Aggression, Pöbeleien, Aerosol-Angst: Die Corona-Wut auf Hamburgs Jogger
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Die Angst vor den Joggern geht um. Schwer atmend drehen sie ihre Runden, Homeoffice und geschlossene Fitness-Studios treiben immer mehr auf die beliebten Jogging-Strecken. Vielen Spaziergängern passt das gar nicht. Sie fürchten infektiöse Aerosole.
„Masken-Zoff am Elbstrand“, schrieb die MOPO am Donnerstag. Anwohner schimpfen über die neue „Völkerwanderung“ und „Jogging-Autobahnen“ vor ihrer Haustür, fordern aus Angst vor einer Corona-Infektion mindestens Maskenpflicht oder sogar Weg-Sperrungen. Selbst gemachte Schilder, auf denen darum gebeten wird, Masken zu tragen, wurden zerstört. Und auch an der Alster und anderen beliebten Sport-Strecken ist das Problem bekannt.
Hamburg: Die Corona-Wut auf Jogger wächst
Aber auch die vielen Jogger, die eben nicht drängeln, die versuchen, so rücksichtsvoll wie möglich zu laufen, bemerken eine neue „Wut auf Jogger“ – wie etwa MOPO-Ressortleiter Julian König. Hier beschreibt er, wie sich Unsicherheit und Aggression breitmachen.
„Im vergangenen Sommer gab es drei Arten von Blicken, wenn ich abends meine Runde drehte: Viele Menschen waren schlicht genervt von der Vielzahl der Bewegungswütigen. Dazwischen gab es diejenigen, die auch mal anerkennend nickten bei all dem Tatendrang. Und schließlich war da die Mehrzahl der Spaziergänger, die jeden Läufer schlicht ignorierten. Das hat sich geändert.
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,Ignorierer‘ gibt es natürlich immer noch, wenn auch nicht mehr so ausgeprägt. Auch Anerkennung – was natürlich komplett in Ordnung ist – wird deutlich seltener durch ein Lächeln signalisiert. Es ist beim Laufen mittlerweile vielmehr so, dass viele Menschen einfach den größtmöglichen Abstand suchen, ich natürlich auch. Doch selbst Leute, die die Regeln befolgen, werden immer wieder mit einer Minderheit von ,Maulern‘ konfrontiert, die mitunter richtig aggressiv werden können.
Die Aerosolen-Angst der Spaziergänger
Ich kann verstehen, dass sich Menschen unwohl fühlen bei den Aerosolen, die da mit Tempo angeflogen kommen. Deshalb weiche ich auch grundsätzlich aus, laufe auf der Straße oder kurz auf Radwege, um die Passanten nicht in eine unangenehme Lage zu bringen. Ich beobachte das bei vielen Joggern, die vorausschauend Schlenker rennen, kurz anhalten, sich bewusst zurückhalten. Sicher gibt es auch Gegenbeispiele.
Was ich aber auch wahrnehme, ist eine richtige Wut auf Jogger. Wie gesagt: selten, aber vorhanden. Zwei Beispiele aus den vergangenen vier Wochen.
Auf meiner Standardstrecke gibt es eine kleine Sackgasse. Keine 20 Meter lang, einbahnstraßenbreit. Davor geht eine kurze Verbindungsstraße ab. Ich renne hier grundsätzlich auf dem Asphalt, weil die Gehwege eng sind und wenig Autos unterwegs sind. An einem Abend erblickte ich einen Mann, der die Straße an dieser Stelle überqueren wollte. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder ich ließ ihn durch oder er mich. Da er auf die Straße trat, bremste ich meinen Lauf ab und wollte hinter ihm in die Sackgasse rein. Das ahnte er offenbar, drehte nach links und ging exakt in der Mitte, langsam.
Video: Die fünf nervigsten Radfahrer
Wirkliches Ausweichen war nicht möglich. Ich zog meinen Laufschal zur Maske hoch, hielt die Luft an und lief vorbei. Darauf hatte er gewartet, schrie: ,Und atmen tut er auch noch!‘ Ich stoppte. Es folgte ein Wortgefecht.
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Er gab zu, sich absichtlich in meine Bahn begeben zu haben, um mich zu ,testen‘. Jogger seien ignorante Arschlöcher, ließ er mich wissen, zog durch die Nase hoch und versuchte mich anzuspucken. Ich zeigte ihm den Vogel und setzte meinen Lauf fort.
Spuckende Spaziergänger, motzende Radfahrer
An einem anderen Tag wich ich auf den Radweg aus, weil auf dem Gehsteig Menschen unterwegs waren. Ein Fahrradfahrer überholte mich, raunte mir etwas zu und simulierte einen Tritt in meine Richtung. Warum? Keine Ahnung. Die Straße war frei, kein Auto war in der Nähe, es gab keine Gefahr.
Was mir aber klar wurde: In Angstzeiten sitzt das Nervenkostüm nicht zwingend dort, wo es sein sollte. Und Frust und Sorge lassen sich schlicht auch schnell auf Gruppen projizieren, hier trifft es halt die Läufer.
Der Pandemie-Druck steigt den Hamburgern zu Kopf
Ich würde mir wünschen, dass solche Szenen weiterhin Ausnahmen bleiben. Ich brauche die Rennerei, um meinen Kopf vom Druck der Pandemie freizumachen. Gegenseitige Rücksicht sollte auf der Straße oberstes Gebot sein. Das gilt für alle Seiten. Abstand ist derzeit ein Muss, dennoch sollte jeder dabei die Freiheit haben, aktiv zu sein, in welcher Form auch immer.
Übrigens: Die Zahl derer, die sich bedanken, wenn man für sie einen großen Bogen läuft, ist viel höher als die der Aggro-Typen.“