Corona-Angst: Welche Zahlen jetzt wirklich wichtig sind
Zahlen, Werte, Statistiken – während Corona ist es wichtig, Kennzahlen deuten zu können, um das Infektionsgeschehen zu beurteilen. Neuinfektionen, R-Wert, Positivenrate – was steckt hinter den Begriffen? Und welcher Wert ist am relevantesten? Die MOPO gibt eine Übersicht.
Am 20. August meldete das Robert-Koch-Institut mehr als 1700 Neuinfektionen – so viele wie zuletzt vor drei Monaten. Die Lage ist allerdings nicht mehr mit der zu vergleichen, in der sich Deutschland Anfang Mai befunden hat.
Corona-Angst: Welche Zahlen jetzt wirklich wichtig sind
Mittlerweile haben die Landkreise eigene Stufenpläne entwickelt, die bei einer bestimmten Anzahl von Neuinfektionen greifen. Gleichzeitig steigen auch die Testkapazitäten – trotzdem wird der aktuelle Trend vom RKI als besorgniserregend bezeichnet.
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Die Intensivbetten-Kapazität in Deutschland gibt laut dem DIVI-Intensivregister derzeit keinen Anlass zur Beunruhigung. In Mecklenburg-Vorpommern machen die Covid-Patienten lediglich 0,1 Prozent der belegten Intensivbetten aus. Hamburg zählt mit 1,2 Prozent zusammen mit NRW und Berlin zu den „Spitzenreitern“.
In den sozialen Medien werfen die Nutzer mit unterschiedlichen Zahlen nur so um sich. Aber auf welche Zahlen muss jetzt eigentlich besonders geachtet werden?
Der tägliche Wert vom RKI: Neuinfektionen
Der Wert der Neuinfektionen gibt die Zahl der Menschen an, die sich zuletzt mit dem Coronavirus infiziert haben. Da die Testkapazitäten deutlich erhöht wurden, ist dieser Wert inzwischen näher an der tatsächlichen Infektionszahl als noch im April oder Mai.
Die Regelung: Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner
Der Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner wurde als offizielles Kriterium der Bundesregierung festgelegt: Ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen muss ein Landkreis die Corona-Maßnahmen verschärfen. „Spitzenreiter“ ist aktuell der Landkreis Dingolfing-Landau in Bayern mit 47,8. Hier hat es einen massiven Corona-Ausbruch unter den Mitarbeitern einer Konservenfabrik gegeben.
Das Gegenargument: Es wird nur mehr getestet
„Es gibt nur mehr Neuinfektionen, weil mehr getestet wird“, ist das häufigste Gegenargument. Tatsächlich wird seit April kontinuierlich mehr getestet, wie aus dem Lagebericht des RKI hervorgeht. Das liegt zum einen am Ausbau der Testkapazitäten und zum anderen an der Testpflicht für Reiserückkehrer.
Zum Vergleich: Anfang März wurden in einer Woche um die 127.000 Tests gemacht, jetzt etwa 672.000. Diese Zahlen müssen allerdings erst in Relation zur Positivenrate gesetzt werden.
Entscheidend: die Positivenrate
Die Positivenrate beschreibt die Anzahl der positiven Ergebnisse unter allen durchgeführten Tests. Steigt diese Anzahl, ist das ein Alarmzeichen für das Gesundheitswesen. Der Höchstwert der Positivenrate lag bei 9 Prozent Anfang April. Danach sank sie auf bis unter 1 Prozent: Von 100 getesteten Personen war nur einer infiziert. Seit zwei Wochen steigt die Rate wieder leicht an. Das heißt: Die Neuinfektionen steigen tatsächlich und nicht nur aufgrund der vermehrten Tests.
In Vergessenheit geraten: der Reproduktionsfaktor R
Am Anfang war er noch der ausschlaggebende Faktor für das Infektionsgeschehen: Der Reproduktionsfaktor. Er bezeichnet die Anzahl der Personen, die im Durchschnitt von einem Infizierten angesteckt werden. Der R-Wert lässt sich nur durch statistische Verfahren schätzen. Außerdem bildet er das Infektionsgeschehen von vor einer bis etwas mehr als zwei Wochen ab. Seit Juli liegen die R-Werte wieder bei 1 beziehungsweise leicht darüber.
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Den R-Wert sieht Ralf Krumkamp, Epidemiologe beim Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, nach wie vor als relevant an. „Im April kam es vor allem darauf an, einen Abstieg der Fälle zu erreichen – und den gibt es nur mit einem R-Wert von unter 1. Deshalb haben wir damals intensiver darauf geguckt.“ Im Moment liege er relativ stabil um die 1 – bei einem Anstieg der Fälle würde der R-Wert wieder mehr in den Fokus geraten.
R-Wert, Neuinfektionen und Positivenrate: Das sagt ein Epidemiologe
Was heißt das jetzt alles? „Ja, die Fallzahlen steigen, aber unser Gesundheitssystem kommt im Moment noch gut damit klar“, sagt Krumkamp der MOPO. „Wir wollen keinen neuen großen Anstieg, weil sonst die Versorgung von Patienten und die Nachverfolgung von Kontakten schwierig wird. Aber wir müssen auch nicht mit allen Maßnahmen versuchen, nur bei 15 neuen Fällen am Tag zu bleiben.“ Ein weiterer Shutdown sei derzeit weder für die Wirtschaft noch für die Psyche der Menschen zu verkraften.
Krumkamp spricht sich für eine differenziertere Analyse aus. „Wir müssen kritisch auf die Zahlen gucken“, betont er, „aber es bringt nichts, überall die Kontakte zu reduzieren sondern genau zu schauen, wo der Anstieg herkommt und dann zielgerichtet zu handeln.“