Die Veddel in Hamburg: Von wegen Ghetto! Für mich der spannendste Stadtteil
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Die „Neue Elbbrücke“, fotografiert mit einer Drohne. Auf der anderen Elbseite: Rothenburgsort.
Foto: Patrick Sun
Veddel –
Mir ist klar, dass das nicht jeder nachvollziehen kann: Aber für mich ist die Veddel der spannendste Stadtteil Hamburgs. Natürlich ist dieses Viertel nicht schick und mondän, wie es Blankenese oder Eppendorf sind – Gott sei Dank. Ganz eindeutig gibt es Stadtteile, die mehr Sehenswürdigkeiten und hübschere Architektur zu bieten haben. Was mir an der Veddel aber so gefällt, das ist die Insellage, die Nähe zum Wasser, zum Hafen. Ich mag die Menschen dort, einfach und ehrlich, wie sie sind. Und mir gefällt die spannende Geschichte, auf die dieser Stadtteil zurückblickt. Mein Urteil über die Veddel ist natürlich nicht objektiv. Wie sollte es auch? Ich habe 16 Jahre dort gelebt.
Das Auswanderer-Museum
1. Zu den sieben Orten auf der Veddel, die Sie unbedingt gesehen haben müssen, gehört natürlich zuallererst das Ballinstadt-Museum, das genau an der Stelle steht, wo sich einst die Auswandererhallen der Hapag befanden, das „größte Gasthaus der Welt“, wie der legendäre Hapag-Chef Albert Ballin sie nannte. 75.000 Quadratmeter groß war das Gelände, es gab Schlaf- und Wohnpavillons, Hotels für betuchte Auswanderer, Speisehallen, Kirchen, Musikpavillons, ein Lazarett, Ställe und Gepäckschuppen. Am 20. Dezember 1901 wurde diese Stadt in der Stadt eingeweiht. Hier haben bis in die 30er Jahre Millionen von Menschen ihre letzten Tage verbracht, bevor sie die Reise in die Neue Welt antraten.
Das Goldene Haus
2. Auch hier werde ich Widerspruch bekommen, gar keine Frage – aber ich liebe das Goldene Haus auf der Veddel. Ja, ich weiß. Es gibt Leute, die erstens keinen Sinn für Kunst haben und noch dazu mit kleinkarierten Argumenten aufwarten: etwa dass es Geldverschwendung gewesen sei, 85.000 Euro an Blattgold an eine Hauswand zu klatschen.
Hätte der Künstler Boran Burchhardt sein Projekt in Blankenese verwirklicht oder in der HafenCity, hätte kein Hahn danach gekräht, wetten ..? Boran Burchhardts Absicht war es, die Insel, über die oft so viel Negatives geredet wird, aufzuwerten– und was, so fragte er sich, ist werthaltiger als Gold? Immer wenn ich durch die Veddeler Brückenstraße gehe, erfreue ich mich an dem Gebäude. Am schönsten ist es in der Abendsonne, dann blendet die Fassade so sehr, dass eine Sonnenbrille anzuraten ist.
Der Warmwasserblock
3. Sehenswert bedeutet nicht unbedingt schön: Das beweist der sogenannte Warmwasserblock. Dabei handelt es sich um eine Mietskaserne aus Rotklinker mit 160 Wohnungen, die gesäumt wird von der Wilhelmsburger Straße, dem Drevesweg, dem Meckelburgsweg und der Straße Am Gleise.
Auf den ersten Blick unterscheidet sich dieser Block kaum von den anderen: Die ganze Insel besteht aus Rotklinker-Schumacher-Bauten. Aber der seltsame Name weist schon darauf hin, dass der Warmwasserblock was ganz Besonderes ist – es handelt sich um das erste Wohngebäude auf der Insel, in dem es fließend warmes Wasser gab. Umso empörter waren viele Menschen, als 2019 bekannt wurde, dass es abgerissen werden sollte. Der öffentliche Druck veranlasste die SAGA dann jedoch, diese Pläne zurückzuziehen.
Die Fischbratküche
4. Sie ist kult, eingerichtet wie schon in den 50er Jahren, sie ist die älteste Fischbude der Stadt: die Veddeler Fischbratküche. Als ich vor etwa 16 Jahren dort das erste Mal zu Gast war, war ich noch ein Greenhorn: Ich hatte Hunger, also bestellte ich die große Portion Backfisch. Als die anderen am Tisch – alles Stammgäste – das hörten, schmunzelten sie. Einer fragte: „Sind Sie sicher?“ Ein paar Minuten später, als die Kellnerin den Teller brachte, wusste ich, was sie meinten. Sieben riesige Fischfilets türmten sich darauf und dazu noch ‘ne Menge Pommes! Ich bin ein guter Esser, bestelle nie kleine Portionen– nur in der Fischbratküche.
Kleine Portion bedeutet: fünf Stück Fisch. Wer nur wenig Hunger hat, der sollte die „Babyportion“ wählen – drei Stücke langen dann nämlich auch. In jedem Fall schmeckt das Essen in der urigsten Fischbude Hamburgs echt lecker.
Die Elbbrücken
5. Die Veddel ist ein Stadtteil der Brücken – bei einer Insel nicht wirklich überraschend. Über die Elbbrücken ist sicher schon jeder mal gefahren. Aber es lohnt sich, sich einen Moment Zeit zu nehmen für diese wunderschönen Bauwerke. Für den Straßenverkehr ist die Neue Elbbrücke die wichtigste – zwischen 1884 und 1887 wurde sie erbaut. Auf alten Fotos sind noch die neugotischen Portale zu sehen, die leider bei der Verbreiterung zwischen 1957 und 1960 abgerissen wurden. Noch älter ist die Eisenbahnbrücke, die von 1868 bis 1872 erbaut wurde, deren Brückenträger allerdings in den 20er Jahren durch stärkere Neubauten ersetzt wurden. Bei der dritten Brücke im Bunde handelt es sich um die Freihafen-Elbbrücke, die 1926 geschaffen wurde, um für Hamburgs Freihafen eine baulich getrennte Querung über die Elbe herzustellen – viele Jahre bin ich täglich auf dem Weg zur Arbeit über sie gefahren.
Das IBA-Dock
6. Nicht verpassen beim Veddel-Besuch: das IBA-Dock, das sich gegenüber der Ballinstadt auf der anderen Seite des Müggenburger Zollhafens befindet. Ein schwimmendes Ausstellungs- und Bürogebäude, das 2010 als Sitz der IBA Hamburg, eine städtische Entwicklungsgesellschaft, entstand und in Sachen Klimaschutz neue Standards setzt: Es nutzt die Sonne und das Wasser der Elbe zur Energiegewinnung. Eine Sole/Wasser-Elektro-Wärmepumpe beheizt das Gebäude. Die von der Wärmepumpe benötigte Umweltwärme wird durch einen im Boden des Betonpontons integrierten Wärmetauscher der Elbe entnommen. Der Strombedarf der Wärmepumpe wird durch eine Photovoltaikanlage gedeckt. Ein Haus für Öko- und Technik-Freaks.
Das Lagerhaus G
7. Es gibt in der Nachbarschaft der Veddel dann noch einen historisch bedeutsamen Ort: das Lagerhaus G. Kein Ausflugsziel, das Freude macht – im Gegenteil. Denn in diesem 1903 errichteten Bodenspeicher ist Furchtbares passiert: Von 1944 bis 1945 war es es ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. Anfangs waren hier jüdische Frauen aus Ungarn und Tschechien untergebracht, die im Hafen Bombentrümmer aufräumen mussten – unter unmenschlichen Bedingungen. Im Oktober 1944 kamen 2.000 Männer ins Lager, die rund um Hamburg Panzergräben ausheben mussten, um den alliierten Vormarsch zu stoppen. Viele Häftlinge haben das Kriegsende nicht erlebt.