Sie ist für die Menschen auf Hamburgs Straßen da – mit dem Mitternachtsbus
Dicke Tropfen fallen vom Himmel. Dennoch sind etwa 40 wohnungslose Menschen gekommen, die geduldig im Regen warten. Auf den Mitternachtsbus des „Diakonischen Werks Hamburg“, der jeden Abend vor Saturn in der Innenstadt Halt macht und sie versorgt. Und dessen Mitarbeitende ihnen zuhören. Wie Projektleiterin Sonja Norgall (49), die von einer schmächtigen Frau zur Seite gebeten wird. Die Obdachlose hat gesundheitliche Probleme und bittet um Hilfe. Sonja kümmert sich. „Wir verteilen nicht nur Essen. Wir sind für die Menschen auf Hamburgs Straßen da.“ Und das seit 27 Jahren. 365 Nächte im Jahr.
Tiefe Dankbarkeit – das ist es, was Sonja jedes Mal empfindet, wenn sie nach einer Schicht im Bus nachts in ihre Eppendorfer Wohnung kommt. Dass sie einfach das Licht anschalten kann, sich etwas zu Essen aus dem Kühlschrank nimmt und das Fenster schließt, wenn ihr kalt ist. „All das ist nicht selbstverständlich. Wir neigen gerne zum Jammern. In solchen Momenten merkt man sehr deutlich, was man alles hat“, sagt die Projektleiterin des aus Spenden finanzierten Mitternachtsbusses mit Sitz an der Bundesstraße. Vor 27 Jahren wurde das Projekt von Landespastor Dr. Stephan Reimers gegründet. Ursprünglich mit dem Ziel, eine vorübergehende Hilfe zu schaffen, bis sich die Lage auf den Straßen wieder verbessert hat. Dass es über die Jahre immer schlimmer werden würde, ahnte der Mann, der auch die „Hinz & Kunzt“ gründete, damals nicht.
Studenten, Rentner, Polizisten: Das Team des Mitternachtsbusses besteht aus 140 Ehrenamtlichen
Und so sind die Mitarbeitenden häufiger denn je unterwegs. Jeden Abend ist das Team auf Tour. Das Team, das sind Sonja und ihre Kollegin Yvonne, die das Projekt hauptamtlich leiten, und 140 Ehrenamtliche. Vier Engagierte bilden jeweils eines von 28 festen Teams, die alle vier Wochen im Einsatz sind. „Das Besondere ist das Matching. Ähnlich einer Partneragentur gucken wir, wer zusammenpasst.“ Bei manchen Ehrenamtlichen matchte es heftiger als gedacht. „Es haben sich schon mehrere Paare gefunden und wurden sogar Familien gegründet“, sagt Sonja lächelnd. Studenten, Polizisten, Rentner, Ärzte – die Ehrenamtlichen, von denen manche seit der Gründung dabei sind, kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen.
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Jeden Abend starten die Helfenden mit einer Abholrunde und sammeln bei fünf bis sechs Bäckereien übriggebliebene Brötchen und Kuchen ein. Danach wird der Bus mit Kleidung, Schlafsäcken, Decken und Isomatten beladen. „Allerdings sind wir keine rollende Kleiderkammer. Das ist eine Notversorgung. Wenn sich jemand eingenässt hat, bekommt er eine neue Hose. Wenn jemandem die Schuhe gestohlen wurden, bekommt er neue.“ Sollten die Obdachlosen noch andere Sachen wollen, geben die Ehrenamtlichen Adressen von Kleiderkammern aus. „Wir wollen den Menschen zur Selbstständigkeit verhelfen und sie aufklären. Klassische Hilfe zur Selbsthilfe.“
Etwa 30 Standorte werden angefahren. Die regulären Sammelpunkte, zu denen Dutzende Obdachlose kommen, sind vor Saturn in der Innenstadt, Karstadt an der Mö und am Altonaer Bahnhof. Die Helfenden halten allerdings auch an Hauseingängen, vor denen nur Einzelne liegen. „Wir fahren an niemandem vorbei.“ Im Sommer werden jeden Abend bis zu 200 Obdachlose versorgt, im Winter sind es etwa 100. Viele von ihnen Stammgäste. Ein Mann ist mittlerweile in Poppenbüttel untergebracht. Trotzdem kommt er regelmäßig in die Innenstadt zur Ausgabe. „Dieses Vertrauensvolle erfüllt mich sehr. Wir sind eine Konstante im Leben dieser Menschen“, sagt Sonja.
Sonja Norgall: „Ich möchte die Kraft, die ich habe, sinnvoll für andere Menschen einsetzen“
Eine Konstante ist der Mitternachtsbus auch in ihrem eigenen Leben. Seit 13 Jahren ist Sonja dabei. Für sie fast eine Ewigkeit. Waren die Jahre zuvor geprägt von ständigem Wandel. Sonja wusste schon immer: „Ich möchte die Kraft, die ich habe, sinnvoll für andere Menschen einsetzen und Lebensumstände verbessern.“ Doch wie? Sie begann mehrere Ausbildungen und Studiengänge, reiste um die Welt, lebte in Israel und auf den Philippinen. In Kolumbien verliebte sie sich in einen Bauern und lebte ein Jahr auf seinem Hof. Ohne Strom. Ohne Auto. Ohne Nachbarn. Mitten in den Bergen. Um das angebaute Obst zu verkaufen, musste sie vier Stunden mit dem Maultier ins nächste Dorf reiten. Nach einem Jahr ging Sonja zurück nach Deutschland, studierte Journalistik und Ethnologie und jobbte nebenbei bei „Hinz & Kunzt“.
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In der Arbeit mit obdachlosen Menschen fand sie ihre Erfüllung. „Es ist so bunt und abwechslungsreich, dass es mich zufrieden macht.“ Allerdings gibt es nach 13 Jahren immer noch Momente, in denen es ihr schwerfällt, sich abzugrenzen. Die Schicksale der Menschen auf der Straße bewegen sie. Besonders, wenn Stammgäste sterben. Wie ein Mann, der immer um ein Eibrötchen und einen Pfefferminztee bat und stets etwas dafür bezahlen wollte. Er wurde schwer krank und starb. „Ich weiß, es ist begrenzt, was wir tun können. Aber wir tun jeden Tag etwas und bleiben an den Menschen dran.“ Das hilft Sonja. Um für die Menschen da sein zu können, die am Rande der Gesellschaft stehen und ihre Hilfe so dringend brauchen.
Steckbrief Sonja Norgall (49)
Auto oder Fahrrad? Fahrrad – ich habe privat kein Auto.
Bier oder Wein? Eigentlich trinke ich kaum Alkohol, aber ab und an mal eine Weinschorle.
Schnitzel oder Veggie-Burger? Seit ich auf dem Bauernhof in Kolumbien gesehen habe, wie man Tiere schlachtet, bin ich Vegetarierin.
Kind oder Haustier? Ich finde beides gut in der Patenschaft, möchte aber beides nicht selbst haben. Die Verantwortung und Zeit dafür hätte ich nicht.
Nordsee oder New York? Ostsee. Da komme ich her und da zieht es mich immer wieder hin.
Kiez-Club oder Elphi? Kiez-Club finde ich gut. Ich gehe gerne tanzen. Zur Elphi gehe ich, um die Aussicht auf Hamburg und den Hafen zu genießen.
Heavy Metal oder Klassik? Salsa-Musik höre ich gerne. Wenn ich mich entscheiden müsste, dann eher Heavy Metal.
Yoga oder Fitnessstudio? Fitnessstudio, das ist mein Ausgleich zur Arbeit. Ich liebe Wassergymnastik.
Haspa finanziert Schlafsäcke, Decken und Isomatten
Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung.
Der Mitternachtsbus wünscht sich Schlafsäcke, Decken und Isomatten. Alleine mehrere Hundert Schlafsäcke werden im Jahr an Obdachlose ausgegeben. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung mit Fördermitteln aus dem „Haspa LotterieSparen“. Zudem wird die Haspa Osterstraße Filialpate. „Der Mitternachtsbus ist eine Hamburger Institution, die wir bereits auf verschiedenen Wegen unterstützen. Zum Beispiel mit dem Haspa-Ehrenamtspreis oder über die Spendenplattform WirWunder. Wir freuen uns auf weitere gemeinsame Projekte“, sagt Jannik Zorzi, Filialdirektor der Haspa Osterstraße.
Wie es durch die Hilfe mit dem Projekt vorangegangen ist, erfahren Sie im Bessermacher-Recall. Die MOPO bleibt dran und berichtet!
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