• Sönke Fock ist Chef der Hamburger Agentur für Arbeit. Die MOPO sprach mit ihm über die Corona-Folgen für den Arbeitsmarkt.
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Corona-Folgen für Hamburgs Arbeitsmarkt: Diese Branchen leiden – und diese profitieren

Sönke Fock (58) und sein Team sind aktuell gefragter denn je. Seit Wochen stemmt sich Hamburgs Arbeitsagentur-Chef mit seinen Mitarbeitern gegen die Folgen der Corona-Krise, versucht Menschen und Firmen in der Not zu helfen. Die MOPO sprach mit ihm über katastrophale Folgen für den Arbeitsmarkt und welche Branchen durch die Pandemie profitiert haben.

MOPO: Herr Fock, wie viele Menschen haben in Hamburg ihren Job durch Corona verloren?

Sönke Fock: Das lässt sich genau nicht beantworten. Von März auf April haben sich 10.985 Frauen und Männer zusätzlich arbeitslos gemeldet. Darunter fallen mit Sicherheit auch Personen, die durch die Corona-bedingten Verordnungen nicht arbeiten konnten, weil ihre Unternehmen geschlossen hatten. Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen von April auf Mai wird am 3. Juni bekanntgegeben.

Aus einer neuen Studie geht hervor, dass in Deutschland durch den Lockdown täglich 28.000 Jobs wegfallen. Gibt’s auch für Hamburg derartige Prognosen?

Wir haben keine lokalen Studien dieser Art. Bei uns gibt es aber die Erwartung, dass die beschlossenen Lockerungen die Arbeitslosigkeit weniger stark steigen lässt.

Inwiefern?

Im Arbeitsmarktreport haben wir Ende April berichtet, dass in Hamburg mehr als 19.200 Betriebe ihre Anzeige auf Kurzarbeit eingereicht haben. Bezogen auf die Beschäftigten in den Betrieben sind uns insgesamt 272.000 Arbeitnehmer gemeldet, die von Kurzarbeit betroffen sein könnten. Bei der Bearbeitung der Anzeigen wird sich jetzt herausstellen, ob wirklich diese Höchstzahl eintritt – oder ob die Lockerungen dazu geführt haben, dass doch nur ein Teil der Beschäftigten in Kurzarbeit gegangen ist.

Hamburgs Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock zeigt sich beim Telefoninterview mit der MOPO höchst konzentriert.

Hamburgs Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock zeigt sich beim Telefoninterview mit der MOPO höchst konzentriert.

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HFR

Es gibt Betriebe – etwa im produzierenden Gewerbe – die die Corona-Auswirkungen erst jetzt spüren, weil sie durch unterbrochene Lieferketten keine Materialien mehr bekommen. Wird sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärfen?

Das ist für mich nicht erkennbar. Mitte März hatten wir ein Höchstmaß an Anrufen und Mails, wo sich Firmen über die Bedingungen von Kurzarbeit informiert haben. Bei aktuellen Anrufen geht es eher darum, dass die Betriebe Kurzarbeit lockern wollen – um ihre wirtschaftlichen Aktivitäten wieder hochzufahren.

Sie bezeichneten Kurzarbeit jüngst als Arbeitsmarktinstrument der Stunde. Warum?

Weil es sowohl Betrieben als auch Beschäftigten hilft. Zunächst behalten die Betriebe ihre langjährigen eingearbeiteten Fachkräfte an Bord. Weiterhin ist es für Betriebe eine Entlastung von der Verpflichtung, Lohn für Arbeitsstunden zu zahlen, die nicht geleistet werden können – und weil wir die Sozialversicherungsbeiträge erstatten.

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Für Beschäftigte führt Kurzarbeit zum Erhalt des Arbeitsplatzes, es gibt keine Kündigungen. Dadurch ist jetzt auch ein schneller Neustart in den Betrieben möglich, da nicht erst Personal rekrutiert werden muss.

Einige Branchen können noch immer nicht voll durchstarten. Wer leidet besonders unter Corona?

Natürlich die Gastrobranche, die erst jetzt wieder ihre Arbeit aufnehmen kann. Aber auch der ganze Kulturbetrieb hat schwer gelitten und leidet noch immer. Das gilt auch für das Eventmanagement und den Messebau. Und natürlich auch der Bereich Erziehung und Unterricht sowie die Reisebranche. Das sind alles Bereiche, die auf eine Planbarkeit setzen müssen, die noch immer existierende Unsicherheit hilft da nicht.

Gibt es auch Branchen, die von Corona profitiert haben?

Profitiert ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber im Gesundheitssektor und im Lebensmitteleinzelhandel gab es viel zu tun, da war keine Homeoffice wegen Corona möglich. Eine großartige Leistung. Viele Menschen haben durch Corona auch einen Bewegungsdrang verspürt, deswegen starten jetzt zum Beispiel die Fahrradhändler durch und erfahren hoffentlich eine gute, wirtschaftliche Entwicklung.

Welche Arbeitssektoren werden sich am ehesten von der Corona-Krise erholen?

Im Einzelhandel sind die Kunden noch verhalten, doch auch dieser Bereich wird sich erholen. Schnell dürfte sich die Situation bei den Friseuren verbessern. Schauen Sie mal, was da los gewesen ist! Kaum durften die Salons wieder öffnen, waren die Termine ausgebucht. Auch beim produzierenden Gewerbe dürfte sich die Lage schnell verbessern, sobald die Lieferketten nicht mehr unterbrochen sind, Waren im Hamburger Hafen wieder ankommen.

Wird es eine Art Wiedereinstellungswelle geben?

Alle Wirtschaftsforschungsinstitute und die Bundesregierung sagen, dass wir in einer tiefen Rezession stecken. Die jetzt vollzogenen Lockerungen führen jedoch wieder zu einer festeren Beschäftigungssituation. Wie verlässlich diese Entwicklung ist, hängt vom Infektionsgeschehen ab. Bei einem weiteren Lockdown müssen viele Menschen wieder um ihre Jobs bangen.

Bleiben wir bei der Rezession. Das Wirtschaftswachstum in Deutschland war bereits vor Corona rückläufig. Wäre es denkbar, dass die Rezession durch das Virus einfach nur beschleunigt wurde – und die Konjunkturkurve dadurch auch wieder früher steigen wird?

Ich gehöre nicht zu den Sachverständigen, die sich mit Wirtschaftsforschung auseinandersetzen. Ich weiß aber, dass die Experten für dieses Jahr von einem negativen geringeren Wirtschaftswachstum im Vergleich zu 2019 ausgegangen sind. Für 2021 sei aber ein leichter Zuwachs zu erwarten. Corona hat einen wesentlichen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum, eine Rezession in diesem Jahr hat niemand erwartet. Dafür nehmen die Experten, anders als ursprünglich prognostiziert, jetzt ein höheres Wirtschaftswachstum für das kommende Jahr an, als ursprünglich erwartet

Wirkt sich die Corona-Krise auch auf die Zahl der Ausbildungsplätze aus?

Für Unternehmen ist die Ausbildung eine Investition in die eigene Zukunft. Durch Corona stellt sich für viele jetzt jedoch die Frage, ob sie sich diese Investition leisten können. Ich glaube, dass ganz viele Unternehmen das aktuell prüfen… und sich für die Ausbildung junger Leute in diesem Jahr entscheiden, um sich die Fach- und Führungskräfte von morgen und übermorgen zu sichern.

Wäre es denn so schlimm, wenn es weniger Stellen geben würde? Jahr für Jahr berichten wir, dass es im Herbst hunderte offene Ausbildungsplätze gibt.

Es ist richtig, dass es in den vergangenen Jahren einen Überhang an betrieblichen Ausbildungsstellen gab. Hamburg ist ein attraktiver Standort mit mehr als 300 verschiedenen Ausbildungsberufen. Das darf gerne so bleiben. Wir werben auch eindringlich dafür, dass Betriebe an Ausbildungsplätzen festhalten. Es gibt jedoch einige Branchen, im Bereich Gastronomie, Kultur und Events, wo eine gewisse Zurückhaltung spürbar ist.  

Leiden nicht vor allem junge Menschen unter den Corona-Folgen? Da gibt es Menschen, die jahrelang studiert haben, hochgebildet sind und plötzlich keinen Job finden.

Niemand von uns hat die Folgen der Pandemie für den Arbeitsmarkt so einschätzen können, wie sie sich jetzt darstellen. Von daher ist es für jeden, der seinen Job verloren hat oder neu einsteigen möchte, im Moment nicht einfach. Aber in dem Maße, wie die Wirtschaft wieder anfährt, haben wir die Situation, dass qualifiziertes Personal gesucht wird. Insofern ist die Investition in die Ausbildung keine Investition die nicht Früchte tragen wird. Aber ja, aktuell ist der Wiedereinstieg ins Berufsleben erschwert. Das muss nicht so bleiben und kann sich schnell ändern.

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