Sie sorgen für Wärme auf Hamburgs Straßen
Hanneke fand Stricken doof. Damals in der sechsten Klasse schaffte sie gerade mal anderthalb Socken im ganzen Schuljahr. Viele Jahre sind seitdem vergangen, in denen das Stricken für sie mehr wurde als nur ein Hobby. „Jeder Mensch braucht etwas, wofür er morgens aufsteht“, sagt Hanneke König (78). Sie strickt seit sechs Jahren für Obdachlose – gemeinsam mit ihrer „Strickgruppe Ammersbek“. Eine ihrer Mitstreiterinnen: Die 95-jährige Ruth. Sie ist blind und kann ihre Wohnung nicht mehr verlassen.
Schon immer hatte Hanneke das Gefühl, etwas für andere Menschen machen zu wollen. „Ich habe eine soziale Ader.“ Deshalb machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester. Dass sie sich für Obdachlose engagiert, kam jedoch erst viel später. Begonnen hatte es mit einer Lesung von Carlo von Tiedemann. Der Moderator berichtete von einer Obdachloseneinrichtung in Norderstedt. Von den bedürftigen Menschen. Ihrer Not. Und der Dankbarkeit.
„In der Pause bin ich einfach zu ihm hingegangen und habe gefragt, ob es sinnvoll wäre, wenn ich Socken stricke. Herr von Tiedemann war ganz begeistert.“ Er drückte Hanneke seine Privatadresse in die Hand und sie schickte ihm ein Paket mit 20 Paar Socken. Als dann prompt ein Dankesbrief mit Foto von der Sockenübergabe kam, war das Feuer entfacht. Hanneke wollte mehr tun.
Zwei Mitstrickerinnen sind bereits verstorben
Die Seniorin liebte das Stricken. Doch die Enkelkinder waren mittlerweile so alt, dass sie kein Interesse mehr an Omas selbstgemachten Socken hatten. Anfangs strickte Hanneke Reihe für Reihe alleine vor sich hin und spendete die Socken an das Projekt „Ein Rucksack voll Hoffnung“. Doch mit ihrer Ausbeute von etwa einem Paar pro Woche, war die Seniorin unzufrieden. Die Not war so groß. Es musste einfach mehr werden. Hanneke machte einen Aushang im Supermarkt und es meldeten sich zehn Frauen, die mitstricken wollten. Das war vor sechs Jahren. Seitdem sind die ein oder andere abgesprungen und die ein oder andere dazugekommen.
Zwei ihrer Mitstreiterinnen sind bereits verstorben. „Das ist traurig, aber das gehört zum Leben dazu. Es ist normal in unserem Alter.“ Trotzdem sei es ein großer Schock gewesen, als Dorothea plötzlich nicht mehr da war. „Sie ist abends ins Bett gegangen und morgens nicht mehr aufgewacht. Das hat uns alle sehr berührt.“
Bei der Beisetzung im Friedwald sagte der Pfarrer, wie viel Freude sie in den letzten Jahren ihres Lebens an ihrer Strickgruppe hatte. „Für uns alle ist das mehr als nur eine Strickgruppe. Wir kommen gut miteinander aus, unterhalten uns über politische Entwicklungen, über Fernsehsendungen, was wir erlebt haben. Wir sind einfach nur wir selbst.“ Über Krankheiten wird nicht gesprochen. „In unserem Alter hat jeder irgendwas. Deshalb wollen wir genau das nicht.“
Momentan treffen sich die Strickladys jeden Freitag für drei Stunden. Im Winter in Hannekes Wohnzimmer, im Sommer auf der Terrasse. Mit Kaffee und Kuchen? „Wir sind da spartanisch. Wir werden alle zu dick, wenn wir dauernd Kuchen essen. Es gibt Wasser.“
Sechs Frauen kommen zum Stricken. Vier weitere sind „Auswärtige“. Sie sind Teil der Gruppe, stricken jedoch zu Hause. Wie die 95-jährige Ruth aus Meiendorf. Sie ist blind und kann ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Trotzdem strickt sie Schals. „Immer nur eins rechts, eins links. Aber das kann sie noch gut fühlen.“ Wenn sie mal eine Masche fallenlässt, kommt ihre Tochter, nimmt die Masche wieder auf und die Seniorin kann weiterstricken. Zweimal im Jahr holt Hanneke etwa 20 Schals bei Ruth ab. Das sind immer ganz besondere Momente. „Es ist das Einzige, was sie noch kann und womit sie sich beschäftigt.“
Besonders stolz ist Hanneke auf den Verkauf beim letzten Basar
Etwa zwölf Paar Socken, drei Mützen und Stulpen, zwei Schals oder Umhängetüchter stricken die Frauen im Monat. Die Wolle wird gespendet. Mohair, Alpaka oder Seide wird allerdings für edlere Teile wie Stolas und Babykleidung verwendet, die bei Basaren oder auf Weihnachtsmärkten verkauft werden. Die Einnahmen spendet die Strickgruppe ebenfalls an Obdachlosen-Einrichtungen in Hamburg.
Besonders stolz ist Hanneke auf den Verkauf beim letzten Basar in einer Waldorfschule. „Da haben wir 2600 Euro eingenommen. Ein tolles Gefühl“, sagt die Frau, die zwei Kinder, sieben Enkelkinder und zwei Urenkel hat und erst als Seniorin mit ihrem Mann in den Norden zog. Vorher lebte das Ehepaar 30 Jahre lang in Stuttgart und betrieb drei Bio-Läden. Ihre Tochter war jedoch nach Ammersbek (Kreis Stormarn) gezogen. Um ihr und ihren vier Kindern nah zu sein, zogen die Eltern hinterher.
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Zweimal im Jahr holt die Obdachloseneinrichtung „Mobile Bullysuppenküche“ mit Sitz am Hein-Köllisch-Platz (St. Pauli) die Sachen ab. Selber in die Stadt fahren traut sich Hanneke nicht mehr. Zu viel Verkehr, zu unübersichtlich. „Es wird im Alter auch alles mühsamer. Schmerzen hier, schmerzen da.“ Das laufen fällt ihr schwer und sie hört nicht mehr gut. So hat sie die Menschen, für die sie jede Woche stricken, noch nie getroffen. Doch sie weiß: Die Obdachlosen freuen sich sehr über die selbstgemachte Kleidung. Das ist ihr Bestätigung genug.
Steckbrief: Hanneke König (78), Initiatorin der „Strickgruppe Ammersbek“
Bier oder Wein? Das hängt von der Situation ab. Ich trink zwischendurch auch mal ein Bier, aber lieber Wein.
Auto oder Fahrrad? Alles, was ich mit dem Rad machen kann, mache ich. Nur den Einkauf erledige ich mit dem Auto.
Schnitzel oder Veggie-Burger? Eigentlich beides nicht. Eine Thüringer Bratwurst esse ich gerne, aber ansonsten nicht viel Fleisch.
Kind oder Haustier? Kind, aber kein eigenes mehr. Nur in Form von Urenkeln.
Nordsee oder New York? Auf jeden Fall Nordsee. Wir fahren jedes Jahr nach Holland an die Nordsee. Mit dem Rad durch die Dünen zu fahren finde ich herrlich.
Kiez-Club oder Elphi? Ich war noch nie in einem Kiez-Club. Aber das würde mich schon mal interessieren. Ich denke aber, dass es dazu nicht mehr kommen wird. Dann eher Elphi. Da war ich schon. Wunderbar.
Yoga oder Fitnessstudio? Beides nicht. Yoga ist nichts für mich. Das werde ich nicht mehr probieren. Und Fitnessstudio finde ich sowieso nicht gut. Ich war nie der sportliche Typ.
Heavy Metal oder Klassik? Dann lieber Heavy Metal. Wenn ich Musik höre, dann lieber was pfiffiges.
Die Haspa finanziert hochwertige Sockenwolle
Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung.
Die „Strickgruppe Ammersbek“ wünscht sich hochwertige Sockenwolle. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung. Zudem wird die Haspa Bargteheide die Filialpatenschaft übernehmen. „Die Strickgruppe bringt Menschen zusammen und spendet Wärme. Das ist aktive Nachbarschaftshilfe, die auch den Helferinnen Freude bereitet. Daumen hoch!“, findet Filialleiter Sven Plog.
Wie es durch die Hilfe mit dem Projekt vorangegangen ist, erfahren Sie im Bessermacher-Recall. Die MOPO bleibt dran und berichtet!
Lesen Sie hier über noch mehr tolle Aktionen von Bessermacher:innen in Hamburg.