Der Kümmerer des „kleinen, rebellischen“ Dorfes
Einkaufen geht Andreas Müller generell früh morgens. Er rauscht zügig durch den Laden. Spätestens um halb neun muss er wieder raus sein. Sonst trifft er zu viele Anwohner. „Dann würde ich nicht mehr zum Arbeiten kommen“, sagt der 61-Jährige grinsend. Hier eine Frage, da ein kleiner Klönschnack. Andreas Müller ist der „Kümmerer von Boberg“. Er nimmt sich ehrenamtlich der kleinen und großen Probleme seines „Dorfes“ an. Ein Ort, der erst einmal zusammenwachsen musste.
Als im Jahr 2000 das „neue Dorf“ in Boberg (mit heute 853 Wohneinheiten) entstand, kauften auch Andreas und seine Familie ein Haus im Baugebiet „Dorfanger Boberg“. Gegenüber, getrennt durch die B5, das alte Boberg, eine „eingeschworene Gemeinschaft“, die die „Zugezogenen“ anfangs argwöhnisch betrachtete. Ein ganz neuer Ort, der jetzt dazugehören sollte? Das stieß bei manch Alteingesessenem auf Ablehnung.
Für Andreas, der sein Leben bis dahin in Wandsbek verbracht hatte, fühlte sich das Neubaugebiet gleich an wie Heimat. „Alleine die gute Luft, die traumhafte Natur mit den Boberger Dünen und trotzdem gut angebunden“, schwärmt er für seinen Stadtteil, der eigentlich nur ein Ortsteil von Lohbrügge ist. Egal. Von Anfang an war Andreas begeisterter Boberger. Durch und durch. Deshalb wollte er etwas für die Gemeinschaft tun – den alten und neuen Teil zusammenbringen. Das Ziel setzte sich auch der im Oktober 2000 gegründete Bürgerverein „Dorfanger Boberg“. Andreas wurde Mitglied und legte los.
Durch das Engagement des Bürgervereins entstand ein Kinder- und Jugendhaus
Er brachte Vereine, Geschäftstreibende und Anwohner an einen Tisch, organisierte zusammen mit der Gruppe der „Heimwerker“ des Bürgervereins Oktoberfeste, aber auch Karnevalsfeiern und Schlagerpartys. Durch das Engagement des Bürgervereins, der heute rund 175 Mitglieder-Familien hat, entstand ein Kinder- und Jugendhaus, der Bolzplatz wurde aufwendig umgebaut. Und nach und nach wuchsen die „Alt-Boberger“ und die Zugezogenen zusammen.
Andreas größter Erfolg: Als der „Dorfanger Boberg“ 2010 zehn Jahre alt wurde, sollte es ein großes Fest geben. Doch jeder machte irgendwie sein eigenes Ding. Andreas, seit 2005 selbstständig mit einer „Ein-Mann-Werbeagentur“, nahm die Fäden in die Hand und koordinierte letztlich ein Dorf-Spektakel, an dem alle beteiligt waren. Zur Erinnerung brachte er eine Festschrift heraus. Das kam so gut an, dass man ihn bat, die alte Dorfzeitung zu übernehmen. Andreas grinst. „Bis dahin waren es zwölf kopierte schwarz-weiß Seiten, handgefaltet. Mit einer Auflage von 850 Exemplaren. Dafür hätte ich niemals Anzeigenkunden bekommen.“ Andreas übernahm die kostenlose „Dorfzeitung“ trotzdem und bringt seitdem viermal im Jahr ein kleines Magazin für seine Wahlheimat heraus – mittlerweile sind es 80 Seiten und 2500 Exemplare mit Veranstaltungen, Hintergrundgeschichten, Neuigkeiten und Tipps aus der Region.
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Eine Arbeit, die ihm viel Spaß bringt, aber kein Geld. Seine Frau war anfangs skeptisch. „Willst du nicht auch noch ein bisschen was verdienen?“, fragte sie ihn. Doch das kam von ganz alleine. Durch die Anzeigenkunden der „Dorfzeitung Boberg“ gewann auch er viele kleine Kunden aus der Umgebung für seine Agentur, gestaltet ihre Anzeigen, macht Broschüren und Flyer.
Doch nur die Dorfzeitung zu machen, reicht Andreas nicht. Er will sich kümmern und helfen. So hat er gemeinsam mit dem Vereinsvorstand den fünfmal im Jahr stattfindenden „Politischen Stammtisch“ ins Leben gerufen. Bezirkspolitiker kommen, aber auch Bürgerschaftsabgeordnete und Bundespolitiker. „Das macht richtig Spaß, weil man wirklich etwas bewegen kann.“
Die Probleme der Boberger sind vielfältig. Von unebenen Gehwegen über fehlende Parkbänke für Senioren bis hin zu einer fehlenden 30er-Zone vor der Schule, die schließlich kurzerhand eingerichtet wurde. Auch eine bessere Anbindung mit dem Bus an die S-Bahn am Mittleren Landweg ist momentan ein großes Thema. Besonders bewegt Andreas allerdings eine andere Baustelle: Schon vor mehr als einem Jahr wurde das Restaurant „Akropolis“ im Nahversorgungszentrum geschlossen – der beliebteste Treffpunkt des Viertels. Wegen eines Wasserschadens.
„Da geht es um eine Existenz. Das ist einfach nur bitter“
„Der Vermieter war der Meinung, es liege an der Küche und hat alles entkernt. Die Arbeiten sollten nach vier Monaten beendet sein. Doch sind sie noch immer nicht. Und die Ursache ist weiterhin unbekannt.“ Auch die versprochene Ausgleichszahlung habe der Mieter bis heute nicht erhalten. Die Angestellten mussten entlassen werden, der Besitzer arbeitet jetzt wieder in dem Grillimbiss seiner Eltern. „Da geht es um eine Existenz. Es tut sehr weh, wie ein Unternehmen so mit einem kleinen Restaurantbesitzer umgehen kann. Das ist einfach nur bitter“, sagt Andreas.
Der Kümmerer wird sich weiter stark machen für den Restaurant-Betreiber. Aufgeben? Keine Option. Generell nicht. Andreas kennt keine Probleme. „Nur Herausforderungen.“ Und die nimmt er an. Für sein „kleines, rebellisches Dorf zwischen Lohbrügge und Mümmelmannsberg. Ein ganz besonderer Ort.“
Steckbrief: Andreas Müller (61), Mitglied des „Dorfanger Boberg e.V.“
Auto oder Fahrrad? Momentan Auto. Mein Fahrrad ist kaputt. Im Dorf bin ich allerdings viel zu Fuß unterwegs.
Bier oder Wein? Sowohl als auch. Bei Feierlichkeiten gerne Bier, beim Essen lieber Rotwein.
Schnitzel oder Veggie-Burger? Ich brauche zwar nicht zu jedem Hauptgericht Fleisch, aber ab und an mal ein Schnitzel mag ich sehr.
Kind oder Haustier? Wir haben zwei Kinder. Unsere Tochter ist schon ausgezogen, unser Sohn lebt noch bei uns.
Nordsee oder New York? Beides nicht. Ostsee – da haben wir einen Campingplatz.
Kiez-Club oder Elphi? Eigentlich Kiez-Club, aber ich war kürzlich das erste Mal in der Elphi, das war faszinierend.
Yoga oder Fitnessstudio? Fitnessstudio, da gehe ich jede Woche zweimal hin.
Heavy Metal oder Klassik? Schon als Jugendlicher war ich großer KISS-Fan. Also Heavy Metal.
Neue Parkbänke für die Senioren
Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung.
Der Kümmerer von Boberg wünscht sich mit seinem Verein „Dorfanger Boberg“ neue Parkbänke für die Senioren im Viertel. „Sie haben kaum Möglichkeiten, sich beim Spaziergang mal auszuruhen“, sagt Andreas Müller. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung mit Fördermitteln aus dem „Haspa LotterieSparen“. Zudem wird die Haspa Lohbrügge die Patenschaft übernehmen. „Andreas steht für nachbarschaftliches Engagement aus innerer Überzeugung. Wir haben schon eine Menge gemeinsam für Boberg auf den Weg gebracht“, so Filialdirektor Michael Christiansen. Wie es mit dem Projekt weiter vorangeht, erfahren Sie im Bessermacher-Recall. Die MOPO bleibt dran und berichtet!