Darum lassen wir uns jetzt (erst) impfen
Mehrere hundert Neuinfektionen jeden Tag, die Inzidenz in der Stadt klettert immer weiter und liegt jetzt knapp über 175. Und trotzdem haben sich fast 300.000 impfberechtigte Hamburger noch immer nicht gegen Corona piksen lassen. Viele fragen sich, wie Ungeimpfte jetzt überhaupt noch erreicht werden sollen. Die MOPO hat bei Spät-Impflingen nachgefragt, was sie doch noch umgestimmt hat.
Eine lange Schlange wartender Menschen hat sich am Dienstagvormittag vor dem Pflegedienst „Vier Jahreszeiten“ in der Fuhlsbüttler Straße gebildet. „Was gibt es denn hier umsonst?“ fragt eine vorbeigehende Frau und lacht. Tatsächlich gibt es hier etwas „gratis“ – so wurde die Aktion vom Hamburger Senat in den sozialen Medien beworben. Ein Vakzin gegen Corona. Ohne Termin.
Corona: Darum lassen sich diese Hamburger erst jetzt impfen
Mit solchen niedrigschwelligen Angeboten will die Stadt Ungeimpfte doch noch zum Piks bringen. Und tatsächlich: Neben denen, die hier für ihre Auffrischimpfung anstehen, warten auch viele, die sich zum ersten Mal gegen das Virus impfen lassen wollen.
Einer von ihnen ist Lukas E. (Nachname geändert). Er ist kein Impfgegner und hat auch keine Bedenken wegen des Impfstoffs, sagt er. Warum er dann noch nicht geimpft ist? Er habe den Piks einfach aufgeschoben, sagt er – das berichten viele, die hier warten. Außerdem hat der 24-Jährige Angst vor Spritzen. Doch jetzt hat ihn das 2G-Modell umgestimmt. Er will die Freiheiten – und auch in der Gastronomie endlich wieder ohne Maske arbeiten. „Außerdem ist die Impfung für die gesamte Gesellschaft gut“, sagt er. „Es ist solidarisch.“
Das sieht Annika L. (Name geändert) ganz anders. Sie steht etwas hinter Lukas – aber so ganz freiwillig holt sich die 57-Jährige ihre ersten Corona-Piks hier nicht ab. „Ich habe keine Angst vor der Krankheit“, erklärt sie. Sie beuge sich dem sozialen Druck. „Ich werde wie eine Aussätzige behandelt“, beschwert sie sich. Bereits zwei Freunde hätten sich von ihr abgewendet. Die Entscheidung für die Impfung traf sie am Morgen ganz spontan. „Dann habe ich endlich meine Ruhe“, sagt sie.
Mehr Samstag. Mehr Sonntag. Mehr MOPO!
Unsere extra-dicke MOPO AM WOCHENENDE hat es in sich: Auf 64 Seiten gibt’s aktuelle News, packende Reportagen, spannende Geschichten über Hamburgs unbekannte Orte und die bewegte Historie unserer Stadt, die besten Ausgehtipps für’s Wochenende, jede Menge Rätsel und vieles mehr. Die MOPO AM WOCHENENDE: Jeden Samstag und Sonntag für Sie am Kiosk – oder ganz bequem im Abo unter MOPO.de/abo
Viele der hier Wartenden ringen sich wegen einer Mischung aus unterschiedlichen Gründen zu dem Piks durch. 2G wird häufig genannt, ebenso Urlaubspläne. Beides trifft auch auf David Fallah zu, der die Impfung wegen eines diffusen, mulmigen Gefühls bisher abgelehnt hatte. Doch jetzt fängt er an, sich wegen der immer weiter steigenden Inzidenz Sorgen zu machen. „Die Zahlen sind einfach zu hoch“, sagt er. Und die Tests ständig selbst zu zahlen, werde langsam teuer.
Wenigstens Natalie Grewe scheint sich auf ihre Impfung zu freuen. Die 34-Jährige hat im Februar ein Kind bekommen und stillt noch. „Deshalb wollte ich gern die offizielle Impfempfehlung abwarten“, erklärt sie. Für einen neuen Termin beim Hausarzt müsste sie allerdings wochenlang warten.
Mehrere der Ungeimpften hier haben Covid-19 hinter sich – und Genesenen empfiehlt das RKI eine Impfung erst sechs Monate nach der Infektion. So auch Peter Hauser. Der 61-Jährige wohnt in der Nähe von Itzehoe und wollte sich bereits bei einer ähnlichen Aktion dort impfen lassen, doch die Schlange war ihm zu lang. „Ich war heute zufällig hier“, sagt er. „Das Wetter ist gut. Jetzt lasse ich es machen.“
Einen Tag später hat sich eine lange Schlange vor dem Weiterbildungszentrum „FITS“ in Hamburg-Mitte gebildet. Auch hier wird der Piks angeboten – und Roaa Alsshita will sich einen abholen. „Ich hatte am Anfang des Jahres Corona“, sagt die 28-Jährige. Jetzt, mehr als ein Dreivierteljahr später, gelte ihr Genesenenstatus nicht mehr und sie müsse sich eine Impfung abholen, um wieder an allen Angeboten des öffentlichen Lebens teilnehmen zu können.
Ein bisschen anders ist es bei Daniil Ilin. Nach einem halben Jahr Urlaub in Moskau ist er wieder zuhause in Hamburg-Mitte, doch hier wird seine Impfung mit dem russischen Vakzin Sputnik V im August nicht anerkannt. „Keiner kann mir genau sagen, was passiert, wenn ich so kurze Zeit später mit einem anderen Impfstoff geimpft werde“, sagt der 20-Jährige. „Aber wenn ich es nicht tue, kann ich keine 2G-Angebote wahrnehmen und werde vom öffentlichen Leben ausgeschlossen.“
Auch vor dem „FITS“ warten zahlreiche Menschen auf ihre Auffrischungsimpfung. Wenige sehen die Impfung skeptisch. Bei aller Sorge um die steigenden Corona-Zahlen besteht also noch Hoffnung. Weitere Impfangebote ohne Termin sind unter www.hamburg.de/corona-impfstationen zu finden.