50.000 Tote, jeder zweite Hamburger krank: Die vergessene Epidemie vor 50 Jahren
Die Corona-Pandemie stürzt die Welt in eine schwere Krise – in Deutschland sogar die schwerste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wie Kanzlerin Merkel vor Wochen sagte. Dabei gab eine ähnliche verheerende Seuchen mit Zigtausenden von Toten schon vor rund 50 und 60 Jahren – doch an die erinnert sich kaum noch jemand.
Die sogenannte Hongkong-Grippe wütete in Deutschland von 1968 bis 1970. Auch damals gab es Schulschließungen, um die Ausbreitung zu verlangsamen, und Teile der Wirtschaft mussten die Produktion verringern, wie „Spiegel Online“ berichtet. Ferienverschiebungen, über die derzeit diskutiert wird, waren damals bereits Realität. Teile des öffentlichen Lebens standen still.
Hongkong-Grippe-Pandemie: Bis zu zwei Millionen Tote weltweit
Am Ende waren weltweit schätzungsweise 750.000 bis zwei Millionen Todesopfer zu beklagen, in Bundesrepublik und DDR zusammengerechnet rund 50.000.
Der Höhepunkt der Hongkong-Grippewelle war im Winter 1969/70 erreicht. In Deutschlands Krankenhäuser wurden massenhaft Menschen eingeliefert, die Blut husteten und hohes Fieber hatten, wie „Spiegel Online“ schreibt. Über Hamburg brach die Pandemie mit einer solchen Wucht herein, dass das Gesundheitssystem bald an seine Grenzen stieß.
Grippe in Hamburg 1970: Krankenhäuser an der Belastungsgrenze
„Nie da gewesene Verhältnisse“, zitiert das Portal einen Klinikpathologen der Hansestadt im Jahr 1970. Krankenhaus-Patienten mussten in Behelfsbetten auf den Fluren und in Badezimmern untergebracht werden.
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Und während die Stationen aus allen Nähten platzten, wurden große Teile der Ärzte und des Pflegepersonals selbst krank. Die Folge: Ehemalige Schwestern und Pfleger wurden reaktiviert, auch Bundeswehrsoldaten und Freiwillige Feuerwehrleute halfen in den Krankenhäusern aus.
Hongkong-Grippe in Hamburg: Es hätte schlimmer sein können
Dabei hätte Experten zufolge alles noch schlimmer kommen können. Doch glücklicherweise hatten viele Patienten eine Immunabwehr, die zumindest zum Teil auf das Virus aus Hongkong vorbereitet war.
Denn gut zehn Jahre zuvor hatte bereits eine andere Pandemie die Welt überzogen: Die Asiatische Grippe hatte 1957 bis 1958 weltweit rund eine Million Menschen getötet, etwa 30.000 allein in den beiden deutschen Staaten zusammengerechnet. Gegen diese Krankheit hatten viele Infizierte noch Antikörper im Blut – das half dem Körper auch im Kampf gegen das ähnliche Hongkong-Grippevirus.
Hongkong-Grippe in Hamburg: Jeder zweite Hamburger infiziert
Die Politik – und auch weite Teile der Bevölkerung – jedoch sahen das große Sterben der beiden Pandemien eher gelassen. Abgeordnete spielten die Krankheit herunter. Ein FDP-Mann maulte während der Asiatischen Grippe sogar, die Arbeitnehmer würden nur die kurz zuvor eingeführte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ausnutzen und blaumachen.
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Dabei erwischten die beiden Wellen in einigen Gegenden Deutschlands bis zu 40 Prozent der Arbeitnehmer. In Hamburg war mehr als jeder zweite Einwohner krank.
Grippewelle in Deutschland: Hongkong-Virus tötet 50.000 Menschen
Doch Deutschland mangelte es an Kompetenz im Umgang mit der Krise. Die Impfempfehlungen der WHO wurden im Nachkriegsdeutschland nicht ernstgenommen. Als Medikamente verschrieben Ärzte Mittel, die zum größten Teil nutzlos waren. Schulen schlossen erst, als die meisten Schüler schon krank zu Hause blieben.
Und auch der Durchschnittsdeutsche fand die Pandemie nicht so dramatisch. Der Zweite Weltkrieg mit seinen Millionen Toten war noch nicht so lange her – da schien so eine jährliche Grippewelle nicht so schlimm zu sein, auch wenn sie mal heftiger ausfiel als sonst.