Vom roten Zwerg zum grünen Riesen: Scholz in Hamburg
Es stinkt, es dröhnt, eine Sirene heult, Funken fliegen, Flammen lodern, Stahl glüht. Olaf Scholz ist in seinem Element. „Ich bin ein technikbegeisterter Mensch“, sagt der Mann, der plötzlich Chancen hat, Kanzler zu werden – und erklärt beim Besuch des ArcelorMittal-Stahlwerks im Hafen mal eben, wie das Klima sowie Hamburgs (und Europas) Industrie zu retten sind und warum ausgerechnet die SPD die Partei der Stunde ist.
„Ich habe der Wahrheit ins Gesicht geguckt“, sagt Scholz mit ernstem Gesicht. Und was er da gesehen hat, ist unerfreulich. Wir brauchen Strom. „Sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viel Strom.“ Denn ohne Strom kein Wasserstoff und ohne Wasserstoff keine Klimaneutralität.
Doch die CDU, vor allem Kabinettskollege Peter Altmaier, hat das einfach ignoriert. „Erkenntnisverweigerung“ sei das, „peinlich!“, schimpft Scholz mit schwingender Faust und wirft dem Partner und Konkurrenten gezielte Sabotage der Energiewende vor.
In Hamburg: Scholz ledert gegen Kabinettskollege Altmaier
Scholz weiß natürlich, was zu tun ist. Bauen, bauen, bauen. Diesmal nicht Wohnungen wie in Hamburg als Bürgermeister, sondern Windräder und Solarzellen. Dabei rechnet er vor, dass allein das Stahlwerk im Hafen zwei Nordsee-Windparks mit je 100 Mühlen benötigt, um komplett klimaneutral zu werden. „Und die Chemieindustrie braucht so viel Strom, wie wir jetzt in ganz Deutschland verbrauchen!“
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Damit ist Scholz tatsächlich einer der wenigen Politiker, die bei allem Klimagerede das Kernproblem adressieren: Wir brauchen gigantische Mengen an grünem Strom, nicht nur für E-Autos, Heizungen und Betriebe, sondern für die Produktion von Wasserstoff.
Nun feiert sich Hamburg dafür, dass in Moorburg bald ein sogenannter Elektrolyseur mit einer Leistung von 100 Megawatt den begehrten Stoff produzieren soll. „Aber allein wir brauchen 500 Megawatt“, sagt der Chef des rostbraunen Werks, das hier aus Schrott neuen Stahl produziert und 2030 klimaneutral sein könnte – wenn die Subventionen fließen, die Kunden mehr für grünen Stahl bezahlen und es genug Wasserstoff gibt, um das Erdgas im Produktionsprozess zu ersetzen.
SPD: Scholz wird im Wahlkampf zum Öko-Revolutionär
Dass ausgerechnet Scholz im Wahlkampf zum Öko-Revolutionär wird, der gut gelaunt mit Stahlarbeitern schnackt, über grüne Zölle und Weltklimapolitik referiert, dabei ernst und witzig zugleich ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie – werfen die Grünen ihm doch vor, in Hamburg stets selbst auf die Bremse getreten zu haben beim CO₂-Sparen. Scholz hat allerdings stets gesagt, dass es für Klimawandel nur eine technische Lösung gibt, mit grünen Verzichtsvorstellungen konnte er nie was anfangen, auch hält er es für illusorisch, die Menschen ändern zu wollen.
Der radikale Ausbau der Erneuerbaren ist für ihn daher „alternativlos“, in Deutschland, Europa, auf der ganzen Welt. „Klimaneutralität ist ein Industrieprojekt“, diesen Satz findet Scholz super, er wiederholt ihn mehrfach. Denn welche Partei gilt als Industriepartei? Eben, die SPD. So mutiert der rote Olaf plötzlich zum grünen Riesen, die SPD zur „Partei der Stunde“. Und die Probleme bei der Energiewende schrumpfen zu bürokratischen Hürden, die nur ein echter Macher aus dem Wege räumen kann. Wer das sein könnte? Das Wort „ich“ benutzt Scholz auffällig selten an diesem sonnigen Donnerstag. Wen er für den besten hält, ist ja eh klar.