Hamburgs perfider Markt mit den Hunde-Qualzuchten
Große Augen, runde Gesichter, Farben, die bis ins Silber schimmern – Hauptsache schön sollen sie sein, „die besten Freunde des Menschen“. Dass der Mops in seinem Körbchen vor sich hin schnarcht wird häufig als „niedlich“ beschrieben. Und wenn der Shitzu mit seinen großen Augen hochschaut, schmelzen viele dahin. In Wirklichkeit ist es die reine Qual: Die Tiere sind körperlich verformt, ihnen bleibt die Luft zum Atmen oder die Augen sind so groß gezüchtet, dass sie einfach rausfallen.
Der Boden ist durchnässt von einem kurzen, aber heftigen Sommerregen, als eine Mitarbeiterin des Hamburger Tierschutzvereins (HTV) den kleinen „Bifi“ nach draußen bringt. Ein knapp zehn Wochen alter Shitzu-Mischlingswelpe, der neugierig die Kamera inspiziert und durchs bauchhohe Gras stapft. Er war gerade sechs Wochen alt, als er in Billstedt gefunden wurde. Vermutlich stammt er aus einer illegalen Zucht und wurde einfach entsorgt, so die Mitarbeiterin.
Hamburg: Welpe mit fehlendem Auge einfach entsorgt
Denn: Ihm fehlt ein Auge. Nicht etwa durch einen Unfall, es ist einfach rausgefallen. Shitzus zählen zu den Qualzuchtrassen, also Hunden, denen bestimmte Merkmale angezüchtet wurden, damit sie einem menschengemachten Schönheitsideal entsprechen. „Bei Shitzus wurden über die Zeit die Augenhöhlen zurückgezüchtet“, sagt die Tierärztliche Leiterin des HTV, Urte Inkmann, im Gespräch mit der MOPO. „Was dazu führt, dass sie teilweise nicht mehr in den Augenhöhlen halten.“
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„Bifi“ ist dem sogenannten Kindchen-Schema zum Opfer gefallen: Runder Kopf, kurze Schnauze und große, hervortretende Augen – so „süß“ wie kleine Kinder. Die Kurzköpfigkeit zeigt sich auch bei dem zweieinhalb Jahre alten Rüden „Charlie“. Beim Rundgang durch den Zwinger legt sich die Französische Bulldogge immer wieder hin – beim Spielen, an heißen Tagen und langen Spaziergängen leidet er unter Luftnot, sagt seine Pflegerin.
Mops und Französische Bulldogge: Kiefer zurückgezüchtet
„Bei dieser Rasse und auch bei Möpsen sind die Kiefer zurückgezüchtet worden“, sagt Inkmann. „Die Zähne sitzen kreuz und quer im Mund, die Zunge ist für das kleine Mäulchen viel zu groß, sie blockieren sich selbst beim Atmen.“ Die Nasenlöcher seien statt rund, kommaförmig, was dazu führt, dass sie die eingeatmete Luft weder erwärmen noch kühlen können. „Bei Französischen Bulldoggen ist sogar schon nachgewiesen worden, dass sie dadurch wahrscheinlich häufig unter andauernden Kopfschmerzen leiden“, so Inkmann.
Wie bei „Charlie“ kommen noch Fehlstellungen der Gelenke und deformierte Wirbel hinzu. Die Folgen können Inkontinenz und Querschnittslähmungen sein. Vor dem Gebäude geschützt unter einem Baum, springt seine Namensvetterin aufgeregt an der Leine. „Charlie“ ist ebenfalls eine Französische Bulldogge und noch kein Jahr alt. Auf den ersten Blick scheint ihr Fell wie lackiert, es hat einen sehr hellen Champagnerton mit einem auffälligen Silberschimmer, ihre Augen sind hellblau mit einem Grünstich.
Auch in Hamburg: Gendefekte werden bewusst weitergezüchtet
Dabei handelt es sich um eine Art der Blue-Line-Färbung – kein Schönheitsmerkmal, sondern ein Gendefekt. Die Folge: Starker Juckreiz, Fellverlust, Hautekzeme und Schäden am Herzen und am Immunsystem. Ebenso beliebt ist der Merle-Effekt, eine Fellstromung aus beige, weiß, silber-grau und schwarz. „Wenn beide Elternteile dieses Merle-Gen tragen dann kommt es zu schweren Behinderungen der Welpen. Viele werden tot geboren, sind blind oder taub“, sagt die Tierärztin. „In der Natur hätte keines dieser Tiere überlebt – Hunde mit Gendefekten pflanzen sich nicht fort“, so Inkmann. Sie sind krank.
Tiere mit Qualzuchtmerkmalen dürfen laut Gesetz gar nicht gezüchtet werden, trotzdem tauchen immer wieder neue Welpen auf. „Das Problem ist, dass der Paragraf 11b im Tierschutzgesetz und das dazugehörige Gutachten zur Auslegung zu schwammig formuliert sind“, sagt Lisa Maria Otte, Tierschutzsprecherin der Grünen, im Gespräch mit der MOPO. „Das Gutachten benötigt eine zeitnahe Überarbeitung mit klaren Kategorien, die Qualzuchtmerkmale auflisten“, sagt sie.
Auch bei Hunden gilt: Die Nachfrage bestimmt das Angebot
Diese Überarbeitung liegt im Aufgabengebiet der Bundesregierung. Auf Landesebene könne im Hamburger Hundegesetz, durch Leinenpflicht oder dem Verbot der Haltung von Listenhunden, nur die öffentliche Sicherheit geregelt werden – aber nur die Sicherheit des Menschen, nicht die der Tiere, sagt Otte.
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Am Ende liege „die Entscheidung welchen Hund man sich anschafft, beim Käufer“, sagt Inkmann. Denn eines sollte jeder bedenken: Auch wenn die Nachfrage das Angebot bestimmt, handelt es sich um fühlende Lebewesen.