Ein gespenstischer Ort: Hamburgs umstrittenste Gedenkstätte ist jetzt eröffnet
Neustadt –
Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass die Macher dieser Gedenkstätte in den vergangenen Monaten ganz schön geschwitzt haben. Und dass sie umso nervöser wurden, je näher der Eröffnungstermin rückte. Die bange Frage, die sie sich sicher dauernd stellten: Schaffen wir es, dass der Streit ein Ende nimmt?
Seit Mittwoch ist sie für jedermann zugänglich: die neue Dauerausstellung im Hamburger Stadthaus. „Zentrale des Terrors“ heißt sie und erinnert daran, was das Gebäude im Nationalsozialismus war: der Ort, an dem die Nazis Verfolgung, Unterdrückung und Deportation organisierten. Hier wurden die Befehle gegeben, die Zigtausende das Leben kosteten.
Zwei Jahre wurde um diese Ausstellung und darüber, was darin zu sehen sein muss und in welcher Dimension, gerungen, gekämpft, teils mit harten Bandagen. Historiker aus dem ganzen Land haben ihre Meinung kundgetan. Umso größer das Lob, das den Machern und Designern gebührt, sich trotz dieser widrigen Umstände der Aufgabe gewidmet zu haben. Und das Ergebnis ist rundherum klasse. Besser ging’s kaum. Nicht auf diesem Raum.
Streit wird vermutlich weitergehen
Um diese Einschränkung aber kommt niemand herum: Die Fläche! Sie ist klein, ganz eindeutig. Viel zu klein, wie die Kritiker finden, die sich sehr daran stören, dass sich die Ausstellung 250 Quadratmeter mit einer Buchhandlung und einem Café teilen muss.
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Viel spricht dafür, dass der Streit darüber, ob die Gedenkstätte nun würdig ist oder nicht, weiter gehen wird. Schon heute Nachmittag! Da besichtigt der Kulturausschuss den Ort – und diesen Anlass will die „Initiative Gedenkort Stadthaus“ nutzen, um für ihre Pläne zu werben: Die Stadt möge eine benachbarte, 800 Quadratmeter große Fläche, die sogenannte „Wagenhalle“, anmieten und dort die Ausstellung ganz neu konzipieren, so die Forderung. „Wenn Hamburg 15 Millionen Euro übrig hat, um das Bismarck-Denkmal zu sanieren“, so Pastor Ulrich Hentschel, „dann muss auch dafür Geld da sein.“
Stadthaus Hamburg: Technisch auf dem modernsten Stand
800 Quadratmeter. Das wäre ein Vielfaches von dem, womit die am Mittwoch eröffnete Ausstellung auskommen muss. Sie besteht aus acht Stahltischen mit zweisprachigen Infotexten und Fotos. In die Tische eingelassen sind Hängeregister mit überdimensionalen Karteikarten, auf denen die Lebensgeschichten von Opfern und Tätern geschildert werden. Es gibt Kladden mit Hintergrundinformationen und Tablet-Bildschirme mit Touch-Funktion, über die der Besucher weitere Texte ansteuern kann.
Alles sehr eindrucksvoll gestylt, alles auf dem neuesten Stand der Technik. Die wesentlichen Aspekte des Nazi-Terrors in Hamburg werden zumindest angerissen: die Deportation der Juden, der Mord an Roma und Sinti, die Ausbeutung von Zwangsarbeitern, die Misshandlung und Ermordung von Sozialdemokraten, Kommunisten und Homosexuellen.
Gruselige Besichtigung des „Seufzergangs“
Nicht gereicht hat der Platz allerdings dafür, die Geschichte des antifaschistischen Widerstands in Hamburg in aller Ausführlichkeit darzustellen. Das sei zwar der ursprüngliche Auftrag gewesen, so Professor Detlef Garbe von der Stiftung Hamburger NS-Gedenkstätten, doch dies „überfordert“ den Raum, wie er bedauernd einräumte.
Ergänzt wird die Hauptausstellung durch Infostelen, die sich in einem Arkadengang befinden und sich der 300-jährigen Nutzungsgeschichte des Gebäudes annehmen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, den sogenannten „Seufzergang“ zu besichtigen, durch den die Gestapo früher Gefangene unter Prügel von den Zellen zu den Verhörräumen führte. Besucher können sich anhören, wie sich Überlebende an ihre Zeit in der Haft erinnern, darunter auch MOPO-Gründer Heinrich Braune (1904-1990).
Gedenkstätte im Stadthaus: Ein Besuch lohnt sich
Viele historisch Interessierte hatten gehofft, im Stadthaus würde so etwas wie die zentrale NS-Gedenkstätte Hamburgs entstehen. Davon ist diese Ausstellung weit entfernt. Dennoch lohnt ein Besuch. An diesem Erinnerungsort erfahren wir beispielsweise, dass der Vater des berühmten Liedermachers Wolf Biermann, ein Kommunist, genau hier gefoltert, verhört und gequält wurde. Und der Schriftsteller Ralph Giordano („Die Bertinis“) ebenfalls. Eine lehrreiche Ausstellung.
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Aber einen Fehler hat sie doch: Nämlich nirgendwo wird der zwei Jahre andauernde Streit um die Gedenkstätte thematisiert. Den Zoff einfach auszublenden, ist alles andere als ein Zeichen von Souveränität. Auch Professor Garbe war bei der Eröffnung erstaunt. „Das hatten wir doch erwähnt, ist denn das gestrichen worden?“, sprach er mit sich selbst, während er vergeblich nach der Textstelle suchte.
Info: Die Geschichte des Stadthauses
Mit dem Bau des Görtzschen Palais begann 1711 die Geschichte des Stadthauses. Immer neue Erweiterungsbauten kamen hinzu. 1814 siedelte sich Hamburgs Polizei an. Nach 1945 wurde das im Krieg schwer zerstörte Gebäude von der Baubehörde genutzt, bevor der CDU-Senat es 2009 an den Immobilienentwickler Quantum verkaufte, der sich verpflichtete, auf eigene Kosten eine NS-Gedenkstätte von 750 Quadratmetern zu schaffen. Dieser seltsame Deal – einem Privatunternehmen etwas zu übertragen, was allein staatliche Aufgabe ist – , löste den Streit aus, der bis heute anhält. Von „Kommerzialisierung des Gedenkens“ war und ist die Rede. Der Gebäudekomplex ist inzwischen aufwendig saniert und in ein Luxusquartier verwandelt. Die Ausstellung im Stadthaus ist montags bis sonnabends von 10 bis 19 Uhr geöffnet, Ort: Stadthausbrücke 6. Eintritt frei.