Die Schanze war seine Tanzfläche: Ein Stadtteil trauert um diesen Obdachlosen
Er liebte die Musik – vor allem die von Michael Jackson. Die Sternschanze war sein Zuhause, denn Klaudio lebte auf der Straße. Viele kannten ihn, grüßten ihn beim Vorbeigehen. „Ciao Papi“ oder „Ciao Mami“, sagte er dann und formte mit den Fingern ein „Peace“-Zeichen. Am vergangenen Freitag ist er gestorben, mit gerade einmal 44 Jahren. Drei Gedenkstätten im Schanzenviertel erinnern an ihn.
„RIP“ – die Abkürzung für „Rest in Peace“ (dt. Ruhe in Frieden), steht unter einem Foto von ihm, das am Bahnhof Sternschanze hängt. Auf dem Bild trägt Klaudio bunte Kleidung und eine rote Mütze. So kannten die Hamburger den bärtigen kleinen Mann, der es liebte zu tanzen, gern trank, aber immer freundlich und gut gelaunt war.
Seine Jacke trägt viele Unterschriften. Es sind die der Schanzenbesucher und Anwohner. Wochen vor seinem Tod bat er sie darum, zu unterschreiben. Ein Anwohner erinnert sich: „Ich habe mal seinen Reisepass gesehen. Ich sollte darin unterschreiben. Auf den Seiten, auf denen andere Leute Stempel von irgendwelchen Reisen sammeln, sammelte Klaudio Unterschriften. Alle Seiten waren voll davon“.
„MOPOP – Der Kultur-Newsletter“ bringt Ihnen jeden Donnerstag gute Nachrichten frei Haus. Ob auf, vor und hinter den Bühnen – wir sind für Sie dabei und sprechen mit den spannendsten Menschen. Dazu gibt’s Tipps zu Veranstaltungen und Neuerscheinungen und vieles mehr. Wir freuen uns auf Sie! Hier klicken und anmelden.
Klaudio verstarb am vergangenen Freitag. Es schüttete in dieser Nacht wie aus Eimern. Mitarbeiter der Stadtreinigung fanden ihn am frühen Morgen hinter einer Corona-Teststation am Bahnhof Sternschanze. Er lag dort auf dem Boden, allein, völlig durchnässt. Er war tot.
Grabkerzen, eine Discokugel, leere Schnapsflaschen und frische Blumen liegen unter dem Foto am Eingang des Schanzenbahnhofs – es ist eine von drei Gedenkstätten im Schanzenviertel. Auf einem kleinen Blatt steht in kindlich anmutender Schrift geschrieben: „Ich werde dich vermissen“. Die von Hamburgern errichtete Gedenkstätte erinnert an einen Menschen, der im Viertel bekannt war, den aber niemand so richtig kannte.
Hamburger nannten den Obdachlosen auch Michael Jackson
Unter einem Foto steht der Name Michael geschrieben – Michael, weil er immer wieder zu der Musik von Michael Jackson tanzte. Klaudio war sein richtiger Name, mit „K“ und nicht mit „C“, wie viele denken. So habe es im Reisepass gestanden, sagt ein Anwohner. Geboren sei er am 28. März 1977 in Rumänien, Familie soll er dort haben. Menschen, die die Hintergründe für seine Obdachlosigkeit kennen, behalten diese für sich. Es sei seine persönliche Geschichte, aus Respekt ihm gegenüber solle das auch so bleiben.
Es verging kein Abend im belebten Schanzenviertel, an dem nicht auch Klaudio dort war. Meist schlenderte er über die Piazza des Schulterblatts und tanzte für die vorbeigehenden Menschen. Er besaß ein altes Handy, auf dem er Musik abspielen konnte. Er klemmte es sich zwischen Wollmütze und Ohr. Zu „Beat it“, „Thriller“ oder „They Don’t Care About Us“ von Michael Jackson machte er Moonwalks. Die Schanze war seine Bühne auf Asphalt.
„Klaudio hat uns alle glücklich gemacht“
Anwohner und Gastronome kannten den Obdachlosen. Sie grüßten ihn, hielten einen Plausch mit ihm. „Ich habe ihm ab und zu einen Dürüm gekauft. Anstatt ihn selbst zu essen, hat er ihn mit anderen geteilt“, erinnert sich Mustafa Zeybek (59), Obsthändler in der Sternschanze. Er kannte Klaudio seit 14 Jahren.
Das könnte Sie auch interessieren: Geduld der Stadt am Ende: Kult-Obststand an der Sternschanze soll weg
„Klaudio war ein Krieger und Liebhaber. Er hat uns alle glücklich gemacht. Er war mein bester Freund“, so ein junger Obdachloser, der seinen Namen nicht nennen möchte. Frauen schenkte er gern Blumen, die er sich von den Tischen der Außengastrobereiche nahm. Er machte ihnen Komplimente, tanzte für sie und ging dann weiter. Klaudio war immer freundlich, drängte sich nicht auf. Er wollte nur tanzen. Was die Todesursache war, wird nun im Auftrag der Staatsanwaltschaft im Institut für Rechtsmedizin untersucht.