Stefan Kluge ist Leiter der Intensivmedizin am UKE.
  • Stefan Kluge, Leiter der Intensivmedizin am UKE (Archivbild).
  • Foto: picture alliance/dpa/dpa-POOL | Ulrich Perrey

Hat die Inzidenz ausgedient? Das sagt der UKE-Intensiv-Chef

Die Sieben-Tage-Inzidenz gilt als entscheidende Orientierung für die Corona-Politik: Sie gibt an, wie viele neue Corona-Fälle pro 100.000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen gemeldet wurden. Daran ließ sich lange auch abschätzen, wie sich die Lage auf den Intensivstationen entwickelt. Doch nun entkoppelt sich dieser Zusammenhang zunehmend, erklärt Stefan Kluge, Leiter der Intensivmedizin am UKE, in der „Welt“. Ist die Inzidenz damit hinfällig?

„Insgesamt hat sich die Relation zwischen Neuinfektionen und Hospitalisierungsrate verändert“, erklärt Kluge. „In Deutschland war zu Beginn der Pandemie jeder fünfte Sars-CoV-2-Infizierte intensivpflichtig.“ Da habe eine Überlastung des Gesundheitssystems gedroht.

UKE-Intensivmediziner: Nur sehr wenig Infizierte erkranken schwer

Doch im Laufe der Pandemie habe sich der Altersdurchschnitt der Infizierten verändert. „Die Zahl der Intensivpatienten war immer auch stark abhängig vom Alter der Infizierten“, sagt Kluge in der „Welt“. „Dabei spielt jetzt der Impfstatus natürlich eine entscheidende Rolle.“ In Großbritannien steige die Zahl der Krankenhausaufnahmen zwar parallel zu den Infektionszahlen an, sei aber noch beherrschbar. Weniger als ein Prozent der Infizierten erkranke dort zurzeit schwer.

Das könnte Sie auch interessieren: Lockdown oder Locker-Bleiben: Wie ist der Pandemie-Plan des Senats?

Dem Mediziner zufolge sollte die Sieben-Tage-Inzidenz deshalb nicht mehr alleiniger Parameter für Corona-Regeln sein. An einem Mix unterschiedlicher Parameter könne sich einschätzen lassen, wie sich die Corona-Lage in Zukunft entwickelt. Dazu gehört auch der R-Wert, der anzeigt wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt, und die Zahlen der Krankenhaus- und Intensivaufnahmen. Zudem melde das UKE die Neuzugänge auf den Intensivstationen nun auch mit Alter und Impfstatus an die Gesundheitsbehörde.

Für bestimmte Gruppe könnte dritte Impfung wirksam sein

Aktuell sei die Covid-19-Situation auf den Intensivstationen in Hamburg gut beherrschbar, so Kluge. Doch: „Die vierte Welle wird kommen, die Frage ist, wie hoch sie sein wird.“ Gerade für Menschen mit Immundefizit zeigten neuere Studien, dass die Impfungen nur eingeschränkt wirksamen seien, so der Arzt. „Deshalb ist für spezielle Gruppen eventuell eine dritte sogenannte Booster-Impfung sinnvoll. Allerdings gibt es in Deutschland bisher noch keine dahingehende Empfehlung.“

Das könnte Sie auch interessieren: Schließungen drohen: Niedersachsen will Inzidenz-Schwellenwerte ändern

Zudem führen hohe Infektionszahlen auch zu einer „relevanten Zahl“ an Long-Covid-Betroffenen. Wir müssten uns grundsätzlich fragen, was uns wichtiger ist, so Kluge: „die völlige Freiheit – und dafür nehmen wir Tote und Long-Covid-Erkrankungen in Kauf? Oder behalten wir vergleichsweise harmlose Maßnahmen wie Mundschutz und Abstandsregeln bei und vermeiden weiterhin Infektionsgeschehen?“ Es sei ein Spagat zwischen Vernunft und Lockerungen. (ncd)

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp