Direkt neben Neubaugebiet : Ein „Lost Place“ mitten in Hamburg
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Altona –
140 Jahre lang wurde er hier gebraut, Hamburgs Haustrunk Holsten. Das Bier, das ja bekanntlich am „dollsten knallt“. Doch jetzt steht die Zeit still auf dem riesigen Brauereigelände an der Holstenstraße, direkt neben dem Neubaugebiet „Neue Mitte Altona“. „Lost Placer“, also Menschen, die sich für verlassene Fabriken, Ruinen und geheime Tunnel interessieren und den Zustand dokumentieren, haben vor einigen Monaten auf dem verlassenen Gelände fotografiert und die Bilder der MOPO zur Verfügung gestellt.
Die orangefarbene Arbeitsjacke hängt akkurat an einem blauen Spind am Haken. In der Kaffeeküche daneben stehen noch Tassen und Teller. Und auch in der Buchhaltung sieht es aus, als hätte hier vergangene Woche noch jemand gearbeitet. Nur die vertrockneten Grünpflanzen deuten darauf hin, dass es sich bei der Holsten-Brauerei um einen „Lost Place“ handelt.
Dort hat es am 6. Juni sogar gebrannt. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Im Sommer gab es im Keller noch Bier in Fässern und in Flaschen. Haben Unbekannte hier eine Party gefeiert und ist diese ausgeartet? Bürostühle und leere Flaschen auf einem Vordach der Brauerei könnten darauf hindeuten.
Lost Places in Hamburg: Die Hallen von Holsten
Die „Lost Placer“ lehnen solchen Vandalismus strikt ab. Ihr Ehrenkodex schreibt ihnen vor, nicht mit Gewalt in Objekte einzudringen und nichts zu verändern oder gar zu zerstören. Auf alle Fälle wird das Areal heute von Security-Leuten rund um die Uhr bewacht.
Aber zurück zur Geschichte der Holsten-Brauerei. Alles begann im Mai 1879, da wurde der erste Sud angesetzt, die Verkostung fand dann ein Jahr später statt. Zunächst wurde Holsten vor allem rund um Hamburg verkauft, entwickelte sich hier zum Marktführer. Nach 1900 wurde das Holsten-Logo, der Ritter auf dem Pferd, bald deutschlandweit bekannt. Holsten schluckte diverse kleinere Brauereien im norddeutschen Raum. Und in England wurde 1903 die Niederlassung „The Holsten-Brewery“ gegründet.
1952 führte Holsten als Innovation das Dosenbier ein
Im Zweiten Weltkrieg ist ein Großteil der historischen Brauerei-Gebäude in Altona zerstört worden. Doch schon bald nach 1945 begann der Wiederaufbau. 1952 führte Holsten dann eine innovative Neuerung ein: das Dosenbier! Und die Expansion lief munter weiter.
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So wurden 1956 die traditionsreiche Hamburger Bill-Brauerei übernommen, in den Jahrzehnten danach sind aber von Holsten auch neue Biermarken wie Duckstein auf den Markt gebracht worden. Nach der Wende übernahm Holsten 1991 schließlich die bekannte Lübzer Brauerei in Mecklenburg-Vorpommern.
Seit 2004 gehört Holsten zum dänischen Carlsberg-Konzern, dem viertgrößten Brauerei-Konzern der Welt. Und der entschied, dass das Altonaer Gelände aufgegeben wird. Am 4. November 2019 ist dann der neue Betrieb am Heykenaukamp in Hausbruch feierlich eröffnet worden.
Auf dem alten, fast 90 000 Quadratmeter großen Brauerei-Gelände sollen, quasi als Verlängerung der „Neuen Mitte Altona“, weitere 1300 bis 1400 Wohnungen entstehen. Die Fläche entspricht etwa fünf Fußballfeldern. Doch dann schlug die Stunde der Spekulanten. 2016 hatte Carlsberg für die Fläche 150 Millionen Euro bekommen. Anschließend kam es zu einigen Eigentümerwechseln. Anfang dieses Jahres ist das Grundstück das vorerst letzte Mal verkauft worden, und zwar für 320 Millionen Euro!
Das Vorgehen der Immobilien-Investoren führte zu heftiger Kritik von Politikern. Altonas Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) sagte, die Stadt müsse künftig bei solch großen und wichtigen Flächen ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen. Dirk Kienscherf, Fraktionschef der SPD in der Bürgerschaft, erklärte sogar, solche Unternehmen müssten „aktiv bekämpft werden“. Ein Bündnis gegen Spekulanten solle her.
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Diese Firmen würden der Allgemeinheit schaden. Kienscherf verwies darauf, dass der Käufer den extrem hohen Kaufpreis ja auch wieder hereinholen muss. Also wird er vermutlich versuchen, mehr teure Eigentumswohnungen zu errichten und weniger bezahlbare Mietwohnungen. Bei dort wiederum geplanten frei finanzierten Mietwohnungen war vor Kurzem sogar von einem Mietpreis von 18 Euro kalt pro Quadratmeter die Rede.
Beim vorerst letzten Käufer des Grundstücks handelt es sich laut „Hamburger Abendblatt“ um die „Adler Real Estate“ in Berlin. Bei einer MOPO-Anfrage zum Stand der Planungen wurde auf einen Presssprecher in der Schweiz verwiesen. Eine Anfrage per Mail blieb allerdings unbeantwortet.
Erste Architektenentwürfe für das Holsten-Areal liegen vor. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing sprach davon, dass sie „einen neuen, selbstbewussten und optimistischen architektonischen Ton“ anschlagen.
Es ist unklar, wie es mit dem Holsten-Gelände weitergeht
Viel Optimismus, dass es mit dem Bau bald losgeht, ist nicht angebracht. Dabei sollten die ersten Gebäude schon 2021 stehen. Doch bisher sind noch keine Aktivitäten auf dem Gelände erkennbar. Man geht von einem Investitionsvolumen von knapp 900 Millionen Euro aus. Neben bis zu 1400 Wohnungen sind Lokale, ein Supermarkt, ein Handwerkerhof und im denkmalgeschützten Sudhaus ein Quartierszentrum vorgesehen.
In der alten „Schwankhalle“ soll auch ein Hotel entstehen. Weiter in Planung ist auch eine Mikrobrauerei. Klingt alles prima, aber ob und wann es umgesetzt wird, steht in den Sternen. Könnte gut sein, dass die Holsten-Brauerei noch ein paar Jahre ein „Lost Place“ bleibt.