Auch Pferde machen an der Nordsee Kuren
Nicht nur Menschen tut die Seeluft gut: Seit 40 Jahren bringen Besitzer und Besitzerinnen ihre lungen- und hautkranken Pferde über die Sommermonate auf die Nordsee-Insel Neuwerk.
Der elfjährige Hannoveraner „Captain“ hätte den Sommer nicht überlebt. Das vermutet zumindest seine Besitzerin Lena Albrecht aus Meppen im niedersächsischen Emsland. Das Pferd litt unter starkem Asthma, wollte kaum noch laufen. „Captain wurde vor drei Jahren krank, und es wurde jedes Jahr schlimmer“, erzählt die 35-Jährige. „Captain“ reagierte auf Gräser hochallergisch, konnte nur noch mit Fliegendecke und -maske auf der Weide stehen. „Zwei bis drei Mal am Tag musste er mit einem Inhaliergerät Cortison bekommen“, berichtet Albrecht.
Medikamente braucht „Captain“ inzwischen nicht mehr, auch keine Schutzdecke und keine Maske. „Sein Fell glänzt, die Nüstern sehen super aus, er atmet ganz ruhig“, sagt Albrecht und fügt hinzu: „Es ist unfassbar. Damit habe ich nicht gerechnet.“ Das Pferd ist seit Anfang Juni zur Kur auf der Nordsee-Insel Neuwerk, genauer: auf der hundert Hektar großen Außendeichweide der Pferdepension von Alina und Steffan Griebel. Den Tipp hatte Lena Albrecht von einer Tierärztin bekommen.
„Die Weide ist direkt am Wasser, da steht kein Deich davor“, sagt Steffan Griebel. So könnten die Tiere staub- und pollenfreie sowie jodhaltige Seeluft atmen. „Das Klima tut den Tieren gut und fördert den Heilungsprozess.“ Neben lungenkranken Pferden erholen sich auf Neuwerk in den Sommermonaten auch Tiere mit Hauterkrankungen. Die meisten bleiben drei Monate zur Kur, einige sind aber auch ganzjährig da. „Sie verbringen ihren Lebensabend hier“, sagt Griebel.
Die Pferdepension betreibt die Hoteliersfamilie Griebel im Nebenerwerb. Steffan Griebels Vater Volker fing vor 40 Jahren damit an. „Mein Vater war lange im Trabrennsport aktiv“, berichtet er. In der Pferde- und Traberszene sprach sich schnell herum, welchen Effekt die Seeluft auf die Tiere hat. „Die meisten kommen auf Empfehlung“, sagt Griebel. Werbung brauche er daher keine zu machen. „Wir nehmen nicht mehr als 20 Pferde auf, sonst würden sich die Tiere in zwei konkurrierende Herden teilen.“
Neuwerk: Pferde-Kur im Wattenmeer
Neben „Captain“ erholt sich auch das achtjährige Trabrennpferd „Ignatz von Herten“ auf Neuwerk. „Beim letzten Start hat er nicht durchgezogen“, erzählt Michael Polubinski, Sprecher der 135-köpfigen Besitzergemeinschaft aus Nordrhein-Westfalen. „Das kannten wir nicht von ihm.“ „Ignatz von Herten“ ist ein „Charity“-Pferd: Was er bei Rennen verdient, wird für soziale Projekte gespendet.
Bei der tierärztlichen Untersuchung zeigte sich, dass das Pferd Probleme mit der Lunge hat. Die Besitzergemeinschaft entschied, ihm eine Luftkur auf Neuwerk zu gönnen. „Ich habe ihn vor drei Wochen besucht“, erzählt Polubinski. „Er ruht in sich. Dem geht es beneidenswert gut.“ Polubinski rechnet damit, dass das Pferd noch in diesem Jahr weitere Rennen absolvieren kann. Erst einmal müsse es aber abspecken. „Ignatz“ habe sich mit dem saftigen Gras der Weide schon ein paar Kilos zu viel angefressen.
Ute Pansegrau ist Fachtierärztin für Pferde an der Tierklinik Lüsche im Landkreis Vechta. Sie beobachtet seit zwei, drei Jahren, dass immer mehr Pferde an equinem Asthma, einer chronischen Bronchitis, leiden. „Normalerweise kamen die Pferde im späten Winter oder frühen Frühjahr zu uns, wenn sie aufgrund der Witterung wieder vermehrt im Stall stehen“, sagt sie. Denn das Leiden wird vor allem durch mit Schimmelpilzen belastetes Raufutter oder Einstreu und trockenes, staubiges Heu ausgelöst. „Mittlerweile sehe ich solche Pferde das ganze Jahr über in der Klinik“, sagt sie.
15 Prozent der Freizeitpferde, die in nördlichen gemäßigten Gebieten leben, leiden laut Studien inzwischen an hochgradigem Asthma, so Ute Pansegrau. Die Kur auf einer Nordsee-Insel lindere die Symptome stark. „Die Pferde sind dann ja auch in der Regel den ganzen Tag auf der Weide und haben keinen Kontakt zu Stroh oder Heu.“ Ein langfristiger Erfolg werde aber nur erzielt, wenn sich auch etwas an den Haltungsbedingungen zu Hause ändere. „Zur Not muss man leider auch manchmal einen Stallwechsel in Erwägung ziehen“, sagt sie.
Lungen- und Hautkrankheiten: Kranke Pferde profitieren von der Seeluft
Nicht nur auf Neuwerk, auch auf anderen Nordsee-Inseln werden Luftkuren für Pferde angeboten, darunter auch Pellworm. Auf der Weide des Appelhofs der Tierärzte Meike Ruppertz und Mathias Sielaff stehen in diesem Sommer rund ein Dutzend vierbeinige Sommergäste, um sich zu erholen. „Bei uns darf das Pferd Pferd sein, die Seele baumeln lassen und gesunden“, sagt Sielaff.
Er sieht die Luftkur als Ergänzung zum medizinischen Programm der Tierärzte auf dem Festland. Nach einem Sommer auf der Insel hätten die lungen- und hautkranken Tiere ein bis drei Jahre Ruhe von ihren Leiden. „Das mag auch nicht für jedes Pferd funktionieren, aber zu 90 Prozent klappt das.“ Manchen Besitzerinnen und Besitzern falle es dennoch schwer, ihre Pferde aus der Hand zu geben. „Man kommt ja auch nicht mal eben so vorbei auf der Insel.“
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Lena Albrecht hat ihren „Captain“ auf Neuwerk immerhin bereits das zweite Mal besucht. „Ich habe ihn, seit er drei Jahre alt ist. Wir waren nie voneinander getrennt“, sagt die alleinerziehende Mutter. „Nachdem ich ihn weggebracht habe, habe ich die ersten vier Wochen viel geweint.“ Das Pferd sei für sie auch immer ein Ruhepol im hektischen Alltag gewesen. Von den Griebels habe sie regelmäßig Fotos und Videos von „Captain“ bekommen. „Ich weiß, dass er dort super aufgehoben ist.“ Für sie steht deshalb jetzt schon fest, dass sie ihr Pferd nächsten Sommer wieder auf die Insel bringen wird. (dpa/mp)