Corona: Hamburger verklagen Österreich auf Schadenersatz
Das Treppensteigen fällt Karin L. schwer. Schon kleinste Anstrengungen lösen bei der 70-Jährigen Atemnot aus – was nicht an ihrem Alter liegt. Die Rentnerin, die immer Sport getrieben hat, leidet unter Long Covid. Im März 2020 hat sie sich im österreichischen Skiort Ischgl mit dem Coronavirus infiziert, der sich von dort aus in ganz Europa verbreitete. Nun fordert die Eimsbüttlerin, die später auch ihren Mann ansteckte, Schadensersatz vom österreichischen Staat.
Dass sie noch nach anderthalb Jahren gesundheitlich unter den Folgen leiden würde, wusste die Hamburgerin noch nicht, als sie in Vorbereitung der Klage ihren erlittenen Schaden auf nur 1000 Euro bezifferte. „Heute würde ich weit höher gehen“, sagt Karin L.
Den Behörden der Alpenrepublik wirft die ehemalige kaufmännische Angestellte vor, das Skigebiet nicht schon eine Woche früher geschlossen zu haben, um die Ausbreitung des Virus zumindest einzudämmen. „Aus Gewinnsucht wurde anders entschieden“, empört sich Karin L.
Corona-Pandemie: Ohne Abstand und Maske im Bus
Am 13. März, Tage nachdem bekannt geworden war, dass sich viele deutsche Ischgl-Rückkehrer mit Corona infiziert hatten, sei sie mit anderen Urlaubern zusammen in einen Bus verfrachtet und in die Heimat geschickt worden. Ohne Abstand, ohne Maske. „Im Bus saßen wir ganz dicht zusammengepfercht auch mit Personen, die schon sehr starke Symptome wie Fieber hatten“, erinnert sich Karin L. an den Beginn ihrer Heimreise und ergänzt: „Ausnahmslos alle Businsass:innen wurden später positiv auf das Virus getestet.“
Karin L. ist bei Weitem nicht die einzige Klägerin. Derzeit rollt eine Prozesswelle auf die österreichischen Behörden zu. Seit Mitte September wurden vor dem Wiener Landgericht bereits fünf Schadensersatzverfahren von Personen terminiert, die im Frühjahr vergangenen Jahres Covid-19 aus dem Skiurlaub nach Hause mitbrachten. Rund 400 Klagen von einzelnen Geschädigten, unter ihnen etwa 25 Hamburger:innen, sollen in den kommenden Wochen folgen – darunter die von Karin L.
Corona: Angehörige der Urlauber starben an den Folgen
Dazu kommen diverse Sammelklagen. Nicht nur Menschen, die sich in ihrem Ski-Urlaub ansteckten, sondern auch zahlreiche Angehörige von Ischgl-Infizierten, die an den Folgen von Covid-19 verstarben, ziehen vor Gericht.
Es geht um Forderungen in Millionenhöhe. Zwischen 1000 und 100.000 Euro wollen die Corona-Geschädigten erstreiten, je nach Schwere des Krankheitsverlaufs. Peter Kolba, Obmann des österreichischen Verbraucherschutzvereins (VSV), der die Klagen koordiniert, rechnet mit einer Gesamtschadenssumme von 36 Millionen Euro. Kolba sieht gute Chancen, dass die Kläger:innen recht bekommen.
Die Corona-Geschädigten werfen zuständigen Behörden vor, bei der Eindämmung der Pandemie und der Evakuierung zahlreiche schwere Fehler begangen zu haben. Die Vertreter der Republik Österreich argumentierten, dass die Klage nach dem Epidemiegesetz ins Leere laufe, weil dieses zwar die öffentliche Gesundheit schütze, nicht aber die Gesundheit einzelner Personen. Zudem hätten die Verantwortlichen „alles richtig gemacht“. Mit den ersten erstinstanzlichen Urteilen wird noch in diesem Jahr gerechnet. Die Verfahren aber dürften durch sämtliche Instanzen gehen und Jahre dauern
Nicht ausreichend über Corona informiert
Auch Josef K. wird vor Gericht ziehen, sich einer der Sammelklagen anschließen. Mit einem Freund war er im März 2020 in Ischgl, wo sich beide mit Corona infizierten. Tagelang hörte der Leitende Angestellte, der in der HafenCity lebt, nur über Kneipenpersonal und andere Urlauber Gerüchte über Corona-Fälle in Ischgl. Als dann die Ankündigung gekommen sei, dass die Clubs und Bars am nächsten Tag schließen würden, sei am Abend „umso mehr gefeiert“ worden.
„Wir Gäste haben die Situation völlig falsch eingeschätzt, es gab aber auch tagelang keine offiziellen Informationen oder gar Warnungen“, blickt Josef K. auf das Ischgler Superspreader-Event zurück. Den zuständigen Stellen wirft der heute 36-jährige vor, „den Ernst der Lage viel zu spät erkannt und die gastronomischen Betriebe zu spät geschlossen zu haben“.
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Das sieht auch Karin L. so. Wichtiger, als finanziell entschädigt zu werden, ist ihr das Signal, das von ihrer Klage ausgeht: „Ich möchte, dass die Versäumnisse von Ischgl nicht in Vergessenheit geraten. Sie müssen ein Appell für die Zukunft sein, Profit-Interessen nicht vor das Wohl der Menschen zu stellen.“