch Ärzte und Pflegekräfte. Davon sind aber nicht alle Kliniken betroffen: Das Uniklinikum Eppendorf, das derzeit die meisten Intensivpatienten in Hamburg behandelt, schickt derzeit nach MOPO-Information keine Mitarbeiter in Kurzarbeit.
Hintergrund der Kurzarbeit in Kliniken ist zum einen, dass zurzeit wegen der Verschiebung vieler geplanter Eingriffe schlicht Kapazitäten frei sind (siehe oben). Zugleich sind viele Bereiche, etwa öffentliche Flächen, Bistros etc. geschlossen.