Das neue Kiez-Gefühl: Wie St. Pauli durch die Pandemie zusammengerückt ist
Monatelang herrschte auf dem Hamburger Kiez ein nahezu komatöser Zustand. Clubs und Bars waren die ersten, die zu Beginn der Corona-Pandemie dicht machen mussten. Aus Solidarität mit den Gastro-Betrieben riefen dann Taxifahrer:innen wöchentliche Demos ins Leben, die am vergangenen Samstag mit der 31. Veranstaltung endeten. Eine Sache war dabei deutlich spürbar: Der sonst so raue Kiez ist etwas kuscheliger geworden.
Monatelang veranstalteten die Gastro-Betriebe auf St. Pauli jeden Freitag- und Samstagabend eine Licht- und Musikaktion um zu zeigen, dass sie noch da sind und nicht in Vergessenheit geraten möchten. Taxifahrer Henrik Moss (44), auch bekannt als Taxi-Henni, und seine Kolleg:innen zogen nach. Ein Taxen-Konvoi drehte bis vergangenen Samstag wöchentlich seine Runden. Mit Warnblinker und Lichthupe zeigten die Taxler den Hamburger:innen: Wir sitzen mit Kneipen, Bars, Restaurants und Co. in einem Boot. Kiez-Akteur:innen sagten für diesen solidarischen Akt bei der letzten Aktion nun Danke – mit viel Kuchen und Umarmungen.
Hamburg: Auf St. Pauli ist man durch Corona enger zusammengerückt
„Die Leute haben sich immer auf das Wochenende gefreut, weil sie wussten, dann findet wieder eine Taxi-Demo statt“, sagt Henrik Moss. Der Taxi-Fahrer und Initiator der Demos hat am 6. Februar 2021 damit begonnen, mit Kolleg:innen auf die Gastro-Branche aufmerksam zu machen. Denn ohne Gastronomie-Betrieb brauchen die wenigsten Kiezbesucher:innen ein Taxi. Am vergangenen Samstag endete die wöchentliche Aktion. „Wir hatten nochmal eine richtig coole Party und sind in den letzten Monaten als Familie zusammengerückt – egal aus welcher Branche“, sagt Moss.
Auch Lars Schütze, Vorstand von der Interessengemeinschaft IG St. Pauli erkennt, wie sehr der Kiez zusammengewachsen ist. „Es haben sich ganz unterschiedliche Gruppen zusammengesetzt und nach Lösungen gesucht. Die hätten im normalen Kiez-Leben niemals zusammengearbeitet“, so Schütze. „Die Taxi-Demo war wie ein Lichtblick. Es wurde gemeinsam ein Zeichen gesetzt. Ich habe mitbekommen, dass mehrere Gruppen sich nun auch weiterhin treffen wollen, einfach, weil sie sich gut verstehen“, so Schütze.
Für Odin Janoske-Kizildag waren die letzten anderthalb Jahre „eine Katastrophe“, wie er sagt. Der 54-Jährige ist ein bekannter Kiez-Akteur. Er erfand das „Dollhouse“ und die „99 Cent Bar“. Zwischenzeitlich kandidierte er sogar für den Bundestag, um der Kulturbranche eine Stimme zu verleihen – er scheiterte. Der Barbetreiber erkennt dennoch etwas Positives an der Pandemie: „Wenn man einen schönen Aspekt an Corona sucht, dann ist das der plötzliche Zusammenhalt auf dem Kiez“. Die Taxi-Demo habe einen großen Teil dazu beigetragen.
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„Viele haben sich der Demo angeschlossen: Club-Betreiber:innen, Künstler:innen und DJs. Das hat viel Aufmerksamkeit auf uns alle und auf unsere Problematik gerichtet. Dadurch haben wir uns dann auch untereinander alle besser kennengerlernt. Sonst hatten wir ja nie Zeit füreinander“, sagt Janoske-Kizildag.
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Taxi-Fahrer Henrik Moss blickt mit „einem weinenden und lachenden Auge“ auf die wöchentlichen Veranstaltungen zurück, wie er sagt. „Natürlich freuen wir uns, dass wir uns langsam in Richtung Normalität bewegen, wir sind in der Zeit aber auch ziemlich zusammengewachsen und haben Menschen kennengelernt, die wir vorher nicht kannten, teilweise sogar Taxi-Fahrer:innen aus Berlin“, sagt er. „Sobald es aber wieder dazu kommen sollte, dass jemand unsere Hilfe braucht, egal ob Prostituierte, Künstler:innen, Gastronomen oder sonst wer, sind wir da.“